Lokales

Mit stoischer Haltung durchs Abitur

Deutsch-Aufsatz bildet den Auftakt für die Abschlussprüfungen von 412 Oberstufenschülern in Kirchheim

Für 412 Oberstufenschüler in Kirchheim haben gestern die schriftlichen Abiturprüfungen begonnen. Zum Auftakt stand traditionell der Deutsch-Aufsatz auf dem Programm.

Auftakt zum Abitur in Kirchheim: Drinnen werden Deutsch-Aufsätze geschrieben, draußen werden die „Helden“ angespornt.Fotos: Jean
Auftakt zum Abitur in Kirchheim: Drinnen werden Deutsch-Aufsätze geschrieben, draußen werden die „Helden“ angespornt.Fotos: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Vorbereitung ist alles: Nach dieser Devise hatte sich in den vergangenen Jahren zuverlässig die Mehrheit der Kirchheimer Schüler für die Interpretation und den Vergleich der Pflichtlektüren entschieden Dieses Jahr sieht es ein wenig anders aus: Weit weniger als die Hälfte der 334 Aufsatzschreiber waren es, die das vermeintlich sichere Thema ausgewählt haben.

„Homo faber“ von Max Frisch war in diesem Fall zu interpretieren. Walter Faber macht sich in der Textstelle seine Gedanken über den oberflächlichen Optimismus der (US)-Amerikaner und über ihren Jugendkult, den er als Angst vor dem Tod entlarvt. Allerdings ist er selbst auch nicht frei von einer eigenen Art des Jugendkults. Und nicht zuletzt erscheinen auch seine eigenen Erfolge eher oberflächlich. In dem Textausschnitt gelingt es ihm noch nicht einmal, „sachliche“ Briefe zu schreiben: Bevor er sie abschicken würde, zerreißt er sie und streut die Fetzen ins Meer.

Walter Fabers Scheitern war in der Pflichtlektüren-Aufgabe gesondert zu erörtern – im Vergleich mit dem Scheitern von Georg Büchners Titelheld Danton und demjenigen des Ich-Erzählers aus Peter Stamms Roman „Agnes“. Vielleicht war das Scheitern nicht gerade das Thema, mit dem sich die jungen Leute allzu sehr auseinandersetzen wollten. Jedenfalls gab es gestern nur am Ludwig-Uhland-Gymnasium Zahlen, die dem langjährigen Trend entsprachen: Dort schrieben immerhin 67 Abiturienten – knapp die Hälfte von insgesamt 146 – ihren Aufsatz über die Pflichtlektüren.

Am Schlossgymnasium dagegen lagen Frisch, Büchner und Stamm nur auf dem zweiten Platz: Nicht einmal ganz ein Drittel konnte sich dort für das Scheitern erwärmen. Am Wirtschaftsgymnasium (WG) der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule wa-ren es zwar mehr als die Hälfte aller Aufsatzschreiber. Aber dort hatten es über 50 Prozent aller Abiturienten vorgezogen, gar nicht erst im Fach Deutsch anzutreten. An der Max-Eyth-Schule mit ihrem Technischen Gymnasium (TG) schrieben ebenfalls nur 15 von 40 Abiturienten den Aufsatz mit. Die Schüler der Beruflichen Gymnasien haben in diesem Fall eine Wahl. An allgemeinbildenden Gymnasien dagegen gibt es eine „Zwangsbeglückung“ bei Aufsätzen.

Zweitbeliebteste Aufsatzgattung war gestern in Kirchheim der Essay, für den die Aufgabenstellung eine Materialiensammlung bereithält. Am Schlossgymnasium lag der Essay sogar „mit einfacher Mehrheit“ in Führung: 44 von 130 Abiturienten setzten sich in der Jesinger Halde mit dem Thema „Die Macht des Sports“ auseinander. An den Beruflichen Gymnasien hieß das Essay-Thema „Ewig leben – ewiges Leben“. Insbesondere am TG war das der absolute Renner und begeisterte 13 von 15 Aufsatzschreibern. Die übrigen beiden wagten sich an die Gedichtinterpretation.

In ganz Kirchheim waren es 24 Abiturienten, die Mörikes „Früh im Wagen“ mit Brechts „Als ich nachher von dir ging“ verglichen. In beiden Gedichten geht es um den Abschied von dem oder der Geliebten. Bei Mörike stehen aber eher der Schmerz des Abschieds und das sehnsuchtsvolle Erinnern an die Liebesnacht im Vordergrund. Im Gegensatz zum resignativen Ton Mörikes zeigt sich bei Brechts lyrischem Ich eine umfassende Veränderung zum Positiven: Ob es sich um die sprechende Person, ihre Mitmenschen oder die gesamte Umwelt handelt – alles ist nach dem Liebeserlebnis am Abend schöner, lustiger und grüner geworden.

Eine weitere Aufgabe war die In­terpretation des Prosatexts „Auf dem Balkon“ von Alfred Polgar. In dieser Geschichte beobachten Menschen in der Ferne ein Zugunglück katastrophalen Ausmaßes, um anschließend recht schnell wieder zu ihrer belanglosen Plauderei überzugehen. In Kirchheim wurde diese Geschichte gestern 26 Mal interpretiert.

53 Kirchheimer Aufsätze widmeten sich schließlich noch der Analyse von Zeitungstexten mit dem Titel „Fluch der Neugier“ beziehungsweise „Haltung bewahren“. Letzterer empfiehlt – als Gegenmittel zur modernen Welt mit ihren Apps und Tablets – die Haltung des römischen Philosophen-Kaisers Marc Aurel. Mit dessen stoischer Gelassenheit sollten die Abiturienten möglichst auch ihre nächsten Prüfungsfächer angehen.