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Nachhilfe boomt

Zu Beginn des zweiten Halbjahrs sehen viele Eltern und Schüler Handlungsbedarf

Alle Jahre wieder: Wenn die ein oder andere Fünf am Ende des ersten Halbjahrs die Versetzung gefährdet, schrillen bei vielen Eltern die Alarmglocken. Auch in Kirchheim fungieren Nachhilfeinstitute als Rettungsanker.

In Kleingruppen erteilt die Schülerhilfe in Kirchheim individuelle Nachhilfe. In der Zeit um die Zwischenzeugnisse entscheiden s
In Kleingruppen erteilt die Schülerhilfe in Kirchheim individuelle Nachhilfe. In der Zeit um die Zwischenzeugnisse entscheiden sich besonders viele Schüler dafür, sich professionelle Unterstützung zu holen.Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. „Die Halbjahresinformation ist eine sensible Zeit“, sagt Michael Müller, Chef der Pädagogischen Schülerförderung, die auch in Kirchheim ein Nachhilfeinstitut betreibt. „Da sehen einfach viele Eltern schwarz auf weiß, dass es mit der Versetzung schwierig werden könnte.“ Wie jedes Jahr Anfang Februar boomt deshalb auch derzeit wieder die Nachfrage nach Nachhilfe.

Doch das zweite Halbjahr gehe schnell vorbei, gibt Müller zu bedenken. Deshalb wäre es besser, nicht erst Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn es brennt. „Wir kochen auch nur mit Wasser“, betont der ausgebildete Realschullehrer. Innerhalb von zwei, drei Monaten könne man keine Versetzung oder Prüfung retten.

Auch bei der in Kirchheim angesiedelten Niederlassung der bundesweit tätigen Schülerhilfe klingeln in der Zeit rund um die Zwischenzeugnisse häufiger als sonst die Telefone. „Die Pubertät ist das Alter, in dem die meisten Schüler Nachhilfe nehmen, aber auch Abschlussschüler kommen häufig, um eine bestmögliche Prüfung abzulegen“, sagt Gebietsleiterin Christine Englisch. Primäres Ziel der Nachhilfe sei natürlich, die Versetzung zu schaffen. Häufig nutzten aber auch gute Schüler die professionelle Lernförderung, um die Zensuren weiter zu verbessern. Das Bewusstsein, mit guten Noten die Chancen auf eine erfolgreiche Berufslaufbahn zu erhöhen, sei heute eher vorhanden als früher. „Die Konkurrenz ist groß, die Ausbildungs- und Studienplätze sind rar“, erklärt Christine Englisch. Für Grundschüler habe die Schülerhilfe ein spezielles Angebot, damit sie sich mit den richtigen Lern- und Arbeitstechniken ihre schulische Zukunft nachhaltig erleichtern könnten.

Fächer, in denen bei der Pädagogischen Schülerförderung hauptsächlich Nachhilfe erteilt wird, sind neben Mathe auch Deutsch, Englisch, Französisch und Physik. Wenn man ihnen konsequent unter die Arme greife, machten die Kinder erstaunliche Fortschritte, hat Müller beobachtet. „Verbessern sie sich um zwei Noten im Zeugnis, bekommen sie bei uns einen Gutschein für ein Buch oder eine CD. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele ich am Schuljahresende aushändigen muss.“

Nicht alle Schüler nehmen auch bei der Pädagogischen Schülerförderung Nachhilfe in Anspruch, weil die Zensuren im Keller sind. „Manche bereiten sich bei uns auf Prüfungen vor, weil sie den Vorteil einer Lerngruppe schätzen“, erklärt Müller. Hin und wieder steckt ihm zufolge der Elternwunsch dahinter, dass die Noten gut bleiben. Nur noch äußerst selten dient Nachhilfe bei der Pädagogischen Schülerförderung dazu, ein Kind nach der vierten Klasse auf eine höhere Schule schicken zu können. „Das ist seit dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung Makulatur“, so Müller.

Attestiert ein Lehrer, dass Nachhilfe notwendig ist, brächten manche Kinder auch Bildungsgutscheine mit. Das laufe dann übers Jugendamt beziehungsweise das Jobcenter. „Den Antrag richtig auszufüllen, ist für viele Leute aber eine große Hürde“, meint Müller.

Nachhilfe im herkömmlichen Sinn nutzt indes wenig, wenn ein Kind mit dem Lesen und Schreiben Probleme hat, weil eine Lese-/Rechtschreibschwäche vorliegt. „Hinter angeblicher Faulheit stecken manchmal ganz andere Probleme“, sagt Professor Hannelore Krawinkel, Leiterin des Lehrinstituts für Orthografie und Sprachkompetenz (LOS) in Kirchheim. LRS-Kinder befänden sich oft in einem Teufelskreis aus Misserfolg, Kritik und Entmutigung. Der einzige dauerhafte Ausweg sei eine gezielte Förderung der betroffenen Schüler, die eine öffentliche Schule in den meisten Fällen nicht leisten könne.

Mangelhaft

Läuft nicht irgendetwas schief, wenn viele Schüler nur mit Nachhilfe dem Unterricht folgen können beziehungsweise den Sprung in die nächste Klassenstufe schaffen? Ich meine ja. Denn es kann nicht sein, dass Eltern dafür aufkommen müssen, dass ihre Sprösslinge in der Schule den Durchblick haben und akzeptable Noten schreiben. Ein höherer Schulabschluss darf nicht abhängig vom Geldbeutel oder dem Bildungsniveau der Eltern sein. Denn auch das ist Realität: Hinter so manch guter oder sehr guter Zensur stecken zwar keine bezahlten Nachhilfelehrer, sondern engagierte Eltern, die mit ihrem Nachwuchs die nächste Klassenarbeit intensiv vorbereiten. Unterricht müsste doch so spannend gestaltet werden können, dass das Gros der Schüler ihm mit Interesse folgen kann und versteht, wo­rum es geht, ohne Unterstützung von außen zu benötigen.

Nur das G 8 zu kritisieren, würde zu kurz greifen. In anderen Schularten gibt es genauso Kinder, die mit dem Tempo überfordert sind. Nachhilfe nehmen Schüler aus allen Schularten. Auch die Eltern sollten sich fragen lassen, ob sie ihre Sprösslinge auf die Schule geschickt haben, die deren Fähigkeiten am ehesten entspricht. Die jährlichen Statistiken sprechen für sich, denn seit dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung haben Gymnasien einen immensen Zulauf.

Nicht zuletzt ist wohl auch das Schülerverhalten selbst zu hinterfragen. Dass Jugendliche während der Pubertät am meisten auf Nachhilfe angewiesen sind, verwundert nicht. Doch müsste man erwarten können, dass 13-, 14-Jährige mit einer gewissen Ernsthaftigkeit im Unterricht bei der Sache sind. Vielleicht ist ja doch etwas dran, wenn Hirnforscher wie Manfred Spitzer davor warnen, dass Lehrer morgens gegen Ballerspiele und soziale Netzwerke am Nachmittag fast auf verlorenem Posten kämpfen. ANKE KIRSAMMER