Kirchheim/Rieneck. Es war ein Verbrechen, wie es sie zahlreich gegeben hat in den letzten Kriegsmonaten 1945. Fünf russische Kriegsgefangene, die als Zwangsarbeiter in Rieneck (Main-Spessart-Kreis) eingesetzt waren, hatten sich, wie viele Ortsbewohner in diesen Tagen, in ihrer Not an Lebensmitteln aus einem bombardierten Güterzug bedient. Die fünf russischen Männer wurden erwischt und wegen Plünderns am 29. März 1945 an Ort und Stelle hingerichtet und namenlos verscharrt. Ihre Gräber hatten sie zuvor selbst ausheben müssen, für die Erschießung wurden fünf Hitlerjungen aus Rieneck abkommandiert. Alle fünf blieben straffrei. Der damalige Volkssturmführer, Hans Olpp aus Kirchheim, der den Befehl erteilt hatte, wurde vom Landgericht in Würzburg am 23. August 1950 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der Kirchheimer leugnete die Tat, behauptete, nie in Rieneck gewesen zu sein, wurde jedoch von zahlreichen Zeugen eindeutig identifiziert. Er kam nach wenigen Monaten gegen Zahlung einer Sicherheitsleistung von 10 000 Mark wieder frei und wurde später begnadigt.
Elfriede Krutsch hätte den namenlosen Opfern knapp 70 Jahre später in ihrer Heimatgemeinde gerne einen Platz geschenkt, an dem an sie erinnert wird. Am mutmaßlichen Ort des Geschehens und mit der schlichten Inschrift: „Hier wurden fünf russische Männer durch Naziterror ermordet. Wir gedenken der Opfer.“ Die 65-jährige Rieneckerin, hat sich mit zahlreichen Zeitzeugen aus dem Ort unterhalten. Von ihnen weiß sie, dass die Männer damals um ihr Leben gefleht und Fotos ihrer Frauen und Kinder gezeigt hätten. Die barbarische Tat ist für den Gemeinderat der 2 000-Einwohner-Stadt kein Grund, gegen das Vergessen anzukämpfen. Obwohl Bürgermeister Wolfgang Küber die Pläne von Elfriede Krutsch unterstützte, sprachen sich die Stadtväter mit elf gegen vier Stimmen in nicht öffentlicher Sitzung gegen die Gedenktafel aus. Die Begründung: Auf möglicherweise noch lebende Täter und deren Nachkommen müsse Rücksicht genommen werden.
Von den fünf Schützen lebt heute keiner mehr, und auch ihr Anführer Hans Olpp ist längst tot. Der Kirchheimer Malermeister und Geschäftsinhaber starb am 30. Juni 1985 im Alter von 88 Jahren in Kirchheim. Olpp war schon lange vor Kriegsbeginn als SA-Sturmbannführer und NS-Fraktionsvorsitzender im Kirchheimer Gemeinderat einer der überzeugtesten Nationalsozialisten in der Teckstadt. Unter der Hakenkreuzflagge machte er rasant Karriere, war bis kurz vor Kriegsbeginn Standartenführer der SA in Reutlingen und Ludwigsburg, danach als SA-Gruppenführer „Main-Franken“ in Würzburg stationiert. 1943 schaffte er es als Verbindungsoffizier bis ins Führer-Hauptquartier. Er war zudem beteiligt am Brandanschlag auf die Ludwigsburger Synagoge am 10. November 1938. Dafür verurteilte ihn die Dritte Strafkammer des Landgerichts Stuttgart im Juni 1948 zu zwei Jahren Zuchthaus mit anschließender Aberkennung der Ehrenrechte wegen Beihilfe zu schwerer Brandstiftung.
Olpp hatte nach Kriegsende versucht, unerkannt zu bleiben. Ab dem Frühsommer 1945 lebte er unter dem Namen Hans Kolb in Plieningen auf den Fildern, wo er von einem früheren SA-Mitglied jedoch erkannt und bei der amerikanischen Militärpolizei angezeigt wurde. Vom 3. März 1948 bis 2. März 1949 saß Olpp in Ludwigsburg in Lagerhaft. Im August 1950 sprach ihn das Landgericht in Würzburg dann im Fall Rieneck schuldig: Hans Olpp erhielt fünf Jahre Haft wegen Totschlags. Dass er bereits im November des selben Jahres vorläufig entlassen und später begnadigt wurde, hatte er dem guten Leumund mehrerer Kirchheimer Bürger und Amtsträger zu verdanken. Der Kirchheimer Stadtamtmann Schweikert schreibt am 15. Oktober 1951 in Vertretung des damaligen Bürgermeisters Franz Kröning an das Würzburger Schwurgericht: „Soweit sein Wirken für die NSDAP in die Zeit des hiesigen Aufenthaltes fällt, wird jeder gerecht Denkende Herrn Olpp bestätigen müssen, dass er gegenüber politischen Gegnern weder gewalttätig, noch unduldsam war. Wo sich Härten ergaben, versuchte er auszugleichen, so gut er konnte. Ich glaube bestimmt, dass die Öffentlichkeit keinen Anstoß an seiner Begnadigung nehmen würde und möchte eine solche von hier aus aufs Wärmste empfehlen.“
Weniger Wärme strahlen die Fakten aus, die kaum von Duldsamkeit gegenüber politischen Gegnern zeugen: Im Zuge der Machtübernahme Adolf Hitlers waren die Brüder Hans und Walter Olpp, der damals als Kreishandwerksmeister tätig war, für die Verhaftung von zwölf Kirchheimer SPD- und KPD-Mitgliedern verantwortlich, die daraufhin ins KZ Heuberg gebracht wurden. Elf davon kamen wieder frei, nachdem sie schriftlich versichert hatten, sich nicht mehr politisch zu betätigen. Ein Kirchheimer Lehrer, der sich geweigert hatte, zu unterschreiben, blieb weiterhin in Haft.
Elfriede Krutsch hat ihre Hoffnung auf eine Gedenktafel in Rieneck noch nicht aufgegeben. Sie will weiter kämpfen und erhält dabei Unterstützung von oberster Stelle: Das Landratsamt Main-Spessart prüft zurzeit, ob der Gemeinderats-Beschluss gegebenenfalls aufzuheben sei. Dazu müsste die Frage geklärt werden, ob das Gedenken an Opfer des Nazi-Terrors wirklich das ist, wofür es von den Rienecker Stadtvätern gehalten wird: nicht öffentlich.
(Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Schriftenreihe des Stadtarchivs Kirchheim Band 21, „Kirchheim unter Teck“ 2006, Mainpost Würzburg)