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Nicht öffentlich

Der Streit um eine Gedenktafel in Franken wirft Licht auf ein Stück Kirchheimer Nazi-Vergangenheit

Eine schlichte Gedenktafel für fünf ermordete russische Zwangsarbeiter sorgt in einer Kleinstadt in Unterfranken für Ärger. Der Gemeinderat lehnt die Errichtung ab – aus Rücksicht auf möglicherweise noch lebende Täter und deren Nachkommen. Der damalige ­Befehlshaber ist längst tot: Volkssturmführer Hans Olpp aus Kirchheim.

Vergessen statt erinnern: Elfriede Krutsch am Ort des Geschehens in Rieneck. Hier wurden im März 1945 fünf russische Kriegsgefan
Vergessen statt erinnern: Elfriede Krutsch am Ort des Geschehens in Rieneck. Hier wurden im März 1945 fünf russische Kriegsgefangene ermordet. Ihren Antrag für eine Gedenktafel hat der Gemeinderat abgelehnt.Foto: Mainpost

Kirchheim/Rieneck. Es war ein Verbrechen, wie es sie zahlreich gegeben hat in den letzten Kriegsmonaten 1945. Fünf russische Kriegsgefangene, die als Zwangsarbeiter in Rieneck (Main-Spessart-Kreis) eingesetzt waren, hatten sich, wie viele Ortsbewohner in diesen Tagen, in ihrer Not an Lebensmitteln aus einem bombardierten Güterzug bedient. Die fünf russischen Männer wurden erwischt und wegen Plünderns am 29. März 1945 an Ort und Stelle hingerichtet und namenlos verscharrt. Ihre Gräber hatten sie zuvor selbst ausheben müssen, für die Erschießung wurden fünf Hitlerjungen aus Rieneck abkommandiert. Alle fünf blieben straffrei. Der damalige Volkssturmführer, Hans Olpp aus Kirchheim, der den Befehl erteilt hatte, wurde vom Landgericht in Würzburg am 23. August 1950 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der Kirchheimer leugnete die Tat, behauptete, nie in Rieneck gewesen zu sein, wurde jedoch von zahlreichen Zeugen eindeutig identifiziert. Er kam nach wenigen Monaten gegen Zahlung einer Sicherheitsleistung von 10 000 Mark wieder frei und wurde später begnadigt.

Elfriede Krutsch hätte den namenlosen Opfern knapp 70 Jahre später in ihrer Heimatgemeinde gerne einen Platz geschenkt, an dem an sie erinnert wird. Am mutmaßlichen Ort des Geschehens und mit der schlichten Inschrift: „Hier wurden fünf russische Männer durch Naziterror ermordet. Wir gedenken der Opfer.“ Die 65-jährige Rieneckerin, hat sich mit zahlreichen Zeitzeugen aus dem Ort unterhalten. Von ihnen weiß sie, dass die Männer damals um ihr Leben gefleht und Fotos ihrer Frauen und Kinder gezeigt hätten. Die barbarische Tat ist für den Gemeinderat der 2 000-Einwohner-Stadt kein Grund, gegen das Vergessen anzukämpfen. Obwohl Bürgermeister Wolfgang Küber die Pläne von Elfriede Krutsch unterstützte, sprachen sich die Stadtväter mit elf gegen vier Stimmen in nicht öffentlicher Sitzung gegen die Gedenktafel aus. Die Begründung: Auf möglicherweise noch lebende Täter und deren Nachkommen müsse Rücksicht genommen werden.

Von den fünf Schützen lebt heute keiner mehr, und auch ihr Anführer Hans Olpp ist längst tot. Der Kirchheimer Malermeister und Geschäftsinhaber starb am 30. Juni 1985 im Alter von 88 Jahren in Kirchheim. Olpp war schon lange vor Kriegsbeginn als SA-Sturmbannführer und NS-Fraktionsvorsitzender im Kirchheimer Gemeinderat einer der überzeugtesten Nationalsozialisten in der Teckstadt. Unter der Hakenkreuzflagge machte er rasant Karriere, war bis kurz vor Kriegsbeginn Standartenführer der SA in Reutlingen und Ludwigsburg, danach als SA-Gruppenführer „Main-Franken“ in Würzburg stationiert. 1943 schaffte er es als Verbindungsoffizier bis ins Führer-Hauptquartier. Er war zudem beteiligt am Brandanschlag auf die Ludwigsburger Synagoge am 10. November 1938. Dafür verurteilte ihn die Dritte Strafkammer des Landgerichts Stuttgart im Juni 1948 zu zwei Jahren Zuchthaus mit anschließender Aberkennung der Ehrenrechte wegen Beihilfe zu schwerer Brandstiftung.

Olpp hatte nach Kriegsende versucht, unerkannt zu bleiben. Ab dem Frühsommer 1945 lebte er unter dem Namen Hans Kolb in Plieningen auf den Fildern, wo er von einem früheren SA-Mitglied jedoch erkannt und bei der amerikanischen Militärpolizei angezeigt wurde. Vom 3. März 1948 bis 2. März 1949 saß Olpp in Ludwigsburg in Lagerhaft. Im August 1950 sprach ihn das Landgericht in Würzburg dann im Fall Rieneck schuldig: Hans Olpp erhielt fünf Jahre Haft wegen Totschlags. Dass er bereits im November des selben Jahres vorläufig entlassen und später begnadigt wurde, hatte er dem guten Leumund mehrerer Kirchheimer Bürger und Amtsträger zu verdanken. Der Kirchheimer Stadtamtmann Schweikert schreibt am 15. Oktober 1951 in Vertretung des damaligen Bürgermeisters Franz Kröning an das Würzburger Schwurgericht: „Soweit sein Wirken für die NSDAP in die Zeit des hiesigen Aufenthaltes fällt, wird jeder gerecht Denkende Herrn Olpp bestätigen müssen, dass er gegenüber politischen Gegnern weder gewalttätig, noch unduldsam war. Wo sich Härten ergaben, versuchte er auszugleichen, so gut er konnte. Ich glaube bestimmt, dass die Öffentlichkeit keinen Anstoß an seiner Begnadigung nehmen würde und möchte eine solche von hier aus aufs Wärmste empfehlen.“

Weniger Wärme strahlen die Fakten aus, die kaum von Duldsamkeit gegenüber politischen Gegnern zeugen: Im Zuge der Machtübernahme Adolf Hitlers waren die Brüder Hans und Walter Olpp, der damals als Kreishandwerksmeister tätig war, für die Verhaftung von zwölf Kirchheimer SPD- und KPD-Mitgliedern verantwortlich, die daraufhin ins KZ Heuberg gebracht wurden. Elf davon kamen wieder frei, nachdem sie schriftlich versichert hatten, sich nicht mehr politisch zu betätigen. Ein Kirchheimer Lehrer, der sich geweigert hatte, zu unterschreiben, blieb weiterhin in Haft.

Elfriede Krutsch hat ihre Hoffnung auf eine Gedenktafel in Rieneck noch nicht aufgegeben. Sie will weiter kämpfen und erhält dabei Unterstützung von oberster Stelle: Das Landratsamt Main-Spessart prüft zurzeit, ob der Gemeinderats-Beschluss gegebenenfalls aufzuheben sei. Dazu müsste die Frage geklärt werden, ob das Gedenken an Opfer des Nazi-Terrors wirklich das ist, wofür es von den Rienecker Stadtvätern gehalten wird: nicht öffentlich.

(Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Schriftenreihe des Stadtarchivs Kirchheim Band 21, „Kirchheim unter Teck“ 2006, Mainpost Würzburg)

Entnazifizierung – ein gescheitertes Modell

Das „Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ war die Grundlage für die politische Säuberung durch die alliierten Besatzungskräfte in Deutschland nach Kriegsende. Die sogenannten Spruchkammern, die für die Aufarbeitung in den Städten und Landkreisen zuständig waren, hatten während ihrer Arbeit in den Jahren 1946 bis 1948 mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen. Arbeitsüberlastung durch Personalmangel, schlechte Akzeptanz und Unterstützung in der Bevölkerung und zahlreiche Gesetzeslücken führten am Ende dazu, dass die Entnazifizierung in der deutschen und amerikanischen Literatur einhellig als gescheitert beurteilt wird. Insgesamt 83 Spruchkammern in Württemberg-Baden hatten mehr als 3,6 Millionen abgegebene Fragebögen zu bearbeiten, Zeugen zu befragen und Be- und Entlastungszeugnisse zu sichten. Die Betroffenen sollten fünf verschiedenen Klassen zugeordnet werden, die aktive NSDAP-Mitglieder, Nutznießer des Nazi-Regimes und Mitläufer voneinander trennten. 30 000 Meldebögen aus Kirchheim und den  Umlandgemeinden gingen allein bis August 1946 bei der Kirchheimer Spruchkammer im Amtsgerichtsgebäude ein. 40 Angestellte und 43  Beisitzer aus allen Parteien und Berufsgruppen teilten sich die Arbeit. Das Interesse an Mithilfe in der Bevölkerung war gering. Man hatte andere Sorgen. Die Furcht, sich unbeliebt zu machen, die Angst vor Repressalien, sollten Nazis eines Tages wieder in führende Ämter zurückkehren, führten dazu, dass das Verfahren nur schleppend vorankam. Die meisten Beisitzer hatten sich zudem gegenseitig entnazifiziert. Die Zahl der Betroffenen wurde zu Beginn erheblich unterschätzt. 1946 galten 47 Prozent der Befragten in Kirchheim und Umgebung als betroffen. Im sogenannten Befreiungsministerium war man davon ausgegangen, dass nur zehn Prozent der Meldebögen am Ende zu einer Verurteilung führen würden. Ab 1947 wurde es immer schwieriger, Mitarbeiter in den Spruchkammern zu finden. Es mangelte vor allem an Verwaltungsbeamten. 70 Prozent der Beamten in Kirchheim waren NSDAP-Mitglieder, die von der Militärregierung entlassen worden waren. Mitglieder demokratischer Parteien hingegen standen häufig im Verdacht, durch milde Beurteilungen um Stimmen ehemaliger Nazis zu werben. Ministerium und Länderrat drängten immer stärker auf einen Abschluss der Verfahren. Die Folge: Das Gesetz wurde zunehmend ausgehöhlt und vereinfacht. Die Zahl der „Persilscheine“, mit denen sich Beschuldigte von Nachbarn, Kollegen oder Geschäftspartnern reinwaschen ließen, wuchs. Immer mehr Meldebögen wurden gefälscht. Auch in Kirchheim spitzte sich im Herbst 1947 die Lage zu: Der Spruchkammer-Vorsitzende Horst Bitzer erhielt anonyme Drohungen, auf die Kammern in Backnang, Stuttgart und Esslingen wurden Bombenanschläge verübt, mit dem Ziel, Akten zu vernichten. Im März 1948 gab es einen Erlass des Ministeriums, sämtliche Fälle ab der Klasse zwei nur noch als Mitläufer einzustufen. Als Reaktion zog die KPD am 8. März alle ihre Beisitzer aus den Spruchkammern Württemberg-Badens zurück, verschärfte dadurch die Personalnot aber weiter. In Kirchheim galten Ende Mai 1948 sämtliche Fälle als abgearbeitet. bk