Lokales

Notlösung wird zur Dauereinrichtung

Containerdorf für Asylbewerber in Nürtingen gibt es seit einem Jahr – Ein Ende ist nicht in Sicht

Seit einem Jahr gibt es das Containerdorf für 120 Menschen auf dem Parkplatz der Nürtinger Berufsschule bereits. Aus einer Notlösung ist eine Dauereinrichtung geworden. Um die Flüchtlinge kümmern sich Ehrenamtliche, die sich oft von den Behörden im Stich gelassen fühlen.

Im Containerdorf bei der Berufsschule leben 120 Menschen aus aller Welt. Foto: Jürgen Holzwarth
Im Containerdorf bei der Berufsschule leben 120 Menschen aus aller Welt. Foto: Jürgen Holzwarth

Nürtingen. Den Flüchtlingen in Nürtingen wird auf vielfältige Weise ehrenamtliche Unterstützung zuteil. Überall, wo in der Stadt eine größere Unterkunft entstanden ist, fanden sich Menschen, die auf ganz unterschiedliche Weise Hilfe leisten, sei es durch Unterstützung bei Behördengängen und im Alltag, Sprachunterricht oder Beschäftigungsmöglichkeiten. Sie alle sind im Netzwerk Flüchtlingsarbeit Nürtingen (Nfant) organisiert. Die Asylsuchenden im Containerdorf unter der Adresse Kanalstraße 4 werden von der Flüchtlingshilfe K4 betreut.

In den Containern sind 120 Menschen untergebracht, zehn Familien mit 16 Kindern unter 18 Jahren und allein stehende Männer, berichtet Ragini Wahl, die Beauftragte für Flüchtlingsfragen im evangelischen Kirchenbezirk. Ein Ende sei nicht absehbar. Wenigstens gebe es mittlerweile Dächer zwischen Wohn- und Sanitärcontainern.

Nachdem am Anfang noch viele kleinere Kinder dort waren, achtet die Verwaltung nun darauf, dass Familien mit Kindern unter zehn Jahren in richtigen Häusern untergebracht werden. Es ist ein Kommen und Gehen. Ein ganzes Jahr ist kaum jemand im Container. Manche dürfen bleiben und sich eine richtige Wohnung suchen, einige reisen freiwillig aus, und einige wurden schon am frühen Morgen von der Polizei zur Abschiebung abgeholt. Eine Familie hatte den Ablehnungsbescheid erst einen Tag zuvor erhalten, erzählen die Ehrenamtlichen.

Waltraud Schmid ist Ansprechpartnerin für Begleitung zu Arztterminen, die Kunsttherapeutin Irmhild Sellhorst ist nicht nur ehrenamtlich tätig und hat ein Theaterprojekt initiiert, sondern hat auch eine 25-Prozent-Stelle bei der Caritas, wo sie die Ehrenamtlichen im Kreis koordiniert. Marion Nau ist von Anfang an Mitglied von K4 und macht den Flüchtlingen Beschäftigungsangebote wie einen Strick- und Nähkreis für die Frauen, außerdem organisiert sie die Willkommensfeste für die Flüchtlinge. Sie und viele andere versuchen, aus der Situation das Beste zu machen. „Man kann nicht früh genug anfangen, soziale Kontakte zu knüpfen“, sagt Ragini Wahl. Nur so kann Integration gelingen.

Ganz reibungslos verläuft das Zusammenleben von so vielen Menschen auf engstem Raum nicht. Es gab bereits körperliche Auseinandersetzungen, manchmal Lärmbelästigungen, Probleme mit der Sauberkeit, auf der anderen Seite jedoch einen guten Zusammenhalt untereinander und viel Verständnis füreinander. Die meisten Konflikte werden friedlich beigelegt.

Die Sprache dabei ist Deutsch. Seit Juli hat die AWO, die die Flüchtlinge hauptamtlich betreut, einen Lehrer eingestellt, der Anfängerkurse gibt. Die Kinder gehen in Vorbereitungsklassen, wenn die Eltern es wollen. Vieles von diesem Angebot wurde von den Bürgern organisiert, nicht vom Staat. „Der Staat hat nie begriffen, dass die Sprache der Schlüssel ist. So könnte man viele Konflikte vermeiden“, kritisiert Ragini Wahl.

Konflikte ließen sich auch vermeiden, wenn die Menschen nicht mit ihren Traumata alleine gelassen würden. Organisationen, die sich um traumatisierte Flüchtlinge kümmern, haben lange Wartezeiten, sagt Irmhild Sellhorst. „Wenn der Staat hier nichts tut, schafft er sich eine Problemgruppe.“ Menschen, die orientierungslos sind, die teilweise aggressiv werden. Nichts zu tun zu haben, sei nicht gut. „Wir bräuchten mehr geringfügige Beschäftigungsangebote“, fordert Ragini Wahl. Die Asylbewerber können bei der Kommune für einen Stundenlohn von 1,05 Euro gemeinnützige Arbeiten übernehmen – wenn sie angeboten werden.

Dass sich in erster Linie die Ehrenamtlichen darum kümmern, dass sich die Flüchtlinge im Alltag zurechtfinden, sorgt bei diesen für ein gewisses Frustrationspotenzial: „Das sollte professionalisiert werden“, finden sie. „Ich stoße manchmal emotional an meine Grenzen“, sagt Waltraud Schmid. Bei den Profis ist jedoch eine Person für 180 Menschen zuständig. Das, was an Betreuung nötig sei, erledigten zu 80 Prozent die Bürger. Aus Nächstenliebe, sagt Marion Nau, macht sie weiter. „Dieser innere Spagat wird ausgenutzt“, bemerkt Ragini Wahl.

Es sind nicht nur die Behörden, auch manche Flüchtlinge machen es den Ehrenamtlichen schwer, ihnen zu helfen. Ihnen wird mit Misstrauen begegnet, sie werden für Spione gehalten von den Menschen, die von staatlicher Seite nichts Gutes erwarten. „Es braucht eine Weile, bis Vertrauen da ist“, so Marion Nau. Wenn es dann da ist, gibt es viele wunderbare Begegnungen.