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Ob sinnvoll oder nicht, man braucht ein Ziel

Michi Wohlleben berichtet in Owen, wie er als Profi-Bergsteiger seine Grenzen auslotet

Mit 21 Jahren erzählt Michi Wohlleben schon die abenteuerlichsten Geschichten von seinem Leben als „Professional Alpinist“. In Owen ließ er seine Zuhörer an Expeditionen und Touren in fünf verschiedenen Kontinenten teilhaben.

Andreas Volz

Owen. „Impulse, die bewegen“ heißt die Veranstaltungsreihe der Owener SV-Gebietsdirektion, in der Michi Wohlleben sich und sein Tun vorstellte. Der Titel seines Vortrags ist für ihn Programm: „Auf der Suche nach der Grenze“. Ständig lotet er seine Grenzen aus und erfährt dabei auch ein besonderes Glück, das ihn weitermachen lässt. Erfahrungen aber, bei denen gewisse Grenzen bereits überschritten worden sind, haben ihn immer wieder zum Nachdenken über Sinn und Unsinn seiner Berg- und Klettertouren gebracht.

Wie man überhaupt dazu kommt, sich mit 21 Jahren Profi-Bergsteiger zu nennen, wollte Michael Wohlleben in Owen erklären. Begonnen hat alles zufällig, aber zünftig: mit 400-Meter-Felswänden oder Eisklettertouren in der Jugendgruppe des DAV Künzelsau. Weiter ging es mit dem DAV-Expeditionskader, und mit 16 folgte zum ersten Mal die Eiger-Nordwand. „Ich war jung und hatte wenig Erfahrung“, meint Michi Wohlleben im Rückblick, und es klingt so, als wäre es schon mindestens 20 Jahre her.

Mit zur ersten Eiger-Tour gehörte eine Biwak-Übernachtung, auf die Michi Wohlleben künftig verzichten wollte. Sein Ziel sei es später gewesen, zum Mittagessen wieder zuhause zu sein. Das erzählt der junge Berg-Profi so locker, als sei die Eiger-Nordwand nichts anderes als ein Behördengang oder eine Einkaufstour.

Tatsächlich aber kam er seinem Ziel beharrlich näher: Die zweite Eiger-Tour endete bereits zum Sonnenuntergang – an einem Februartag wohlgemerkt – und dauerte nur noch 10:50 Stunden. Beim dritten Mal ging es noch schneller„Wir haben dann 5:10 Stunden geschafft, das ist weltweit die drittschnellste Zeit“, sagt Michi Wohlleben in seiner lässig-coolen Art und tut wieder so, als wäre es nichts Besonderes, sich auf dieser legendären Tour so weit vorne in den Rekordlisten einzutragen.

Für Michi Wohlleben müssen es aber gar nicht immer die hohen Berge sein. Zwischendurch genügt ihm auch ein kleiner Fels in einem deutschen Mittelgebirge. Nur anspruchsvoll genug muss dieser Felsen sein, der sich notfalls auch mit einem lädierten Knie bewältigen lässt. Selbst vor der Haustür gibt es Klettertouren genug, die es in sich haben und bei denen Michi Wohlleben sich als Erstbegeher einen Namen machen kann.

Lädiert war das Knie nach einem 300-Meter-Sturz in den Dolomiten. Dieser Sturz war einer der Punkte in Michi Wohllebens Karriere, nach dem er zweifelte, ob er das Richtige macht. Hartes Training gehört ja auch zu seinem Geschäft, und da stellt sich immer wieder die Frage: Wozu das alles? „Profi-Bergsteigen kann man anzweifeln“, gibt Michi Wohlleben durchaus zu. Andererseits beantwortet er die Sinnfrage für sich selbst sehr philosophisch: „Man braucht eben ein Ziel, ob es sinnvoll ist oder nicht.“

Ein anderer Punkt, der ihn manchmal zweifeln lässt, ist die extreme Kälte beim Eisklettern, etwa bei minus 27 Grad in der kanadischen Wildnis. „Das macht dann zum Teil keinen Spaß mehr“, gibt er zu, nur um im nächsten Moment zu sagen: „Das Gesamterlebnis muss halt stimmen.“

Eine besonders gute Sache, von der er unglaublich schwärmt, war eine Klettertour im Hohen Atlas, in der Taghia-Schlucht. Allein um dort hinzugelangen, muss der Berg-Profi Anwege in Kauf nehmen, die den normalen Bergwanderer stark herausfordern würden. Das bewies Michi Wohlleben in Owen anhand vieler eindrucksvoller Bilder. Viele davon hat er selbst gemacht. Für die spektakulärsten Bilder und Filme braucht er aber einen Fachmann, der mit ihm im Fels hängt. Das betont er immer wieder, weshalb er sich nicht nur bei seinen Sponsoren bedankt, sondern auch bei Fotograf Hansi Heckmair.

Den beeindruckendsten Film allerdings hatte Michi Wohlleben selbst gedreht. Zu diesem Zeitpunkt war er ganz allein auf 6500 Metern – mitten im pakistanischen Karakorum-Gebirge, unterhalb des 7027 Meter hohen Spantik. Er hatte wenige Tage zuvor mit seinem Expeditionsteam drei österreichischen Bergsteigern das Leben gerettet, die von einer Lawine verschüttet worden waren.

Der Bergführer der Österreicher war so schwer verletzt, dass er nur per Hubschrauber ins Tal gelangen konnte. Drei Tage lang warteten vier Leute auf zwei Helikopter. Dann aber waren alle zusammen zu schwer, und einer musste für die nächsten fünf Stunden zurückbleiben. Es war Michi Wohlleben. Gefilmt hat er nicht nur die Landschaft, sondern auch sich selbst. Sein Gesicht zeigt nichts als Verzweiflung und blankes Entsetzen.

Trotzdem zieht er folgendes Fazit der Spantik-Tour: „Ohne Gipfel war das eigentlich ein Flop. Aber die Leute zu retten, das war die beste Aktion, die ich bis heute gemacht habe.“ In diesem Fall zumindest stellt sich die Sinnfrage garantiert nicht.

Und auch morgen dürfte sich Michi Wohlleben nicht nach dem Sinn fragen, denn er hat wieder ein Ziel vor Augen: Er fliegt nach Peru, um den Jirishanca (6094 Meter) zu besteigen – selbstverständlich mit dem Versuch einer Erstbegehung. Die Bilder, die er vorab zeigte, machten eines deutlich: Außer ihm hätte wohl niemand im Herzog-Konrad-Saal seine Grenzen am Jirishanca suchen wollen.