Lokales

Rathaus: Kosten kontra Emotionen

Kontroverse Debatten bei der Bürgerinformation zur Zukunft der Jesinger Ortschaftsverwaltung

Über die Zukunft des Jesinger Rathauses soll noch im Februar eine Entscheidung fallen: Sanierung oder Neubau – so heißen die beiden Alternativen. Allerdings schlägt die Verwaltung dem Ortschafts- und dem Gemeinderat vor, das alte Gebäude abzubrechen und ein neues zu errichten. Grund dafür sind sowohl geringere Bau- als auch geringere Folgekosten.

Noch steht das alte Jesinger Rathaus. Diesen Monat soll sich aber bereits entscheiden, ob es eine Sanierung oder einen Neubau gi
Noch steht das alte Jesinger Rathaus. Diesen Monat soll sich aber bereits entscheiden, ob es eine Sanierung oder einen Neubau gibt. Foto: Jean-Luc Jacques

Andreas Volz

Kirchheim. Beim Bürgerinformationsabend in der Jesinger Schule stellte Ortsvorsteher Christopher Grampes zunächst einmal die Planungen vor, beginnend mit den Ergebnissen einer Teilnehmer-Befragung bei der Informationsveranstaltung ein Jahr zuvor: Demnach wünschen sich die Jesinger mehrheitlich, dass die Ortschaftsverwaltung am derzeitigen Standort bleibt und dass die Stadt Kirchheim auch künftig Eigentümerin des Verwaltungsgebäudes ist. Bei der Frage nach der Sanierung habe es nur noch eine knappe, aber immerhin noch absolute Mehrheit für den Erhalt des Gebäudes gegeben. Weil sich rund 20 Prozent nicht festlegen wollten, waren die Befürworter eines Neubaus bei der zurückliegenden Bürgerinformation klar in der Minderheit.

Das Raumprogramm, das Ortsvorsteher Grampes als nächstes vorstellte, gilt sowohl für eine Sanierung als auch für einen Neubau: Für fünf Arbeitsplätze benötigt die Ortschaftsverwaltung insgesamt drei Büroräume im ersten Stock. Hinzu kommen ein „soziokultureller Multifunktionsbereich“ samt Nebenräumen im Erdgeschoss und ein Sitzungssaal im Dachgeschoss, der ebenfalls multifunktional zu nutzen sein soll. Erreicht werden die einzelnen Stockwerke über ein Treppenhaus sowie über einen Aufzug. Für diesen Aufzug würde der alte Bau bei einer Sanierung eine größere Dachgaube auf der Rückseite erhalten, zu der sich auf der Vorderseite ein Pendant ähnlichen Ausmaßes gesellen würde.

Ein großer Unterschied in den Planungen besteht darin, dass der Neubau einen Keller erhalten würde, in dem sich die Registratur der Ortschaftsverwaltung unterbringen ließe. Deshalb müssten die Büros nicht mehr ganz so groß ausfallen. Überhaupt wäre der Neubau kleiner als das bisherige Rathaus: 351 statt 400 Quadratmeter. Auch die Grundfläche wäre entsprechend kleiner.

Das wirkt sich unter anderem auf die Baukosten aus: Während für die Sanierung Kosten von 2,26 Millionen veranschlagt sind, soll der Neubau „nur“ auf 1,66 Millionen Euro kommen. Zwar gäbe es für die Sanierung einen höheren Zuschuss, aber unter dem Strich blieben immer noch Kosten von 1,72 Millionen Euro gegenüber 1,36 Millionen Euro für einen Neubau. Außerdem ist es für den Zuschuss wichtig, dass die Rechnungen spätestens zum Jahresende 2015 eingereicht werden, weil dann die Ortskernsanierung Jesingen ausläuft. Beim Neubau wäre diese zeitliche Zielvorgabe machbar, betonte Christopher Grampes. Die Sanierung dagegen werde bis mindestens Mitte 2016 dauern. – Ein weiteres Argument, das aus Sicht der Verwaltung für einen Neubau spricht, sind die jährlichen Unterhaltskosten: Beim sanierten Rathaus lägen diese bei 118 000 Euro, beim Neubau dagegen um fast 30 000 Euro niedriger.

Für die Oberbürgermeisterin sind das „Argumente, die sich aufdrängen“ und die für einen Neubau sprechen. Aber eine Vorentscheidung sei trotz der entsprechenden Beschlussempfehlung noch nicht gefallen, betonte sie immer wieder. Die Bedeutung, die ein Rathaus – und zumal ein altes Gebäude – hat, sieht sie durchaus. Allerdings müsse die Verwaltung auch an die Zukunft denken und damit an die Kosten, die in der Zukunft entstehen. Außerdem werde selbst bei einer Sanierung nur ein Bruchteil des alten Gebäudes wirklich stehen bleiben. Aus dem 16. Jahrhundert stamme zudem nur der Dachstuhl des Gebäudes, und auch der lasse sich wohl nicht komplett erhalten.

Sehr emotional ging es bei den Wortbeiträgen der Zuhörer zu, auch wenn sich kein klares Meinungsbild ergab. Mit viel Leidenschaft argumentierten die Befürworter der Sanierung: Sie sprachen die Ensemblewirkung an – mit Kirche, Kelter, Pfarrhaus und Mühle. Sie nannten die frühere Funktion des Rathauses, unter anderem als Kindergarten und Schule. Sie beklagten, dass es – auch angesichts der Zeitnot – gar keine wirkliche Entscheidung mehr gebe, und bewerteten den Hinweis auf diesen Zeitdruck als ein Totschlagsargument gegen die Sanierung. Den geplanten Neubau dagegen bezeichneten sie abschätzig als „Starenkasten“ oder als „bessere Trafostation“.

Es gab allerdings auch genügend Befürworter des Neubaus, die für sich in Anspruch nahmen, den „vernünf­tigen“ Kostenargumenten zu folgen: Allein durch die Einsparung bei den jährlichen Kosten werde sich der Bau innerhalb von 50 Jahren von selbst bezahlt machen. Dagegen könne das Rathaus bei einer Sanierung zu einer „neuen Bruckmühle“ werden, und außerdem würde schon allein der Einbau eines Aufzugs den Charakter des alten Baus deutlich verändern.

Die Entscheidung wird alles andere als einfach – das ist die einzig sichere Erkenntnis des Informationsabends. Am Ende der Veranstaltung sagte Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker deshalb: „Ich hoffe, dass wir keinen Vermittlungsausschuss brauchen.“ Dieser Ausschuss würde gegebenenfalls einberufen werden, sollte der Jesinger Ortschaftsrat am kommenden Montag zu einem anderen Ergebnis gelangen als der Kirchheimer Gemeinderat am Mittwoch, 26. Februar.

Rathäuser zu GrünflächenKommentar

Die moderne Architektur hat es nicht leicht: Sie soll funktional sein und auf dem neu­es­ten energetischen Stand. Außerdem will sie ihren eigenen Ausdruck finden und mit ihrer eigenen Formensprache wahrgenommen werden. Geliebt aber wird sie nicht – allenfalls von den Vertretern der Avantgarde. Als Grund, warum seit der Eröffnung der S-Bahn-Linie nach Kirchheim so viele Tagestouristen in die Stadt kommen und voller Begeis- ­terung wieder gehen, dürfte wohl kaum ein Gebäude aus dem 20. Jahrhundert angeführt werden. Nur die Ensemblewirkung der Fachwerkhäuser aus dem frühen 18. Jahrhundert macht die Stadt so attraktiv.

Gebäude, die diese Ensemblewirkung stören, werden gemeinhin als „Bausünden“ bezeichnet. Auch die wortreichsten Erklärungen heutiger Architekten erreichen das Volk hier nicht. Die reine Funktionalität mag vielleicht den Kopf ansprechen, aber nicht das Herz. Ein altes Gebäude ist ein Wert an sich, der sich nicht in materielle Werte umrechnen lässt. Aus diesem Grund wäre das Jesinger Rathaus eigentlich zu erhalten. Andererseits aber kann die Stadt, die ausschließlich mit öffentlichen Geldern umgeht, nicht jedes alte Gebäude sanieren – koste es, was es wolle. Deshalb spricht die wirtschaftliche Vernunft ganz klar für den Neubau.

Was sich leider nicht abzeichnet, ist eine Kompromisslösung – höchstens eine nicht ganz ernst gemeinte. Der Vergleich mit der Bruckmühle, der in der Diskussion angeklungen ist, mag die Vorlage dazu geben: Anstatt der Bruckmühle könnte ja das Jesinger Rathaus abgerissen und zur Grünfläche am erlebbar gemachten Wasserlauf umgewidmet werden. Die Ortschaftsverwaltung zieht dann dauerhaft in das Gebäude, das als Übergangslösung während der Bauphase vorgesehen ist – und dort, wo seit über 500 Jahren das Rathaus steht, gibt es eine multifunktionale soziokulturelle Begegnungsstätte im Freien. Das spart sowohl Baukosten als auch Folgekosten und wäre auch energetisch ideal.ANDREAS VOLZ