Lokales

Schlechte Zeiten für Hartz IV-Mütter

Kreisdiakonie berichtet über Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatung

Immer mehr werdende Mütter treibt Existenznot in die Beratungsstellen der Diakonie im Kreis. Seit 2010 hat sich die Situation für Hartz IV-Empfängerinnen nochmals verschärft.

Die Fachberaterinnen bieten werdenden Müttern und Familien eine intensive Beratung und Begleitung an, auch über den Zeitpunkt ei
Die Fachberaterinnen bieten werdenden Müttern und Familien eine intensive Beratung und Begleitung an, auch über den Zeitpunkt einer Schwangerschaft hinaus oder nach einem Schwangerschaftsabbruch.Foto: Jean-Luc Jacques

Kreis Esslingen.Die Beratung von Frauen und Familien rund um das Thema Schwangerschaft wird zunehmend komplexer, klagt Renate Maier-Scheffler, die Fachbereichsleiterin Schwangerschaftskonfliktberatung und Schwangerenberatung im Kreisdiakonieverband Esslingen. Gesetzesänderungen und Antrags-bürokratie auf der einen Seite und vielschichtige Problemsituationen der Betroffenen auf der anderen Seite erfordern ein immer umfangreicheres Wissen und eine zeitlich sehr intensive Beratung und Begleitung durch Fachkräfte.

Seit Jahren belegen Statistiken, dass die Themen Existenzsicherung und finanzielle Situation für den überwiegenden Teil der werdenden Mütter in den Beratungsstellen der Diakonie im Landkreis mit die größte Belastung darstellen. Mit Beginn des Jahres 2010 hat sich diese Situation nochmals verschärft: Denn das jeder Familie zustehende Elterngeld wird bei Frauen, die Arbeitslosengeld II (Hartz IV) beziehen, seit Januar auf diesen Betrag angerechnet. „Ich halte dies für eine besorgniserregende Entwicklung. In dieser äußerst sensiblen Lebensphase, die bei vielen geprägt ist von Unsicherheit und Angst, da täte es gut, wenn wenigstens die finanzielle Situation entspannt wäre“, übt Renate Maier-Scheffler Kritik an dieser Praxis.

An einem kleinen Alltagsbeispiel verdeutlicht die Fachbereichsleiterin, was dies bedeuten kann: „Eine alleinerziehende Mutter ohne Auto erzählte mir, dass sie nachts voller Angst stundenlang ihr schreiendes und fieberndes Kind getragen habe, da sie das Geld für ein Taxi zum Notdienst nicht habe aufbringen können.“ Anstatt Betroffene in dieser Phase finanziell zu stützen, werde die Grundversorgung nach und nach schwieriger, und man könne über private Stiftungen und Hilfsfonds lediglich versuchen, die Frauen und ihre Kinder wenigstens mit einer Einmalhilfe kurzfristig zu entlasten. Renate Maier-Scheffler wundert es deshalb nicht, dass viele Frauen und Paare mehr als nur einmal zur Beratung kommen. 701 Frauen und Paare betreuten die Beratungsstellen in Esslingen und Nürtingen im vergangenen Jahr. „Es sind wenige, die nur einmal kommen, mit den meisten führen wir mehrere Gespräche, manche begleiten wir auch über einen längeren Zeitraum und durch unterschiedliche Lebenssituationen hindurch.“

Das Konzept der flankierenden Hilfe in allen Lebenslagen gehört seit jeher zum Profil des Kreisdiakonieverbandes; ein Angebot, das es bereits seit dem Jahr 1977 in Nürtingen und seit 1979 in Esslingen gibt. Elke Schwandner, Diplom-Sozialpädagogin und Fachberaterin der Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung in Esslingen, belegt dies an einem aktuellen Beispiel: „Vor zwei Jahren habe ich ein junges Paar betreut, beide unter 20 Jahre, die sich für ihr Kind entschieden hatten. Vor Kurzem meldeten sie sich wieder, baten um Unterstützung, weil es in der Beziehung kriseln würde.“

„Wir als Fachberaterinnen in der Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung nehmen darüber hinaus gleichzeitig viele Rollen ein“, ergänzt die Nürtinger Fachberaterin Dorothee Zeile. „Wir sind Therapeutinnen, Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen.“ Nur Wissen parat zu haben, das reiche bei Weitem nicht aus. „Das Wichtigste für uns ist es, in dieser ganz großen Krisensituation Schwangerschaftskonflikt die Menschen zu erreichen. Und dies in einer Situation mit enormem Zeitdruck, in der oftmals der zunächst einzige Gesprächsgrund ist, den sogenannten ‚Schein‘, der zu einem Schwangerschaftsabbruch benötig wird, mitzunehmen.“

Seit einigen Jahren spüren die Beraterinnen vor allem in der Schwangerschaftskonfliktberatung auch die Auswirkungen der neuen Medien in der Beratungsarbeit, denn viele Frauen kommen bereits mit Informationen zum Gespräch, die sie im Internet gefunden haben: „Wir erleben immer häufiger, dass sich Klientinnen vorab im Netz über einen Schwangerschaftsabbruch informiert haben und nun Genaueres wissen wollen“, so Elke Schwandner. „Gerade in solchen Situationen wird klar, dass das Internet eine persönliche Beratung nicht ersetzen kann, denn nur hier gibt es Raum, unmittelbar Erfahrenes, aber auch im Internet Gelesenes zu reflektieren.“

Noch etwas veränderte sich in der Beratungsarbeit in den vergangenen zwei Jahren: Die Beraterinnen stellen eine weiter steigende Komplexität in Sachen Anträge und Kommunikation mit verschiedenen Einrichtungen wie Jobcenter oder Ausländerbehörde fest. Ohne Unterstützung kämen werdende Mütter schlecht zurecht, so die Erfahrung. Auch bei Fragen rund ums Elterngeld ist nach wie vor Informationsbedarf bei den Betroffenen da. Dies hat der Kreisdiakonieverband Esslingen zum Anlass genommen, einmal im Monat eine offene Sprechstunde in Nürtingen anzubieten. Seit dem Start im Dezember 2009 wird sie nach wie vor gut angenommen.

Renate Maier-Scheffler und ihr Team hoffen nun darauf, dass die Rahmenbedingungen für Familien freundlicher werden, angefangen bei den Kinderbetreuungsplätzen: „Die unzureichenden Möglichkeiten sind noch immer ein massiver Hinderungsgrund für viele Frauen, wieder Arbeit zu finden.“ Und eine weitere dringende Bitte richtet die Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle Nürtingen an die Adresse der neuen Landesregierung: „Es darf nicht passieren, dass nach der Anrechnung des Elterngelds im ALG II auch noch das Landeserziehungsgeld gestrichen wird.“ Im Gegensatz zur Entscheidung in Sachen Elterngeld liegt diese Entscheidung in der Hoheit der Länder. Familienfreundliche gesellschaftliche Bedingungen sind in der Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung neben kompetenter, verlässlicher Beratung dringend notwendig.pm