Lokales

Schwere Kämpfe und schlechte Cigarren

Christian Kuch beschreibt seinen Kriegseinsatz im Zeitraffer – Ernst Ruoff schickt eine humorige Beschwerde

In der heutigen Folge der Teckboten-Serie „Erzählte Geschichte – hundert Jahre Erster Weltkrieg“ geht es um zwei völlig unterschiedliche Geschichten: Christian Kuch aus Gutenberg hat fast im Zeitraffer zusammengefasst, wie er den Krieg zwischen 1915 und 1918 erlebt hat. Von Ernst Ruoff aus Kirchheim dagegen hat sich im Stadtarchiv ein Brief erhalten, in dem er sich über die schlechte Qualität der Zigarren in seinem Liebesgabenpaket beschwert.

Christian Kuch aus Gutenberg als Weltkriegs-Soldat in Flandern. Das Foto stammt aus dem Jahr 1917. Seinen Aufzeichnungen zufolge
Christian Kuch aus Gutenberg als Weltkriegs-Soldat in Flandern. Das Foto stammt aus dem Jahr 1917. Seinen Aufzeichnungen zufolge war er 1917 mehrfach in Flandern im Einsatz.Foto: privat

Kirchheim. Jutta Meyer aus Jesingen hat außer den handschriftlichen Aufzeichnungen ihres Großvaters Christian Kuch auch noch zwei Fotos in der Teckboten-Redaktion vorbeigebracht. Wie damals durchaus üblich, ist eines der Fotos auf der Rückseite beschrieben. Ort und Datum gibt er folgendermaßen an: „Im Schützengraben, den 22. Mai 1917“. Gerichtet sind die Zeilen an „Meine l[iebe] Marie!“ Jutta Meyer geht davon aus, dass es sich bei dieser Marie um die Schwester ihres Großvaters handelt. Christian Kuch bedankt sich in dem Schreiben für Post, die er erhalten hat, und fügt hinzu: „Hätte dir schon bälder geschrieben, glaubte aber immer, ich könnte mich persönlich bedanken in allernächster Zeit, komme aber noch diesen Monat nach Hause, dann denke ich, werden wir schon zusammentreffen.“

Aus Christian Kuchs sonstigen Aufzeichnungen geht nicht hervor, ob er im Mai 1917 tatsächlich „nach Hause“ kam. Dafür aber lässt sich der Aufzählung seiner Einsatzorte entnehmen, wo sich der Schützengraben befunden haben muss, aus dem heraus er das Bild an Marie geschickt hat: in Ypern in Flandern. Etwa zur selben Zeit muss auch das andere Bild entstanden sein, das Jutta Meyer von ihrem Großvater besitzt. Auf der Rückseite befindet sich der Vermerk: „Flandern 1917“. Christian Kuch (geboren im „Drei-Kaiser-Jahr“ 1888) war damals 28 Jahre alt, vielleicht auch schon 29, ein genaues Datum der Aufnahme ist nicht angegeben.

Christian Kuchs Erinnerungen beschreiben in einigen wenigen Zeilen – kaum mehr als 60 sind es –, wo und wie er nahezu vier Kriegsjahre überstanden hat. Überwiegend handelt es sich dabei um Daten, um Einsatzorte sowie um Regimenter und Kompanien, in denen er jeweils eingesetzt war. Interessant ist, dass er zunächst über sich in der dritten Person schreibt: „Christian Kuch ist ausmarschiert am 10. April 1915 zum Landwehr Inf. Rgt. 120, 8. Kompanie“.

Nicht lange sollte es dauern, bis der Gutenberger mitten im Kriegsgeschehen angekommen war. Und auch grammatisch beginnt es bereits im zweiten Satz, persönlicher zu werden. Zumindest andeutungsweise kommt Christian Kuch schon zur ersten Person, wenn auch noch im Plural: „Am 23. April 1915 schwere französische Angriffe abgeschlagen im Walde von Apremont, waren dort im Stellungskampf bis 10. Dezember. 1915 im Juli einen Sturmangriff bei St. Mihiel u.s.w.“ Apremont und St. Mihiel liegen nur wenige Kilometer voneinander entfernt in Lothringen, etwa 30 Kilometer südlich von Verdun.

Dorthin ging es dann als nächstes, und erstmals schreibt Christian Kuch „wir“: „Am 10. Dezember 15 kamen wir nach Verdun.“ Von dort aus geht es weiter, einige Kilometer nach Westen, mitten hinein in die heftigsten Kämpfe, und schließlich schreibt Christian Kuch auch einmal „ich“: „am 20. März 1916 großer Sturmangriff im Wald von Avocourt, Malancourt am 23. März 1916 wurde ich kampfunfähig durch Verstauchung des rechten Beines u. kam glücklicherweise nach Deutschland“.

Er ist dort in Regimentern in seiner württembergischen Heimat, zuletzt in Ulm. Und in atemberaubendem Tempo schreibt er weiter: „im Oktober versetzt [...] nach Ulm, wo ich dann Ende Oktober wieder an die Front kam zum Res. Inf. Rgt. 120, 9. Komp., wo ich gleich an den Sommekämpfen teilnahm“. Christian Kuch, dem Soldaten aus dem Lenninger Tal, blieb also nicht viel erspart. Trotzdem hat er sämtliche Einsätze überlebt.

Allerdings ist es nicht so, dass die Soldaten ständig an vorderster Front im Einsatz waren. Christian Kuch schreibt auch von Ablösung und von Ruhephasen. Im Januar 1917 beispielsweise „wurden wir abgelöst und kamen als Grenzschutz an die holländische Grenze“. Dort gibt es wieder ein Ereignis, das ihm persönlich nahegeht. In diesem Fall ist es für ihn eine äußerst positive Angelegenheit: „Dort erhielt ich [...] die silberne Verdienstmedaille.“

Zwischen den Ruhephasen gibt es immer wieder die heftigsten Kämpfe, die Christian Kuch gleichfalls nur andeutet. Im Frühjahr 1917 ist er wieder einmal im flandrischen Ypern, wie bereits Ende 1916. Für Juni 1917 notiert er: „... wurden dann bald abgelöst wegen großer Verluste u. kamen in Ruhe nach Lothringen.“

Und weiter geht es: schon im August 1917 wieder nach Flandern, in diesem Fall nach Langemarck, nördlich von Ypern. Abermals gibt es ein wichtiges Ereignis und damit einen Grund für den Chronisten, wieder direkt von sich selbst zu schreiben: „... am 30. Aug. bekam ich Gasvergiftung u. kam in belg. Lazarett, von dort aus in die Heimat.“

Nach der Genesung ging es im Januar 1918 zum „Grenadier-Regiment 119 Stuttgart“, bevor Christian Kuch im Mai 1918 eine Dienstreise in eine ganz andere Gegend antrat, wo er schließlich auch das Ende des Ersten Weltkriegs erleben sollte: „... am 10. Mai kam ich als garnisonsdienstfähig in die Ukraine nach Kiew zur Württemb. mob. Bahhofskommandantur 269 (Personenbahnhof), erkrankte am 4. Nov. u. kam ins Laz. u. am 10. Nov. nach Kowel, von dort aus wurde ich Ende Nov. nach Deutschland zum Ers. Battl. Grenadier Rgt. 119 Stuttgart geschickt u. als Gemeiner entlassen.“

„Gemeiner“ bedeutet natürlich nicht, dass er hinterhältig war oder Gemeinheiten begangen hätte. Es war vielmehr die übliche Bezeichnung für einen einfachen Soldaten ohne Dienstgrad.

Christian Kuch hat vier Jahre lang – zumindest im Westen – so ziemlich jeden der Kriegsschauplätze gesehen, die auch heute noch sofort genannt werden, wenn vom Ersten Weltkrieg die Rede ist. Aber auch Kowel in der Ukraine war als Eisenbahnknotenpunkt heftig umkämpft gewesen, speziell im Sommer 1916.

Der lapidare Stil, in dem Christian Kuch merklich distanziert aufzählt, wann er wo im Einsatz war, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sicher viel an furchtbaren und grauenhaften Erlebnissen zu verarbeiten hatte. Ob er aber gerade deswegen nur Fakten anführt, weil er Emotionales gar nicht erst schildern will, bleibt natürlich Spekulation.

Seine Enkelin Jutta Meyer sagt, dass sie nur „vage Erinnerungen“ an ihren Großvater hat, weil sie noch zu klein war, als er 1954 starb. Erzählt habe er sehr wohl von seinen Kriegserlebnissen. Aber Jutta Meyer weiß nicht, was er genau erzählt hat. Sie selbst hatte damals noch nicht viel mitbekommen, und später – nach dem Tod Christian Kuchs – seien diese Geschichten in der Familie nicht mehr so sehr thematisiert worden.

* * *

Der Gefreite Ernst Ruoff aus Kirchheim schreibt im Gegensatz zu Christian Kuch durchaus emotional. Aber er schildert auch nicht seinen gesamten Kriegseinsatz in wenigen Worten . Er macht lieber „viel Rauch um nichts“. Es geht ihm darum, sich direkt bei „Frau Stumpf“ vom „Cigarren-Geschäft“ in der „Karlsstr. 55“ in Kirchheim zu beschweren. Benannt war die Straße einst nach dem württembergischen König Karl I., inzwischen heißt sie längst „Max-Eyth-Straße“.

Ernst Ruoff muss einen besonderen Humor gehabt haben oder eben doch ein besonderes Humorverständnis. In seinem Brief vom 15. April 1915, der jetzt bei der Auswertung der Feldpost im Stadtarchiv zutage gefördert wurde, schreibt er: „Gestern habe ich von der Stadtgemeinde Kirchheim ein Liebesgabenpaket erhalten, in dem auch Cigarren von Ihnen waren. Leider habe ich gleich feststellen müssen, daß man diese ,Marke‘ nur auf hohen Bergen rauchen kann, aber nicht im Argonnenwald, sonst laufen uns die Franzosen davon u. wir hätten das Nachsehen.“

Geraucht wurde wohl viel an der Front, denn Ernst Ruoff schreibt weiter: „Unsere Cigarren, die wir jeden Tag von der Kompagnie erhalten, sind auch nicht die besten, doch immerhin noch um vieles besser. Sagen darfs ich meinen Kameraden auch nicht, sonst werde ich noch ausgelacht u. meine ganze Heimatgemeinde samt dem Magistrat wird verspottet.“

Dann wird es ihm aber vielleicht selbst zu viel, und er beschwichtigt die Adressatin: „Sie dürfen sich aber durch diese Zeilen nicht beleidigt fühlen, das habe ich damit gar nicht im Sinn. Ich weiß von früher her, daß Sie sogar sehr gute Cigarren haben.“ Bereits im April 1915 bezeichnet sich Ernst Ruoff als einen „alten Krieger“, der sowohl „derb u. grob“ als auch „ein gemütlicher Kerl“ sein könne.

Und schon versucht er sich im galanten Stil und entschuldigt sich dafür, dass er vergessen hat, wie man sich Frauen gegenüber benehmen sollte: „Umgang mit Damen haben wir, seit wir im Feld sind, auch nicht mehr. Wir können uns nicht mehr recht vorstellen, wie überhaupt ein Fräulein oder eine Frau in Wirklichkeit aussieht.“ Anschließend beschreibt der Kirchheimer Gefreite ein wenig seinen Soldatenalltag, und es stellt sich beim Lesen die Frage, ob es immer noch humorvoll gemeint ist oder ob nicht doch ernstere Gedanken und Emotionen dahinterstecken: „Seit September liegen wir im Argonnenwald in den Schützengräben u. sehen nur noch den abgeschossenen Wald, auch wenn wir abgelöst sind, liegen wir nur eine halbe Stunde weiter zurück in einer Waldschlucht in unseren selbstgebauten Hütten. Da sieht man weiter auch nichts als Wald. Nur mit Granaten kommen wir jeden Tag in Berührung. Da bin ich bisher immer noch glimpflich davongekommen.“

Ob er bis zum Ende glimpflich davongekommen ist, lässt sich nicht sagen. Das müsste noch mit weiteren amtlichen Daten im Archiv abgeklärt werden. Zumindest aber ist am Ehrenmal auf dem Alten Friedhof in Kirchheim ein Ernst Ruoff unter den gefallenen Kirchheimer Soldaten aufgeführt. Deshalb soll hier auch das versöhnliche Ende seines humorigen „Beschwerdebriefs“ am Schluss stehen: „Also nichts für ungut wegen der Cigarren, es ist nicht so bös gemeint.“