Lokales

Spannendes Amt zwischen Lust und Frust

Drei Weilheimer Stadträte im Gespräch über Kommunalpolitik, Ehrenamt und Engagement

Die Bereitschaft, bei Wahlen zu kandidieren, ist gering. Auch auf kommunaler Ebene haben Parteien und Wählervereinigungen Schwierigkeiten, ihre Listen zu füllen. Dabei gibt es viele gute Gründe dafür, sich kommunalpolitisch zu engagieren, wie ein Gespräch mit drei Stadträten aus Weilheim zeigt.

Drei Generationen, drei Fraktionen, drei Stadträte: Karl Mohring (links), Martina Herrlinger und Patrick Mehring tauschen sich ü
Drei Generationen, drei Fraktionen, drei Stadträte: Karl Mohring (links), Martina Herrlinger und Patrick Mehring tauschen sich über Entwicklung und Herausforderungen der Kommunalpolitik aus.Foto: Jean-Luc Jacques

Weilheim. Seit 39 Jahren sitzt Karl Mohring im Weilheimer Ratsrund – und ist der Kommunalpolitik kein bisschen müde. „In meiner Zeit als Stadtrat habe ich viel Freude gehabt, aber nur wenig Frust erlebt“, resümiert er. Für den 67-Jährigen und Rats-Ältesten ist es keine Frage, sich ein weiteres Mal für die Freie Wählervereinigung Weilheim aufstellen zu lassen. Auch für Patrick Mehring und Martina Herrlinger steht fest: Sie werden bei der Kommunalwahl am 25. Mai wieder kandidieren. „Ich finde es spannend, zu sehen, wie es zu Entscheidungen kommt“, sagt Patrick Mehring, der seit eineinhalb Jahren für die Unabhängige Wählervereinigung im Gemeinderat sitzt und mit seinen 23 Jahren jüngster Stadtrat in Weilheim ist. „Man kann Akzente setzen und Entwicklungen begleiten“, weist Martina Herrlinger auf Gestaltungsmöglichkeiten direkt vor Ort hin. Die 50-Jährige wurde 2004 für die Soziale Bürgervereinigung in den Weilheimer Gemeinderat gewählt und ist eine von drei Frauen im Gremium.

So selbstverständlich es für die drei Stadträte sein mag, sich aktiv in die Kommunalpolitik einzubringen – das Gros der Bevölkerung hält sich lieber zurück. Das gilt landesweit, aber eben auch für Weilheim. „Es ist enttäuschend, dass sich in einer Stadt mit 10 000 Einwohnern nicht so leicht drei Listen mit jeweils 18 Personen füllen lassen“, bedauert Patrick Mehring. Alle drei Wählervereinigungen der Zähringerstadt hatten Schwierigkeiten, genügend geeignete Kandidaten zu finden. „Immer wieder kommen Absagen wegen Job und Familie“, sagt Karl Mohring und zieht den Vergleich zu früher: „Die Bereitschaft hat abgenommen.“ Eine Tatsache, die Patrick Mehring bedauert. „Die Kommunalpolitik betrifft die Bürger doch am direktesten. Sie spielt sich vor der Haustür ab“, gibt er zu bedenken.„Heute sind die Menschen allenfalls noch für Projekte zu begeistern“, hat Martina Herrlinger festgestellt. „Wenn es darum geht, sich über längere Zeit zu binden, wird es schon schwieriger.“

Ein Blick auf die Zusammensetzung der Gemeinderäte in Baden-Württemberg offenbart, welche Bevölkerungsgruppen unterrepräsentiert sind: Frauen und junge Menschen. In Baden-Württemberg liegt der Frauenanteil in den Gemeinderäten bei 22 Prozent, in Weilheim derzeit bei 20 Prozent. Dass der Sprung zur 50-Prozent-Marke noch so groß ist, hat aus der Sicht von Martina Herrlinger verschiedene Gründe. „Viele Frauen sind heute mit Beruf und Familie beschäftigt und trauen sich zeitlich nicht zu, nebenher noch ein solches Ehrenamt zu stemmen.“ Der einzige Grund sei das jedoch nicht: „Frauen, die auf den Listen stehen, werden nicht so häufig gewählt wie Männer“, bedauert sie.

Was das Durchschnittsalter in den baden-württembergischen Gemeinderäten angeht, gibt es zwar keine verlässlichen statistischen Quellen. Untersuchungen zufolge ist der Großteil der Gemeinderatsmitglieder jedoch älter als 45. In Weilheim beträgt der Altersschnitt 50,5 Jahre. „Bei jungen Menschen ist das Interesse oft nicht da“, hat Patrick Mehring beobachtet. „Manche wissen noch nicht einmal genau, was der Gemeinderat eigentlich macht.“ Darüber hinaus stünden oft andere Hobbys im Vordergrund. Komisch angeschaut worden ist Patrick Mehring aber nicht, als er sich 2009 zur Wahl stellte und 2012 als erster Nachrücker Einzug ins Gremium hielt: „Mein Freundeskreis und andere Gleichaltrige haben das absolut positiv aufgenommen.“

Nicht immer sind es jedoch zeitliche Gründe oder Desinteresse, die Bürger an politischem Engagement hindern. „Viele haben auch Sorge, dass sie nicht gewählt werden“, weiß Karl Mohring. „Sie haben Furcht vor einer Blamage, die es ja gar nicht ist.“ Nicht selten braucht es mehr als einen Anlauf, bis ein Kandidat tatsächlich in den Gemeinderat gewählt wird. „Ich bin beim ersten Mal auch nicht reingekommen“, sagt Martina Herrlinger. Abschrecken habe sie sich davon nicht lassen. Stattdessen versuchte sie es wieder – und schaffte den Sprung ins Ratsrund. „Das war für mich eine unglaublich Freude“, erinnert sie sich zurück. Auch Patrick Mehrig musste drei Jahre warten, bis er in den Gemeinderat nachrückte. „Das war aber kein Problem für mich“, sagt er. Auf Anhieb gewählt wurde 1975 der junge Karl Mohring. „Ich hätte nie damit gerechnet und es war eine große Ehre für mich“, erzählt er. 28 Jahre alt sei er gewesen, der Altersdurchschnitt damals mit knapp 60 Jahren noch höher als heute.

„Ich habe viel gelernt“, resümiert Karl Mohring. Knapp 40 Jahre als Stadtrat hätten ihn gelehrt, über den Tellerrand hinauszublicken und andere Denkweisen anzunehmen. „Auch fürs Privatleben lernt man dazu“, ist er überzeugt. So habe er sich zu Herzen genommen, langfristiger und vorausschauender zu planen. „Man bekommt ein ganz anderes Verständnis für so manches Handeln, wenn man selbst mitmacht“, betont Patrick Mehring. Ganz anders als früher reagiert Martina Herrlinger auf Kritik in Sachfragen: „Durch die Einblicke kann man ganz anders argumentieren“, sagt sie und fügt hinzu: „Das macht Spaß.“

Neben Freude gibt es für die Stadträte aber immer wieder auch frustrierende Entwicklungen und Erlebnisse. „Unser Einsatz wird oft nicht richtig honoriert“, bedauert Karl Mohring und erhält Zustimmung von seinem jungen Gemeinderatskollegen: „Das zeigt sich an den Sitzungen“, sagt Patrick Mehring. Allzu oft seien die Zuschauerränge leer oder spärlich besetzt. Ganz besonders getroffen hat das die Städträte in ihrer jüngsten Sitzung. „Da waren unsere Haushaltsreden dran“, sagt Karl Mohring. „Und das Haushaltsrecht ist doch das Königsrecht des Gemeinderats.“

„Viele sehen das große Ganze nicht mehr“, analysiert Patrick Mehring. „Statt für gesellschaftliche Themen interessieren sich die Menschen nur noch für Dinge, die sie selbst betreffen.“ Das hat auch Karl Mohring schon oft genug am eigenen Leib erfahren. „Wenn es um die eigene Sache geht, rufen die Leute mich sogar nachts an.“

Festgestellt hat Patrick Mehring auch, dass das Anspruchsdenken an die Gemeinde und den Gemeinderat wächst. „Dabei haben wir einen hohen Standard, eine gute Infrastruktur und sind bei der Kinderbetreuung gut aufgestellt.“ So hält es Karl Mohring auch für möglich, dass geringe Präsenz der Bürger nicht nur Zeichen für mangelndes Interesse ist, sondern auch Ausdruck von Zufriedenheit. „Weilheim ist ja auch ein nettes Städtchen“, betont er.

Dafür, dass das so bleibt, wollen sich die Stadträte auch künftig einsetzen. „Aus meiner Sicht ist die Innenstadtentwicklung das nächste große Thema für Weilheim“, sagt Martina Herrlinger. Eine wichtige Frage sei, wie sich der Einzelhandel trotz Internet stärken lässt. „Das Finanzielle wird eine große Herausforderung werden“, ist sich Patrick Mehring sicher. Karl Mohring sieht eine essenzielle Aufgabe darin, die bestehende Infrastruktur im Ort zu erhalten. Genau da erkennt er auch den Wandel, der sich in den vergangenen vier Jahrzehnten vollzogen hat. „Vor 40 Jahren herrschte Aufbruchstimmung“, so Mohring. Es kamen neue Baugebiete, neue Einrichtungen und Infrastruktur. Nach jahrelangem Aufbau verlagerten sich die Aufgaben der Kommune nun in den erhaltenden und sozialen Bereich.