Lokales

Steigende Armut führt „mitten rein in die Krise“

Michael Sommer, Bundesvorsitzender des DGB, sprach auf einer Stippvisite in Kirchheim zur Maikundgebung vor dem Rathaus

Die europäische Schuldenkrise war das beherrschende Thema der Maikundgebung vor dem Kirchheimer Rathaus. Der prominente Hauptredner, der DGB-Bundesvorsitzende Sommer, stellte fest: „Die Krise muss man mit den arbeitenden Menschen überwinden, nicht gegen sie.“

Michael Sommer, der Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), bei seiner Rede vor dem Kirchheimer Rathaus.Foto:
Michael Sommer, der Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), bei seiner Rede vor dem Kirchheimer Rathaus.Foto: Markus Brändli

Kirchheim. Als Vorredner führte Bernhard Löffler, der Vorsitzende der DGB-Region Nordwürttemberg, ins Thema ein. Verschuldete Staaten stünden so unter Druck, „dass sie diesen an die Bevölkerung abgeben und wir – vor allem im Süden Europas – einen nie gekannten Sozialabbau, Lohnkürzungen und die Aushöhlung der Tarifautonomie erleben“. Das alles gehe „zu Lasten der kleinen Leute“.

Der DGB-Bundesvorsitzende Michael Sommer forderte deshalb eine Beteiligung aller am Wohlstand in Europa. Das sei der Weg, der aus der Krise führt: „Wo soll es denn hinführen, wenn die Leute immer ärmer werden? Das führt doch nicht raus aus der Krise, das führt mitten rein.“ Unter der Krise würden überall diejenigen leiden, die sie gar nicht zu verantworten haben. In Spanien sei derzeit jeder zweite junge Mensch arbeitslos – unabhängig davon, ob einer was gelernt hat, etwas kann oder nicht kann: „Die haben einfach keine andere Chance.“

Schuld an der Misere in vielen europäischen Ländern sei „das Finanzkapital.“ Geld sei in Europa zur Genüge vorhanden, wenn die Banken mit über einer Billion Euro stabilisiert werden könnten. In seiner mitunter sehr kämpferischen Rede sagte der DGB-Bundesvorsitzende: „Europa ist nicht arm. Viele Menschen sind arm, und das muss sich ändern.“ Mitzuhelfen, dass das übrige Europa wieder auf die Füße kommt, liege im ureigensten Interesse Deutschlands als Exportnation: „Deutschland kann nicht gesund bleiben, wenn rund um uns alles krank ist.“

Natürlich gebe es auch in Deutschland noch viel zu verbessern: Ein Viertel der Menschen in Deutschland arbeite zu Lohnbedingungen, unter denen man eigentlich gar nicht leben kann. Deshalb brauche es einen gesetzlichen Mindestlohn: „Die Grenze heißt 8,50 Euro die Stunde und ist für uns nicht verhandelbar.“

Sich selbst einschließend, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds über die Arbeitnehmer in Deutschland: „Wir wollen von unserer Hände Arbeit leben können. Wir wollen auch im Alter anständig leben.“ Besonders großen Beifall erhielt Michael Sommer vor dem Kirchheimer Rathaus für die Aussage: „Wir brauchen keine Rente mit 67. Das ist nämlich auch eine Art der Rentenkürzung.“

Tarifverträge bezeichnete der Gewerkschaftsführer, der nach der bundesweiten Hauptkundgebung in Stuttgart einen Abstecher nach Kirchheim gemacht hatte, als „soziale Friedensverträge auf Zeit“. Im Zweifelsfall müsse man aber auch kämpfen, und das geschehe ab sofort in der Metall- und Elektroindustrie. Zu Beginn der neuen Tarifrunde unterstreichen die organisierten Arbeitnehmer ihre Forderungen nach Lohnerhöhung durch Warnstreiks.

Bewusst leisere Töne schlug Michael Sommer am Schluss seiner Ansprache an, als er auf das Thema des rechten Terrors einging. Beinahe sachlich stellte er fest: „Mörder und Menschenverachter gehören hinter Gitter.“

Hasan Savas vom Türkischen Volks­haus rief in diesem Zusammenhang dazu auf, gemeinsam für eine bessere Welt zu kämpfen und sich nicht als Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Religion gegeneinander ausspielen zu lassen.

Auf ein spezifisches Kirchheimer Thema hatte eingangs bereits Wolfgang Scholz, der Vorsitzende des hiesigen DGB-Ortsverbands, hingewiesen: Wenn sich der Verschö­nerungsverein für den Erhalt der Natter-Abschussrampen einsetze, dann rechtfertige und relativiere er dadurch Nazi-Verbrechen und verhöhne die Opfer. „Die Natter wird auf die reine Technik, auf die vermeintliche Ingenieurleistung reduziert. Der geschichtliche Hintergrund wird ausgeklammert.“ Das sei ein gefährlicher und leichtfertiger Umgang mit der Vergangenheit. Wolfgang Scholz versprach: „Wir werden diese Aktivitäten wachsam beobachten, und – wenn nötig – dagegen angehen.“