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Tenderlok schnaubt künftig über die Alb

Für Gerhard Kirchner ging mit der zweiten „Jungfernfahrt“ des Dampfrosses ein Lebenstraum in Erfüllung

30 Jahre hat er auf diesen Augenblick gewartet. Jetzt ging für Gerhard Kirchner aus Linsenhofen ein Lebenstraum in Erfüllung. Der ehemalige Triebwagenführer bei der Württembergischen Eisenbahn-Gesellschaft, der früher auf der Strecke Nürtingen–Neuffen unterwegs war, erlebt die zweite Jungfernfahrt der 1905 erbauten Tenderlokomotive mit drei Kuppelachsen, kurz T3.

Gerhard Kirchner hat viel Zeit und Energie investiert, damit die Tenderlok wieder in der Heimat aufs Gleis gesetzt werden konnte
Gerhard Kirchner hat viel Zeit und Energie investiert, damit die Tenderlok wieder in der Heimat aufs Gleis gesetzt werden konnte.Foto: Joachim Lenk

Neuffen/Münsingen. In der vergangenen Woche schnaufte die eiserne Lady wieder auf der Strecke Münsingen–Kleinengstingen. Ohne das unermüdliche Engagement des 74-jährigen Gerhard Kirchner wäre das alte Dampfross schon längst verschrottet gewesen. „Die T3 ist eine ganz besondere Maschine. Sie ist die letzte württembergische Lok, die heute noch auf Schienen unterwegs ist.“

Inzwischen hat das alte Dampfross 109 Jahre auf dem Buckel, das von der Maschinenbaugesellschaft Heilbronn gebaut und am 21. Februar 1905 an die Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen übergeben wurde. Ihr Einsatzgebiet war der Bereich des Maschinenamtes Ulm und hatte Personen- und Güterzüge im Schlepp. Außerdem stand die „930“ den Bahnbediensteten für Rangierdienste zur Verfügung. Die T3 dampfte nach Geislingen an der Steige sowie durch das Donautal nach Aulendorf bis nach Friedrichshafen auf allen Haupt- und Nebenbahnen. „Nach Münsingen ist sie auch gefahren“, erzählt Gerhard Kirchner. Ihm und seinem inzwischen verstorbenen Sohn Thomas ist es zu verdanken, dass die alte Dame seit wenigen Tagen wieder in ihrer alten Heimat unterwegs ist.

Ein Vierteljahrhundert lang war die Tenderlokomotive mit drei Kuppelachsen im Einsatz. Zuerst mit der Betriebsnummer 930 der Königlich Württembergischen Staatseisenbahn, dann von 1925 an als „89 363“ für die Deutsche Reichsbahn. Als Ende der 1920er-Jahre die sogenannten Länderbahnmaschinen immer mehr durch Einheitslokomotiven ersetzt wurden, waren die Tage der T3 gezählt. Sie wurde in Tübingen ausgemustert und an das Städtische Gaswerk Stuttgart verkauft. Dort leistete die betagte Württembergerin bis 1971 weitere 40 Jahre treue Dienste als Werklokomotive. Ein Jahrzehnt später erhielt die Gesellschaft zur Erhaltung von Schienenfahrzeugen Stuttgart (GES) die T3. Vater und Sohn Kirchner versprachen, die Lok nach ihrer Aufarbeitung wieder auf württembergische Schienen zurückzubringen. Sie zerlegten die Maschine in ihre Einzelteile und brachten den kaputten Kessel ins polnische Pila, wo damals noch Dampfloks repariert wurden. Die Schäden waren aber so groß, dass der Verein gezwungen war, einen neuen bauen zu lassen. Jahre vergingen, bis das Geld dank vieler Spenden und einem Zuschuss der Denkmalstiftung Baden-Württemberg zusammen war.

Ersatzteile kamen unter anderem von der Nürtinger Eisengroßhandlung Gnida und der österreichischen Firma Tschuda in Graz. Während der vergangenen fünf Jahre wurde alles in Sisyphusarbeit in der Bahnwerkstatt MaLoWa in Brenndorf (Sachsen-Anhalt) wieder zusammengebaut. Fehlende Teile wurden, ohne entsprechende Baupläne zu haben, in Eigenregie hergestellt, erzählt Werner Willhaus, der dem Arbeitskreis Eisenbahnhistorie Württemberg angehört.

Die Freude war riesengroß, als die T3 vor einem halben Jahr probeweise die ersten Meter unter Dampf zurücklegte. Mit im Führerstand war natürlich ein überglücklicher Gerhard Kirchner. Damit die „Lok von besonderer Bedeutung“, so die Denkmalpflege, als einzige betriebsfähige Dampfmaschine der ehemaligen Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen wieder auf württembergischen Schienen unterwegs ist, haben sich die GES und die Schwäbische Alb-Bahn (SAB) zusammengetan.

In den kalten und schneereichen Tagen sowie im Frühling steht die T3 im Lokschuppen in Münsingen und ist ab und zu zwischen Schelklingen und Engstingen unterwegs. Von Ende Mai bis November dampft die alte Dame dann im Großraum Stuttgart, informiert GES-Vorsitzender Steffen Lausch. Er und die 300 Mitglieder sind natürlich sehr stolz, jetzt eine eigene betriebsfähige Dampflok in ihren Reihen zu haben.

Vor wenigen Tagen war es dann so weit. Nach mehr als 30 Jahren Restaurierungsarbeiten im Ländle und in Sachsen-Anhalt, verließ die „930“ das Werk in Benndorf. Auf einem Tieflader wurde sie ins 500 Kilometer entfernte Münsingen gebracht, wo sie von einem Kran sanft auf die Schienen der ehemaligen Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen gesetzt wurde. Tags darauf, nach mehr als acht Jahrzehnten, schnaufte die 109 Jahre Dampflok erstmals wieder auf ihrer alten Strecke zwischen Münsingen und Kleinengstingen. Im Schlepp hatte sie drei „Donnerbüchsen“-Wagen. Dort saßen rund 50 Mitglieder der GES und der SAB, die die Ehre hatten, an der zweiten Jungfernfahrt nach 1905 teilzunehmen.

Knapp eine Tonne Kohlen und rund fünf Kubikmeter Wasser benötigte die eiserne Lady für die 38 Kilometer hin und zurück. Zeitweise lag ihre Höchstgeschwindigkeit bei 45 Stundenkilometern. Mit im Zug war SAB-Chef Bernd-Matthias Weckler, der die Mitreisenden begrüßte und sich für die „Heldentat“ der GES-Verantwortlichen bedankte. Von ihm erfuhren die Gäste, dass die T3 als Winter-Märchen-Special zum ersten Mal am Sonntag, 2. März, fahrplanmäßig zwischen Kleinengstingen und Schelklingen verkehrt.

Eisenbahnfreund Gerhard Kirchner wird bestimmt wieder mitfahren und den Fahrgästen die eine oder andere interessante Geschichte über die alte Dame in Schwarz erzählen.