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Vom Pech, am Anfang Glück zu haben

Suchtberatung Nürtingen bietet seit Herbst 2009 Gruppe für Glücksspielsüchtige an – Steigende Nachfrage

Immer mehr Menschen suchen wegen ihrer Glücksspielsucht Hilfe bei der Suchtberatung Nürtingen.

Nürtingen. Waren es 2007 acht Spieler, die sich bei der von Landkreis Esslingen und Kreisdiakonieverband Esslingen getragenen psychosozialen Beratungsstelle meldeten, verzeichnet die Statistik für 2010 schon 84 Glückspielabhängige. Deshalb bietet die Suchtberatung seit Herbst 2009 eine Gruppe für Spielsüchtige an.

Meist fängt es ganz harmlos an. Man steckt ein paar Euro in einen Spielautomaten und gewinnt. „Wenn man das Pech hatte, am Anfang Glück zu haben, kann das der Beginn einer Abhängigkeit sein“, weiß Gunther Wöllenstein, Therapeut bei der Suchtberatung Nürtingen.

Ob er beim ersten Mal gewonnen hat, weiß Alexander F. (Name geändert) heute nicht mehr. Der 42-jährige selbstständige Unternehmer, der mit seiner Frau und dem dreijährigen Sohn auf den Fildern lebt, war 20 Jahre lang spielsüchtig, bevor er vor eineinhalb Jahren mit der ambulanten Therapie in Nürtingen begann. Auf der Abiturfahrt probierte er mit einem Freund das Automatenspiel aus, das ihn dann nicht mehr losließ. Erst spielte er mit geringem Einsatz und in großen Abständen, doch rasch setzte er immer mehr Geld ein, und die spielfreien Perioden wurden kürzer. Ein Teufelskreis begann. „Anfangs trieb mich der Wunsch an, zu gewinnen, später war es nur noch wichtig, dass sich der Automat dreht“, erzählt er. Häufig spielte er an mehreren Automaten gleichzeitig.

Das Spiel an den Automaten war für Alexander F. die Flucht in eine Scheinwelt, in der der Alltag, der tägliche Stress in Studium und Beruf und der Erwartungsdruck, beruflich und privat erfolgreich zu sein, ausgeblendet waren. „Man spürt keinen Hunger, keinen Durst und wird nicht müde“, erklärt er. Oft schlief er nur wenige Stunden, bevor es wieder zur Arbeit ging. Dass er rein statistisch gesehen gar nicht gewinnen konnte, ignorierte der studierte Maschinenbauingenieur.

Anders als bei anderen Abhängigkeiten, die sich langsam entwickelten, würden Spieler relativ rasch süchtig, erklärt Maria Köster-Sommer, Leiterin der Suchtberatung. „Manche werden innerhalb von zwei Jahren so abhängig, dass sie Haus und Hof verspielen.“ Auch bei Alexander F. drehte sich bald alles nur noch darum, zu spielen oder sich das nötige Geld dafür zu beschaffen. Anfangs habe er auch gespielt, um Verluste wieder wettzumachen. „Doch irgendwann weiß man, dass das nicht geht.“

Wie andere Spielsüchtige arbeitete er viel, um das nötige Geld aufzubringen. Als das Geld nicht reichte, kamen wie bei einigen anderen Spielsüchtigen auch kriminelle Delikte wie Diebstahl, Hehlerei und Urkundenfälschung hinzu, für die er eine Bewährungsstrafe erhielt. Er machte Schulden, überzog seine Konten, nahm Kredite auf und ließ Ratenzahlungen für sein Haus platzen. Rund 250 000 Euro, so schätzt Alexander F., hat er insgesamt verspielt. Immer wieder versuchte Alexan­der F. erfolglos, aus eigener Kraft und ohne therapeutische Hilfe mit dem Spielen aufzuhören. Lange bemerkte seine Frau Susanne nichts von seiner Sucht. Doch irgendwann fiel das Kartenhaus in sich zusammen, als sein Konto gesperrt wurde, Lastschriften platzten und die Zwangsversteigerung des Hauses – „mein ganzer Stolz“ – drohte.

Alexander F. hat sein Leben neu geregelt. Das Haus, in dem er mit Frau und Sohn lebt, gehört heute seinen Eltern, die für seine Schulden eintraten. Zu seinem eigenen Schutz informierte er sein Umfeld und seine Bank. Alle privaten Bankgeschäfte erledigt nun seine Frau, die in der Firma seine Mutter.