Lokales

Wechselspiele für weniger Stau

Während der Bauarbeiten wird auf der B 10 eine neuartige Verkehrsführung getestet

Die Pendler stöhnen über den täglichen Stau wegen der Baustelle auf der B 10. Dabei haben die Planer viel dafür getan, um die Behinderungen möglichst gering zu halten. Dazu gehört auch, dass auf einer der drei befahrbaren Spuren zweimal täglich die Fahrtrichtung wechselt.

Weichenstellung auf der B¿10: Jens und Olaf Giessler verschieben eine Betonwand, die den Verkehr durch den Baustellenbereich lei
Weichenstellung auf der B¿10: Jens und Olaf Giessler verschieben eine Betonwand, die den Verkehr durch den Baustellenbereich leitet.Foto: Roberto Bulgrin

Esslingen. Wie der Verkehr im Neckar­tal fließt, bestimmt Andreas Jaehnig in Erfurt. Mit einem einzigen Mausklick an seinem Laptop kann der Mitarbeiter der Firma Green Way Systems von dort per Internet die LED-Schilder auf der B 10 steuern. Wo eben noch zwei gerade Pfeile freie Fahrt auf beiden Spuren angezeigt haben, knickt nun der linke Pfeil zur Mitte ab und signalisiert: Bitte rechts einordnen.

Es ist 12 Uhr mittags: Bis jetzt rollte der Verkehr auf der B 10 zweispurig Richtung Stuttgart, um so das Chaos im morgendlichen Berufsverkehr zu verhindern. Nachmittags sind dagegen mehr Autos Richtung Plochingen unterwegs. Deshalb wird die Fahrtrichtung auf der mittleren Spur nun geändert. Eine Umstellung der Schilder genügt dafür allerdings nicht, viel zu groß wäre die Gefahr, dass ein Auto versehentlich in die falsche Richtung fährt. Deshalb sind Jens und Olaf Giessler während der sechswöchigen Bauzeit dafür zuständig, zweimal am Tag, immer um 12 und um 21 Uhr, die Fahrbahnbegrenzung umzubauen, sodass Geisterfahrten unmöglich sind.

Für die Umbauarbeiten wird die mittlere Spur für eine halbe Stunde komplett gesperrt. In dieser Zeit bringen die beiden Brüder die Warnbaken auf ihre neuen Positionen und verschieben mit einem Hubwagen eine massive Trennwand aus Beton, die wie eine Weiche den Verkehr auf die eine oder andere Spur leitet. Zum Schluss fahren sie die sechs Kilometer lange Strecke noch einmal ab, um sicherzugehen, dass kein Fahrzeug zum Beispiel wegen einer Panne unterwegs liegen geblieben ist. Um 12.40 Uhr ist die Umstellung abgeschlossen. „Andreas, kannst du jetzt umschalten?“, funkt Jens Giessler nach Erfurt. Nun springt auch die Anzeige auf der Gegenseite um, und die mittlere Spur ist in Richtung Plochingen geöffnet. Allerdings dauert es noch eine Weile, bis sich die ers­ten Autofahrer auf die Strecke trauen. Eine junge Fiat-Fahrerin macht schließlich den Anfang, ihr schließt sich bald eine dichte Kolonne an. Der Stau, der sich vor der Baustelle gebildet hatte, löst sich innerhalb weniger Minuten auf.

Eine Verkehrsführung mit wechselnden Spuren gab es in Deutschland bis jetzt erst ein Mal – vor zwei Jahren auf der A 93 in Bayern. „Damals wurde die Fahrtrichtung aber nur zweimal wöchentlich geändert“, sagt Sergio Di Gaetano, der das Projekt beim Regierungspräsidium ge­plant hat. Ein täglicher Wechsel sei ein Novum in Deutschland. Für die B 10 sei dies aber die einzig sinnvolle Lösung gewesen. „Das Problem ist, dass wir hier keinen Standstreifen haben“, erklärt der Projektleiter. Wenn eine Spur durch die Baustelle wegfällt, bleiben also nur noch drei für den Verkehr. Und das auf einem Abschnitt, auf dem täglich bis zu 80 000 Fahrzeuge unterwegs sind.

Die Wechselverkehrsführung, die das Bauprojekt laut Di Gaetano um rund 100 000 Euro verteuert, habe sich in den ersten drei Tagen bereits bewährt: „Wir sind positiv überrascht, wie gut das funktioniert.“

Behinderungen gibt es trotzdem immer wieder: „Das ist kein Wunder, auf der B 10 gibt es auch ohne Baustelle schon oft genug Staus“, sagt Di Gaetano. Hätte man auf die innovative Verkehrsführung verzichtet, wären die Auswirkungen nach seiner Einschätzung aber noch viel massiver: „Dann hätten wir einen Rückstau bis nach Göppingen.“