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„Wir werden überrollt“

Pauschale reicht für Unterbringung von Asylbewerbern im Landkreis nicht aus

Nach wie vor bereitet es dem Landkreis Sorge, geeignete Unterbringungsplätze für Asylbewerber zu finden. Wie Landrat Heinz Eininger gestern im Sozialausschuss des Kreistags sagte, steigen die Preise für die Wohncontainer erheblich an.

Kreis Esslingen. 900 zusätzliche Plätze für die vorübergehende Unterbringung von Asylbewerbern benötigt der Landkreis Esslingen dieses Jahr. 350 werden angemietet, 550 will der Kreis in eigener Regie erstellen. Mit 30 000 Euro pro Platz sind die geplanten Wohncontainer gemäß Eininger aber erheblich teurer als gedacht. Gehe man von einer fünfjährigen Nutzung aus, koste ein Platz 6 000 Euro im Jahr. „Pro Asylbewerber bekommen wir für 18 Monate eine Pauschale von 12 270 Euro. Damit kann die Miete nicht bezahlt werden“, betonte der Kreisverwaltungschef. „Wir wollen größere Unterkünfte anmieten und müssen das ganze Thema beruhigen“, so Einingers Devise in der gestrigen Sitzung. Um nicht immer von der Hand in den Mund zu leben, brauche es allerdings einen „Tick mehr Unterstützung durch das Land“. Seine Hoffnung setzt der Landrat unter anderem in eine Arbeitsgruppe im Integrationsministerium, in der auch ein Vertreter des Landkreises sitzt. Evident sei, dass der Kreis nicht mit dem Geld klarkomme, das man ihm gebe. Die Unterbringung von Flüchtlingen ist Eininger zufolge die größte Risikoposition im Haushalt 2014.

Gemäß Sozialdezernent Dieter Krug kommen dieses Jahr voraussichtlich 18 000 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg. 75 wird der Kreis durchschnittlich im Monat unterzubringen haben. Die insgesamt 1 900 Plätze verteilen sich auf 27 Einrichtungen in 16 Kommunen. Die derzeitigen Asylbewerber im Landkreis stammen aus 32 Ländern. Noch vor zwei Jahren lebten lediglich 500 Flüchtlinge in vier Unterkünften. „Wir werden überrollt in Esslingen“, sagte Krug. Reagiert hat der Landkreis auf die Entwicklung auch mit der Aufstockung von Personal. So wurden in der Sozialverwaltung sechs Stellen, weitere drei im Bereich der Verträge, bei Hausmeistern und Ingenieuren geschaffen.

Die Hauptamtlichen der Arbeiterwohlfahrt (AWO), unter deren Ägide die soziale Betreuung der Asylbewerber im Kreis Esslingen läuft, werden inzwischen von 13 Arbeitskreisen ehrenamtlich unterstützt. Mit dem Ziel, einen engeren Austausch hinzubekommen, hatte der Landkreis am 19. November vergangenen Jahres alle Arbeitskreise zu einer ersten gemeinsamen Sitzung eingeladen. Um die Kooperation zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen zu verbessern, wurde beschlossen, einen Lenkungs- und Steuerungskreis zu bilden. Er soll alle wichtigen Themen aufnehmen und Strategien zur Umsetzung entwickeln. Zur konstituierenden Sitzung am 7. März unter Federführung des Kreissozialamtes wurden Vertreter der Arbeitskreise, der AWO, des Ausländeramtes, des Amtes für Immobilien und des Jobcenters eingeladen. Zudem hat der Landkreis eine Koordinierungsstelle eingerichtet. Sie dient als Bindeglied zwischen Arbeitskreisen, AWO, Verwaltung und Kommunen. Erfreut berichtete der Sozialdezernent auch von der Bildung runder Tische in den Kommunen. „Nach einer Infoveranstaltung in Wendlingen haben sich spontan 30 Bürger eingetragen, die im Arbeitskreis Asyl mitmachen wollen.“

Wie die Leiterin des Sozialdienstes der AWO, Julie Hoffmann, erläuterte, sei das Jahr 2013 davon geprägt gewesen, neue Unterkünfte für Asylbewerber zu finden. „Die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt ist viel intensiver geworden.“ Auch wenn kleinere Einheiten für die Ortschaften verträglicher seien, könne die AWO in Unterkünften mit 50 bis 100 Asylbewerbern effektiver arbeiten. Aufgrund des sprunghaften Anstiegs an Flüchtlingen hat die AWO die Zahl der Mitarbeiter von fünf in Teilzeit beschäftigten Hauptamtlichen im vergangenen Jahr inzwischen auf neun Hauptamtliche erhöht. Unterstützt werden sie von weiteren sieben Absolventen eines Freiwilligen Sozialen Jahres beziehungsweise von Honorarkräften. „Wir hatten sehr viele qualifizierte Bewerberinnen und haben Kolleginnen mit langjähriger Berufserfahrung ausgesucht“, sagte Julie Hoffmann. Habe eine Mitarbeiterin bislang zwei bis drei Unterkünfte betreut, so seien jetzt pro Standort zwei Kolleginnen zuständig. Abhängig von der Zahl der Flüchtlinge werde das wahrscheinlich nicht reichen“, prognostizierte die Leiterin des AWO-Sozialdienstes. So geht sie davon aus, dass unter anderem in Kirchheim, Esslingen und Nürtingen künftig drei Kollegen als Ansprechpartner fungieren.

„Ein Problem ist die Betreuung von Kindern“, gab Julie Hoffmannn zu bedenken. „Es liegt uns am Herzen alle in den Kindergarten und die Schule zu bringen.“ Die Schulen seien aber teilweise überfordert, wenn, wie beispielsweise in Esslingen, auf einen Schlag 13 Kinder von Asylbewerbern kämen. In Absprache mit dem Oberschulamt habe man deshalb mitunter zusätzliche Klassen eingerichtet, bis die Kinder in der Lage seien, in Regelklassen zu wechseln. Als weitere Herausforderung bezeichnete es Julie Hoffmann, Menschen unterschiedlicher Herkunftsländer auf engem Raum unterzubringen. „Kosovaren und Serben beispielsweise bringen alte politische Konflikte mit. Ihnen sagen wir, in Deutschland geht es jetzt darum, ein solidarisches Miteinander aufzubauen.“

Anders als früher kommt ein Großteil der Flüchtlinge inzwischen in die vorübergehenden Unterkünfte, ohne eine Anhörung hinter sich zu haben. „Die Wartezeit hat sich verdoppelt. Das macht die Menschen krank“, so Julie Hoffmann.

Ragini Wahl umriss die Situation der gut 200 Ehrenamtlichen, die sich in den Arbeitskreisen Asyl im Landkreis Esslingen engagieren. Sie seien dicht an den Flüchtlingen dran. Im Argen liegt ihrer Ansicht nach unter anderem die medizinische Versorgung. Oft müssten Asylbewerber vier Wochen oder länger auf eine Bescheinigung warten, um zum Arzt gehen zu können. Auch die beiden Traumaeinrichtungen im Land seien so überlaufen, dass die Wartezeit drei bis fünf Monate betrage. Sorge bereitet ihr die Unterbringung von Flüchtlingen in „Billigcontainern“. Darüber hinaus wünschte sie sich eine verbesserte Kommunikatikon zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen.

SPD-Kreisrätin Carla Bregenzer regte an, auch Männer als Sozialarbeiter zu gewinnen und wies darauf hin, dass die Sprachkurse für Asylbewerber häufig wenig Alltagstaugliches beinhalteten. Den von ihr angesprochenen Stellenschlüssel im Landkreis bezeichnete Julie Hoffmann als nicht ausreichend. „Auf einen Sozialarbeiter kommen aktuell 170 Asylbewerber. Mit eins zu 150 wären wir schon zufrieden.“

Wie Krug forderte Eininger den Zusammenhalt aller Beteiligten: „Ich wünsche mir, dass jede Seite die andere wertschätzt. Auch in der Verwaltung engagieren sich die Mitarbeiter über die Maßen“ , betonte der Landrat.

Der Ausschuss nahm Kenntnis von dem Bericht, der auf Antrag der Grünen-Fraktion auf die Agenda genommen worden war.