Lokalsport

Abschied ohne Wehmut

Top-Sprinterin Anja Wackershauser beendet mit 25 Jahren ihre Laufbahn

Wo andere den Zenit ihrer Laufbahn noch vor sich wähnen, zieht Sprinterin Anja Wackershauser mit gerade mal 25 den Schlussstrich – ohne wehmütigen Blick zurück. „Ich kann aufhören, ohne dass alles für mich zusammenbricht“, sagt die lockige Frohnatur, die ab August einen anderen Namen tragen und sich künftig voll auf ihr Studium konzentrieren will.

„Ich fühle mich wie im Urlaub“: Anja Wackershauser bereut ihren Entschluss, mit der Leichtathletik aufzuhören, nicht. Foto: Jean
„Ich fühle mich wie im Urlaub“: Anja Wackershauser bereut ihren Entschluss, mit der Leichtathletik aufzuhören, nicht. Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Gestatten, Schütz – wenn Kirchheims schnellstes Aushängeschild im August ihren Freund Michael heiratet, wird der Name Anja Wackershauser nur noch in Ergebnisarchiven und auf alten Urkunden auftauchen. Die hat die 25-jährige Sprinterin während ihrer zwölfjährigen Laufbahn im Dress der LG Teck, des VfL Kirchheim und zuletzt dem des VfB Stuttgart haufenweise gesammelt. Die 200-Meter-Spezialistin zählt gleichermaßen zu den erfolgreichsten und beständigsten Athleten in der Region. „Ich habe so viel Energie aus dem Sport gezogen, aber die Perspektiven ändern sich im Leben nun mal“, sinniert sie erfrischend nüchtern über die Entscheidung, die Spikes an den Nagel zu hängen und sich künftig voll und ganz auf ihr Lehrerexamen vorzubereiten. „Leicht ist es mir nicht gefallen, aber Leichtathletik ist ein Sport, den du ganz oder gar nicht betreiben musst“, sagt sie.

Sich ausschließlich aufs Sprinten zu fokussieren, war für Anja Wa­ckershauser seit Beginn ihres Studiums in Tübingen eine Gratwanderung. Zumal heiße Wettkampfphase und wichtige Prüfungszeit sich oft überlappten. Zwischendrin noch bis zu zehn Mal die Woche zu trainieren, geriet mit zunehmender Studiumsdauer zu einer Herkulesherausforderung, die selbst eine straff durchorganisierte junge Frau wie sie nicht mehr hinbekommen konnte. Im Gegenteil: Die Doppelbelastung hinterließ Spuren, die Wackershauser ab Herbst vergangenen Jahres nach dem Sinn des Ganzen fragen ließen. „Ich war im Winter sicher nicht grundlos drei Wochen lang krank“ schildert sie die Warnsignale ihres Körpers, die sie schließlich dazu veranlassten, auf die Hallensaison zu verzichten – mit Folgen: Nicht jedes Wochenende auf Wettkämpfen um Zehntelsekunden zu fighten und von Halle zu Halle zu tingeln, fühlte sich gut an. So gut, dass sie an Ostern endgültig den Schlussstrich zog und es bis heute nicht bereut. „Ich merke gerade, wie viel Zeit für Schönes ich habe“, lacht sie, „ich fühle mich wie im Urlaub.“

Auch wenn die Spikes nun am Nagel hängen, ist an Füßehochlegen nicht zu denken. Anja Wackershauser steckt mitten in den Examensvorbereitungen. Auf Sportwissenschaften im Sommer folgen Theologie im Winter und Geografie im kommenden Jahr. Anfang 2015 will sie dann an einem Gymnasium ihr Referendariat beginnen. Wo, das hängt von ihrem zukünftigen Ehemann ab, mit dem sie in der gemeinsamen Tübinger Wohnung momentan die Hochzeit plant. Michael Schütz ist angehender Pfarrer, kann jobmäßig theoretisch in ganz Württemberg unterkommen.

Bis es so weit ist, schaut Wackers­hauser ab und an noch im Kirchheimer Stadion bei den ehemaligen Trainingskollegen vorbei – ohne Wehmut. „Sicher hätte ich noch ein paar gute, erfolgreiche Jahre vor mir gehabt, aber dafür hätte ich alles andere aufgeben müssen“, verteidigt sie den Entschluss, mit gerade mal 25 die Tartanbahn zu verlassen.

Bekräftigt hat sie dabei der Mann, der sie in den vergangenen zwölf Jahren trainierte und dem sie nach eigenen Worten alles zu verdanken hat: Micky Corucle. „Ich finde Anjas Entscheidung absolut in Ordnung. Studium und Sport unter einen Hut zu bekommen, ist in Deutschland nicht möglich“, kritisiert er den Spagat, den Athleten an der Grenze zwischen Amateur- und Profibereich vollziehen müssen. „Um erfolgreich zu sein, musst du heute auf so vieles verzichten, was dir nach deiner Laufbahn nichts bringt, wenn du einen Beruf willst“, so Corucle.

Umso erstaunlicher, dass Wackers­hauser diesem Umstand zum Trotz sowohl auf der Tartanbahn als auch im Hörsaal bestand. Dass es bei allen nationalen Erfolgen wie DM-Bronze bei den Aktiven und dem DM-Titel im Juniorenbereich (beides 2008) nie zum internationalen Durchbruch reichte, stört sie nicht. „Dafür hätte ich noch mehr investieren müssen, aber dann hätte das Gleichgewicht nicht mehr gestimmt. Ich war immer froh und zufrieden, mit dem, was ich erreicht habe.“

Ihre Genügsamkeit kommt nicht von ungefähr. Die schnelle junge Frau misst als gläubige Christin ihren Lebenserfolg nicht nur am Sport. „Ich habe in meinem Leben so viele sinnstiftende Dinge. Ich kann mit der Leichtathletik aufhören, ohne dass für mich alles zusammenbricht.“