Kirchheim. Aus der Not eine Tugend zu machen, ist für Albert Bosler schon von Berufswegen täglich Brot: Als Lehrer ist der 60-Jährige aus Notzingen gewohnt, aus Defiziten seiner Klientel möglichst etwas Positives zu machen – eine Erfahrung, die ihm auch als Organisator des Kirchheimer Radrennens zugutekommt. In Zeiten, in denen Geldgeber dem Radsport ob dessen Imageproblem immer noch den Rücken kehren, ist der Macher des GP Kirchheim froh um das, was er hat – und das kann sich im Jahr zwei, nachdem in der Teckstadt krisenbedingt alle Räder stillstanden, durchaus sehen lassen. So hält Lightweight-Chef Erhard Wissler der traditionsreichen Veranstaltung im 27. Jahr ihres Bestehens nicht zuletzt aus lokaler Verbundenheit die Stange. Dass das Kirchheimer Radrennen dem in Ochsenwang lebenden Geschäftsmann eine Herzensangelegenheit ist, vertreibt bei Albert Bosler und dessen knapp 50-köpfigen Organisationsteam die größten Sorgenfalten. „Dank dieses Topfes sind wir finanziell auf der sicheren Seite“, sagt er.
Große Sprünge in Sachen Teilnehmerfeld sind damit zwar nicht drin, doch widerspräche dies auch dem seit den Krisenjahren propagierten Motto „Hochklassiger Amateursport statt hoch bezahlter Profischau“. Albert Bosler formuliert‘s so: „Ich habe lieber ein Feld mit 50 erfolgshungrigen Amateurfahrern, die bis auf die Ziellinie gegeneinander kämpfen, als ein Feld mit 80 Fahrern, bei dem ein Profi alle überrundet und am Ende noch die Hand aufhält.“
Ohnehin habe das Kirchheimer Rennen laut Boslers Einschätzung auch ohne den Etat der ganz großen Jahre eine hohe Anziehungskraft. „Alle lechzen nach Kirchheim“, sagt der Mann, der als Verbands-Vizepräsident für olympische Disziplinen in ständigem Kontakt zur Basis steht. Von dort bekommt Bosler immer wieder zu hören, wie unverwechselbar die Atmosphäre in der Teckstadt und die Charakteristik der Strecke seien. „Kirchheim muss man gefahren sein“, zitiert er stolz die Siegerin des letztjährigen Frauenrennens, Jesse Lysann.
Während die 21-jährige Elitefahrerin aus Bellheim ab 14.20 Uhr ihren Erfolg gegen die hoch gewetteten Fahrerinnen des Schweizer Teams bigla cycling und des Team Stuttgart verteidigen will, fehlt bei den Männern (Start: 16.55 Uhr) der Zunft der Vorjahressieger: Andreas Mayr aus Freiburg hat studienbedingt seine Karriere beendet, seine Teamkollegen der renommierten Racing Students haben zugunsten des zeitgleich in Merdingen stattfindenden Rennens ebenso abgesagt wie das Team Rothaus. Heiße Siegesanwärter im Eliterennen sind damit der Deutsch-Namibier Erik Hoffmann vom Team Baier Landshut, vergangenes Jahr von Mayr im Zielsprint auf Platz zwei verwiesen und unlängst Sieger des Klassikers „Rund um Schönaich“, sowie der GP-Gewinner von 2008, Benjamin Diemer (Möbel Ehrmann). Für fünffachen Lokalkolorit im Hauptrennen sorgen die Fahrer des Kirchheimer Teams Passione Bici-de Rosa um die A-Lizenz-Brüder Christian und Martin Rupf aus Ellmendingen. Nicht nur deshalb ist sich Albert Bosler sicher: „Wir werden ganz starken Amateursport zu sehen bekommen.“
Neu ist in diesem Jahr dabei die zusätzlich ausgetragene Punktwertung, die die bisher üblichen Sprintprämien ersetzt: In Anlehnung an das Bahnradfahren sollen alle fünf Runden Punkte entsprechend der Durchfahrt bei Start und Ziel am DM-Markt vergeben werden, wo übrigens neben dem Kampfrichterwagen auch der VIP-Bereich aufgebaut sein wird. „Damit wollen wir die Attraktivität erhöhen“, sagt Albert Bosler, der den genauen Modus noch austüfteln und kurzfristig bekannt geben wird.
Den Auftakt zum Renntag macht traditionell der Tross der C-Klasse-Fahrer, die ab 11 Uhr neben Platzierungen vor allem um Punkte für den Aufstieg in die B-Klasse fahren – ein Ziel, für das Kirchheim offenbar ein gutes Pflaster zu sein scheint: Bis Mitte der Woche hatten sich bereits 72 Fahrer angemeldet – ein weiteres Indiz für die Zugkraft des GP Kirchheim, wie Albert Bosler glaubt: „Die fahren aus Spaß an der Freude und bieten richtig Action.“