Lokalsport

Aufatmen auf der Hahnweide​

Segelfliegen Der Absturz dreier Wettbewerbs-Teilnehmer bei Balingen hätte als Katastrophe enden können. Schulkinder auf Freizeit kommen mit dem Schrecken davon. Von Bernd Köble

Der Piste ist trocken, das Wetter passt. „Wir hatten selten sicherere Bedingungen auf der Hahnweide als in diesem Jahr“, sagt We
Der Piste ist trocken, das Wetter passt. „Wir hatten selten sicherere Bedingungen auf der Hahnweide als in diesem Jahr“, sagt Wettbewerbsleiter Reinhard Diez (links). Der Unfallort am Lochenstein glich am Dienstag einer Trümmerlandschaft.Fotos: Jacques/ Ungureanu

Er weiß, was kommt. Reinhard Diez kennt die Fragen, die auf einen einprasseln, wenn es mal wieder gekracht hat. Es ist Mittwoch, kurz nach halb zwölf. Das Briefing für die Piloten draußen in der Halle ist gerade zu Ende gegangen. Diez schaltet den Rechner aus, der eben noch meteorologische Daten auf die Leinwand hinter der Bühne geworfen hat. Aktuelle Wetterprognosen, die letzten Streckendetails, in einer knappen Stunde werden sich die ersten im Schlepptau der Motormaschinen auf die Tagesreise machen. Für die Wettbewerbspiloten auf der Hahnweide tickt dann die Uhr. Alles wie immer, wären da nicht die Pressefragen.

Auch heute geht es nach Südwesten, weil es das Wetter so will. Am Tag zuvor lagen die thermisch günstigsten Strecken in allen Wettbewerbsklassen auf einer Linie. Von der Wendemarke nahe der Schweizer Grenze entlang der Höhenkante des Schwarzwaldes zurück zur Teck. Da kann es am Himmel schon mal eng werden.

Es ist 17.18 Uhr, als am Dienstag auf der Hahnweide der erste Funkspruch eines Piloten eingeht. Zwei Flugzeuge sind über dem Naturschutzgebiet Lochenstein bei Balingen kollidiert. Die Besatzung, ein Pilot der 18-Meter-Klasse aus Straubing und die deutsche Crew eines in der Schweiz stationierten Doppelsitzers, haben sich per Fallschirm gerettet. Noch während die drei Verunglückten zu Boden schweben und sicher landen geht von der Hahnweide der Alarm an die Rettungskräfte raus. Derweil regnet es über der Jugendherberge Lochen, wo eine Schülergruppe des Gymnasiums in Gosheim eine Chorfreizeit abhält, Trümmer. Sie durchschlagen das Dach eines Grillpavillons und treffen eine Rutsche neben dem Sportplatz. Der zweite Segler stürzt in ein angrenzendes Waldstück. „Wir hatten unglaubliches Glück“, wird Herbergs-Pächter Werner Strohmaier später zitiert. Die Retter, die mit 50 Mann vor Ort sind, und der Notfallnachsorgedienst betreuen Kinder, die unter Schock stehen.

Unglaubliches Glück verspürt man auch auf der Kirchheimer Hahnweide, wo die beiden Besatzungen um die Mittagszeit als Teilnehmer am 52. Internationalen Hahnweide-Wettbewerb gestartet waren. „Man möchte nicht drüber nachdenken, was hätte passieren können“, gesteht Wettbewerbsleiter Reinhard Diez. Der 62-Jährige hat seit neun Jahren hier das Kommando und als Verantwortlicher erlebt, als es vor sieben Jahren beim Wettbewerb schon einmal krachte. Damals ging es weniger glimpflich aus. Am Ende hatte die Kirchheimer Traditionsveranstaltung das erste Todesopfer ihrer mehr als 50-jährigen Geschichte zu beklagen (siehe Infoteil).

Größeres Risiko im Wettkampf

Der Mann mit dem schlohweißen Haarschopf redet nicht lange um den heißen Brei. „Keine Frage, das Risiko, das mitfliegt, ist in einem Wettbewerb immer größer“, sagt er. Dennoch seien die Unfallzahlen seit Jahren relativ konstant im zweistelligen Bereich. Das unfallträchtigste Jahr im Zehn-Jahres-Vergleich verzeichnete die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU)in Braunschweig 2009 mit 74 Segelflug-Unfällen. Zum Vergleich: 2014 waren es 43. „Wenn Motorradfahrer verunglücken, wird das in der Zeitung überblättert, Flugzeugabstürze sorgen für Schlagzeilen“, sagt Diez. „Damit müssen wir leben.“

Warum es überhaupt am Dienstag so weit kommen konnte? Keiner der beiden Piloten, die schon am Abend wieder zurück waren auf der Hahnweide, räumt Fehler ein. Technisches Versagen scheidet nach erster Expertenmeinung aus. Diez macht sich seinen eigenen Reim: „Es war die letzte Wolke vor dem Heimflug“, sagt er. Dort, wo sich alle tummelten, um vor der Rückkehr zur Hahnweide im Thermikschlauch noch einmal Höhe zu gewinnen. Zwar sind die Segler mit Warnsystemen ausgestattet, um Kollisionen zu vermeiden. „Wenn 20 Flugzeuge an einer Stelle kreisen“, sagt Reinhard Diez, „dann hast du 20 Radarsignale, die sich nicht mehr trennen lassen.“

Gestern war auf der Hahnweide ein Ruhetag verordnet. Wegen der Wetterfront, die aufzog, aber auch, um den Vorfall vom Dienstag zu verarbeiten. „Jeder macht sich seine Gedanken, das ist spürbar“, sagt der Flugchef. „Und jeder weiß, dass es vernünftiger ist, defensiv zu fliegen.“ Heute geht das Rennen am Himmel in seine vorletzte Runde. Die Wetterprognosen für den Rest der Woche sind gut. Und Reinhard Diez hofft, dass sie am Abend alle heil zurück kommen.

Der Piste ist trocken, das Wetter passt. „Wir hatten selten sicherere Bedingungen auf der Hahnweide als in diesem Jahr“, sagt We
Der Piste ist trocken, das Wetter passt. „Wir hatten selten sicherere Bedingungen auf der Hahnweide als in diesem Jahr“, sagt Wettbewerbsleiter Reinhard Diez (links). Der Unfallort am Lochenstein glich am Dienstag einer Trümmerlandschaft.Fotos: Jacques/ Ungureanu

Böse Erinnerungen an 2011

Der Piste ist trocken, das Wetter passt. „Wir hatten selten sicherere Bedingungen auf der Hahnweide als in diesem Jahr“, sagt We
Der Piste ist trocken, das Wetter passt. „Wir hatten selten sicherere Bedingungen auf der Hahnweide als in diesem Jahr“, sagt Wettbewerbsleiter Reinhard Diez (links). Der Unfallort am Lochenstein glich am Dienstag einer Trümmerlandschaft.Fotos: Jacques/ Ungureanu

Der glimpflich verlaufene Absturz am vergangenen Dienstag bei Balingen hat auf der Kirchheimer Hahnweide böse Erinnerungen an den Himmelfahrtstag vor sieben Jahren geweckt. Damals hatten die Wettbewerbs-Veranstalter bei der 45. Auflage des Segelflug-Championats ihr erstes Todesopfer zu beklagen.

Am 2. Juni stürzte ein 55-jähriger Wettbewerbsteilnehmer aus dem Odenwald beim außerplanmäßigen Anflug auf den Segelflugplatz Hornberg bei Schwäbisch Gmünd aus 30 Metern ab und konnte nur noch tot aus den Trümmern geborgen werden.

Es blieb nicht der einzige Zwischenfall während des Hahnweide-Wettbewerbs in jenem Jahr. In derselben Woche verunglückte ein britischer Pilot beim Versuch einer Außenlandung auf dem Flugplatz Berneck bei Aufhausen. Der 66-Jährige streifte bei starkem Seitenwind mit der Tragfläche eine Böschung und schmierte ab. Er wurde in seinem Segler eingeklemmt und brach sich die Ferse.bk