Lokalsport

„Das System war vorher da“

Im Betrugsprozess gegen Stefan Schumacher fällt am kommenden Dienstag das Urteil

Vorletzter Akt im Betrugsprozess gegen Stefan Schumacher: Der Staatsanwalt fordert eine Geldstrafe von 16 800 Euro, die Verteidigung plädierte gestern auf Freispruch. Nach mehr als sechsmonatiger Verhandlungsdauer vor der 16. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts soll nächsten Dienstag das Urteil fallen.

ROT  //     Stefan Schumacher (Deutschland / Team Christina Watches) -  DM Strasse Grimma 2012 - DMStrasse - Strasse - ELITE  -

Stefan Schumacher pendelt weiter zwischen Rennstrecke und Anklagebank.     Foto: Roth

Stuttgart. Es ist ein Streit, der bis zum Ende ausgetragen wird. Wohl auch deshalb, weil es beiden Seiten um mehr geht, als den Erfolg in einem normalen Betrugsverfahren. Die Staatsanwaltschaft will zeigen, dass einem überführten Doper auch ohne Anti-Doping-Gesetz zivilrechtlich beizukommen ist, den Verteidigern geht es darum, genau dies als stumpfe Waffe zu entlarven. Und Stefan Schumacher? Der kämpft gegen seine Rolle als Sündenbock in einem System, in dem es für ihn nur Täter und Mitwisser gab. Den Vorschlag des Gerichts, das Verfahren gegen eine Zahlung Schumachers in Höhe von 10 000 Euro einzustellen, lehnten beide Seiten zu Beginn des gestrigen 18. Verhandlungstages ab.

Dem Nürtinger Radprofi wird vorgeworfen, seinen früheren Teamchef Hans-Michael Holczer um drei Monatsgehälter in Höhe von ursprünglich rund 150 000  Euro betrogen zu haben, weil er Doping bei der Tour de France 2008 trotz Nachfrage geleugnet hat. Schumacher zeigte sich gestern nicht nur wegen einer Erkältung sichtlich angeschlagen. Ein viereinhalbjähriger Justiz-Marathon hat Spuren hinterlassen. Deutschlands dereinst erfolgreichster Radprofi steht sportlich wie finanziell vor den Trümmern seiner Karriere, auch wenn es inzwischen nur noch um 100 000  Euro geht. Der Grund: Der Nürtinger wurde nicht nur für seine sportliche Leistung bezahlt, wie Staatsanwalt Peter Holzwarth einräumte, sondern auch für seinen Wert als Werbeträger. Weil dieser jedoch schwer zu beziffern sei, wurde der Streitwert nach unten korrigiert.

Alles andere liegt für den Staatsanwalt klarer auf der Hand: „Herr Schumacher hat viereinhalb Jahre lang gelogen, warum sollen wir ihm jetzt glauben?“ Für Holzwarth sind Teamchef Hans-Michael Holczer und seine Mannschaftsärzte und Betreuer die glaubwürdigeren Figuren in einem Verfahren, in dem bis zuletzt Aussage gegen Aussage steht und jegliche Beweise fehlen. Schumacher will das Gericht überzeugen, dass er Holczer nicht betrogen haben kann, weil dieser von den Doping-Praktiken in seiner Mannschaft gewusst habe. „Es gibt keinen einzigen Zeugen, der bekundet, dass im Team Gerolsteiner klar war, dass Herr Schumacher gedopt hatte,“ stellte der Staatsanwalt in seinem mehr als zweistündigen Plädoyer fest. Die Teamärzte Ernst Jakob, Armin Spechter und Mark Schmidt, die im Laufe des Verfahrens als Zeugen ausgesagt und jegliches Doping bestritten hatten, hält Holzwarth für glaubwürdig – mit Einschränkungen. Spechter, der behauptete, er habe Fahrern auf Verlangen statt dem verbotenen Präparat Synacthen nur ein Placebo gespritzt, bezeichnete Holzwarth als „schwachen Zeugen.“ Schumachers Geständnis will er nur zur Hälfte gelten lassen, nachdem dieser in einem Spiegel-Interview nach Ostern jahrelanges Doping zwar gebeichtet, Namen von Hintermännern im Prozess aber verschwiegen hatte. Der Staatsanwalt sieht darin ein taktisches Manöver: „Ohne diesen Prozess hätte Herr Schumacher auch kein Geständnis abgelegt.“

Schwere Geschütze gegen die Staatsanwaltschaft fuhr Schumacher-Anwalt Dieter Rössner auf. Das Plädoyer des Tübinger Rechtsprofessors wirkte streckenweise wie ein Lehrstück im Hörsaal zum Thema Strafrecht. Von Ermittlungsfehlern, Verstößen gegen die Strafprozess-Ordnung und einer „Verengung des Blickwinkels“ war die Rede, weil nur Schumacher im Fokus der Ermittlungen gestanden habe. „Hätten Sie nicht nur in dessen Haus, sondern auch beim Team Gerolsteiner Festplatten beschlagnahmt, wäre das sinnvoll gewesen,“ sagte Rössner. Der Grundsatz „lass‘ dich nicht erwischen“ zieht sich für den Strafrechtler wie ein roter Faden durch die Geschichte des lange Zeit erfolgreichsten deutschen Radrennstalls. Eine Verurteilung seines Mandanten sei nur möglich, „wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen werden könne, dass Holczer Bescheid gewusst habe. Für Rössner kommt daher nur ein Freispruch infrage.

Verteidiger Michael Lehner zeichnete in seinem Plädoyer das Bild von einem Radsportteam, in dem der Erfolg über allem gestanden habe. Bis hin zu einem Sponsorenvertrag, der in Sachen Doping zwei „Freischüsse“ vorsah. Dabei zitierte der Heidelberger Sportrechtsexperte mehrfach Passagen aus Holczers 2010 erschienenem Buch „Garantiert positiv.“ Für ihn ein „Lehrstück, wie im Radsport-Team Gerolsteiner gutes Geld verdient werden konnte.“ Lehner: „Die Rennfahrer werden hingerichtet, die Teamchefs und Sponsoren verdienen.“

Geldstrafe oder Freispruch? Diese Frage muss nun das Gericht beantworten. Kommenden Dienstag um 12 Uhr soll das Urteil verkündet werden. Stefan Schumacher droht eine Geldstrafe von 16 800 Euro und die Übernahme der Verfahrenskosten. Für seinen Anwalt Dieter Rössner liegt der Fall so klar, dass er im Falle einer Verurteilung sogar den Gang vor den Bundesgerichtshof in Betracht zieht. Ob sein Mandant diesen Weg mitbeschreiten würde, ist allerdings fraglich. Stefan Schumacher wirkt prozessmüde, von den Kosten ganz zu schweigen. Gestern stand ihm das Schlusswort zu. „Keiner von uns Fahrern ist auf die Idee gekommen zu dopen. Das System war vorher da.“