Lokalsport

Mit dem Tandem auf Hapes Spuren zum ökumenischen Heiligenschein

Gabi Kazmaier und Ewald Löw radeln ab morgen bei der über 1 000 Kilometer langen Euro-Tandem-Tour für Blinde und Sehende

Was vor rund sieben Jahren mit einer ersten Fahrt von Brucken nach Gutenberg begann, findet ab morgen seinen vorläufigen Höhepunkt. Ewald Löw und Gabi Kazmaier stellen sich der Herausforderung der Euro-Tandem-Tour nach Santiago di Compostela. Unter dem Motto „Gemeinsam eigenständig sein“ radelt das Duo aus Lenningen über 1 000 Kilometer für ein gleichberechtigtes Zusammenleben sehbehinderter und sehender Menschen.

Gabi Kazmaier und Ewald Löw fahren Tandem
Gabi Kazmaier und Ewald Löw fahren Tandem

Lenningen. „Ich bin dann mal weg“ – gelesen hat Ewald Löw den Bestseller von Hape Kerkeling über dessen Pilgerreise auf dem Jakobsweg nie. Dafür aber gehört. Seit der 50-Jährige aus Brucken dem Erlebnisbericht des Entertainers in Hörbuchfassung gelauscht hat, ist er derart fasziniert, dass er die Strecke nach Santiago di Compostela mit dem Fahrrad zurücklegen will: im Rahmen der 10. Euro-Tandem-Tour für Sehbehinderte und Sehende.

Sehbehindert – derart förmlich würde Ewald Löw seinen Status kaum bezeichnen. „Ich bin blind von Beruf“, beschreibt er furztrocken die Tatsache, dass er seit einem Arbeitsunfall vor einigen Jahren auf dem linken Auge nicht mehr und dem rechten nur noch zu 15 Prozent sehen kann. So redet keiner, der mit seinem Schicksal hadert oder in Selbstmitleid zerfließt. „Man darf nicht alles so bierernst nehmen“, meint Ewald Löw, „oder um es auf gut Schwäbisch zu sagen: Mr muss au amol an Scheißdreck an d‘Leit naschwätza.“

Der erfrischend unverkrampfte Umgang mit seinem Handicap ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Dafür war Ewald Löw zunächst in ein zu tiefes Loch gefallen, nachdem ihm von heute auf morgen nahezu das komplette Augenlicht genommen worden war. Dass er über die Jahre wieder zurück in den Alltag fand, und Stück für Stück an Normalität zurückgewann, lag neben der Kraft und Unterstützung von Ehefrau Heidi auch an Gabi Kazmaier. Die 37-Jährige aus Lenningen hat Ewald Löw vor über sieben Jahren zum gemeinsamen Tandemfahren gebracht. Die Diplompädagogin, die an der Förderschule in Dettingen unterrichtet, organisierte und leitete jahrelang Tandemfreizeiten für Menschen mit Behinderung in der Schweiz. Gepaart mit ihrer fröhlich-offenen Art machte diese Erfahrung sie zur idealen „Partnerin“ für Ewald Löw, der sich noch gut an die erste gemeinsame Fahrt im Frühjahr 2005 erinnert. „Das war von Brucken nach Gutenberg und für mich wie eine Weltreise.“

Das Gefühl, trotz Einschränkung wieder mobil sein zu können und dabei genauso sportlich ambitioniert in die Pedale zu treten wie ein normal Sehender, ist bei Ewald Löw seitdem von Ausfahrt zu Ausfahrt gewachsen. Nach Hunderten von Kilometern im Sattel wurde klar, dass der steigende Ehrgeiz in Form von wettkampfähnlichen Herausforderungen gestillt werden muss. Nach der Teilnahme an der Königsetappe der Tour de Ländle 2007 über 85 Kilometer von Albstadt nach Kirchheim folgte 2009 das regionale Radler-Muss „Alb Extrem“. Die 190 anstrengenden Kilometer gemeinsam geschafft zu haben, darauf sind Ewald Löw und Gabi Kazmaier auch deshalb so stolz, weil sie am Ende nach mehreren Plattfüßen am eigenen Tandem auf einem spontan ausgeliehenen ins Ziel rollten – der obligatorische Finisher-Aufkleber ziert seitdem das neue Tandem, das sich Ewald Löw nach der „Alb Extrem“ zulegte. Die Tauglichkeitsprüfung hat das rund 6 000 Euro teure 21-Gang-Velo seitdem mehrmals erbracht. Schließlich sind Löw und Kazmaier bis auf die Ochsenwanger Steige („Da ist zu viel Verkehr“) alle Albaufstiege schon Dutzende Male abgeradelt, um auf der Alb ihre Runden zu drehen.

Den ultimativen Härtetest werden das Gefährt und seine beiden Passagiere jedoch erst ab morgen erfahren. Gabi Kazmaier und Ewald Löw stellen sich der Herausforderung der Euro-Tandem-Tour, die auf zwölf Etappen über 1 034 Kilometer mit mehr als 10 000 Höhenmetern von Neuhausen nach Santiago di Compostela und damit auch auf die Spuren von Hape Kerkeling führt. Um die Strapazen der Jakobsweg-Tour zu meistern, haben die beiden in diesem Jahr gemeinsam bereits 600 Kilometer und knapp 10 000 Höhenmeter absolviert. Dazu hält sich das Gespann auch jeweils ohne den anderen fit. Kazmaier geht joggen, Löw schwitzt auf dem eigenen Hometrainer.

Veranstaltet wird die Euro-Tandem-Tour von der Pro-Retina-Stiftung und der HEM-Schwerger-Stiftung. Dessen Gründer und Namensgeber Horst Schwerger leidet an einer unheilbaren Degeneration der Netzhaut und will im Rahmen der Euro-Tandem-Tour, die seit 1998 alle zwei Jahre stattfindet, für ein gleichberechtigtes Zusammenleben sehbehinderter und normal sehender Menschen werben – ein Anliegen, das Ewald Löw und Gabi Kazmaier gleichermaßen am Herzen liegt. „Viele denken, dass man auch geistig behindert ist, wenn man blind ist“, weiß Löw, der in seiner Funktion als Leiter des Bezirks Kirchheim im Blindenverband ohnehin regelmäßig in Sachen Aufklärung unterwegs ist. Gerade an Schulen erntet er bei seinen Vorträgen über Sehbehinderungen viel Interesse, was nicht zuletzt an seinem trockenen Humor liegt. „Das macht den Umgang einfach auch leichter“, sagt er, „außerdem war ich immer schon einer, der leicht unterhalten konnte.“

Um Menschen in ähnlichen Situationen Mut zu machen, ist die Erfahrung einer mehr als 1 000 Kilometer langen Tandemtour über die Iberische Halbinsel natürlich Gold wert. „Ich habe schon mit vielen gesprochen, die den Jakobsweg abgewandert sind und denen es etwas gebracht hat. Ich bin wirklich gespannt, ob und was es mir bringt“, sagt Löw, der furztrocken nachschiebt: „Außerdem wollte ich schon immer mal wissen, wie ein ökumenischer Heiligenschein aussieht“ – der katholische Löw und die evangelische Kazmaier erhalten im Rahmen der Pilgermesse in Santiago wie alle Teilnehmer den obligatorischen Segen.

Die Euro-Tandem-Tour 2012

Start der 10. Euro-Tandem-Tour ist am morgigen Freitag in Neuhausen auf den Fildern. Von hier führt die erste von insgesamt zwölf Etappen über 157 Kilometer nach Strasbourg, das noch Freitagabend erreicht werden soll. Von Strasbourg wird der Teilnehmer-Tross am Samstag und Sonntag per Bus via Avignon nach St. Jean Pied de Port nahe der spanischen Grenze gebracht. Hier beginnt die zweite Etappe nach Pamplona in Spanien, von wo es in weiteren zehn Tagestouren nach Santiago di Compostela geht. Der weltbekannte Wallfahrtsort soll am 7. Juni erreicht werden. Die Tour-Teilnehmer können dort am selben Tag die Pilgermesse besuchen, ehe es am 8. Juni auf die zweitägige Heimfahrt nach Neuhausen per Bus geht. Insgesamt nehmen zwölf deutsche Tandem-Gespanne und zehn Einzelfahrer an der Tour teil. Ab der spanischen Grenze schließen sich noch acht spanische Tandems an. Mit Info-Bus und Begleitfahrzeugen ist der teilweise von der Polizei begleitete Tross rund 150 Meter lang. Weitere Informationen im Internet unter www.tandem-pro-retina.de.