Bissingen. Auf eigenhändig gewachsten Langlaufbrettern spulte der Leistungssportler Günther Schempp in seiner Aktivenzeit viele Tausend Kilometer ab. Im fortgeschrittenen Alter sind die Herausforderungen für den Mann aus Ochsenwang kaum weniger geworden – nur dass die sich nicht mehr in der Skispur, sondern in den verschiedensten Büros, Sitzungsräumen und Wettkampfstätten stellen. „Etwa 90 Außentermine pro Jahr“ hat Multi-Funktionär Schempp heutzutage zu bewältigen – das sind 90 Tage, an denen ihn seine Frau entweder überhaupt nicht oder erst spätabends zu Gesicht bekommt. Meistens ist daran der Schwäbische Skiverband (SSV) schuld, wo er seit 16 Jahren ununterbrochen Vizepräsident ist.
Die Liste der Ehrenämter, die der rastlose Rentner bekleidet, ist lang. Skiverband, Leistungssport GmbH (Zusammenschluss der drei baden-württembergischen Skiverbände), Skiinternat Oberstdorf, Behinderten-Förderung-Linsenhofen, Freiwillige Feuerwehr, VfL Kirchheim – überall hat Schempp seine Finger im Spiel. Und etwas zu sagen. „Ich will die Dinge voranbringen“, beschreibt er sein ambitioniertes Leitmotiv für höchste Omnipräsenz in zahlreichen Organisationen.
Früher, in den 1950er- und 1960er-Jahren, brachte sich Schempp mit gnadenlosem Ehrgeiz selbst voran – sowohl auf den gespurten Loipen der Schwäbischen Alb als auch auf jener Natursprungschanze im Randecker Maar, wo er mit 14 Jahren an zahllosen Winternachmittagen eiskalte Höhenluft schnupperte. Schneemangel war selten damals im schwäbischen Mittelgebirge. Die „Sprünge bis zu 20 Meter“ mit den Kumpels hat Schempp bis heute in guter Erinnerung behalten – in den Glanzzeiten von Olympiasieger Georg Thoma wollten auch die Ochsenwanger Springer-Buben stolze Weiten erreichen. Der Blick zurück ist ein Nostalgie-Rückblick. Damals trainierte der Ehrgeizling Schempp auf „g‘führigem“ Albschnee fast wie kein Zweiter, und bald war er hierzulande einer der besten nordischen Nachwuchs-Skisportler überhaupt. Langlauf geriet schließlich zu seiner Paradedisziplin, und vom Springen verabschiedete er sich. 1965 und 1966 kehrte Schempp von den deutschen Meisterschaften in Messstetten und Schonach als deutscher Jugend-Vizemeister im Langlauf zurück – „das waren meine größten Erfolge“, wie er heute weiß.
Er hätte noch erfolgreicher werden können. Denn zwei Jahre später erfuhr der VfL-Läufer, dass auch der Deutsche Skiverband (DSV) gewisse Hoffnungen in ihn setzt: Schempp wurde in den nationalen B-Kader aufgenommen und erhielt dadurch die Chance, an ausgesuchten Ski-Orten zusammen mit anderen DSV-Talenten exklusive Trainingslager zu bestreiten. Für den 20-Jährigen erfüllte sich ein Jugendtraum. Er staunte Bauklötze, als er bei einem zehntägigen DSV-Camp im mondänen St. Moritz zum ersten Mal auf typische Luxus-Urlauber traf. „Da waren all diese wohlhabenden Menschen, ihre großen Autos und die teuren Hotels, in denen sie wohnten. Ich als Bauernbub war damals tief beeindruckt“, sagt er. Heute kann er über die Episode schmunzeln.
Den puren Kontrast zur schmucken High-Society-Szenerie erlebte der junge Schwabe dann, wenn es zurück ins Athletenquartier ging. Die Zwei- und Drei-Mann-Zimmer waren wenig komfortabel, und um die meisten Kleinarbeiten mussten sich die Sportler in jenen Tagen persönlich kümmern. Serviceleute gab es keine – selbst ist der Mann, hieß die Devise für die jungen Schirgler damals. „Die Läufer mussten ihre Skier stets selber wachsen“, erinnert sich Schempp, der wie die anderen mit einem Koffer voller verschiedenster Wachssorten und Klister angereist war. Neben zwei paar Langlaufskiern, -Stöcken und zwei Rennanzügen waren die mitgebrachten Schmiermittel die wichtigsten Utensilien beim Zehn-Tage-Training auf fast 2 000 Metern Höhe. Denn „das Wachsen war eine Wissenschaft für sich damals“.
1971 machte Schempp einen dicken Schnitt in seinem Leben: Er trat vom Leistungssport zurück und stellte berufliche Belange vorne an. Mit 22 war er Geschäftsführer der ehemaligen Genossenschaftsbank Linsenhofen, später stieg er zum Bankdirektor bei der Volksbank Hohenneuffen auf, wo er 2008, zwei Jahre vor seiner Pensionierung, das 40. Arbeitsjubiläum feierte. Der Berufsweg war lang – etwa sieben Mal so lang wie seine Wegstrecke als Wettbewerbssportler in der Langlaufloipe. Der Wechsel ins Bankfach war damals ein Muss für ihn – eine existenzsichernde Maßnahme. „Vom Skilanglauf konnten ja nur die wenigsten Sportler leben“, unterstreicht er. Noch weniger als heute.
Aktuell fühlt sich Günter Schempp pudelwohl – auch wenn sein Ruhestand eigentlich ein Unruhestand ist. Damit er trotz seiner vielen Verpflichtungen weiter fit bleibt, fährt er zum Ausgleich Fahrrad oder joggt. „Nach wie vor treibe ich Sport“, betont er. Gerne würde der 65-Jährige auch wieder Skilanglauf im klassischen Stil betreiben, doch davon kann er wetterbedingt derzeit nur träumen. Den Schnee vor der eigenen Haustüre gibt‘s inzwischen immer seltener.