Lokalsport

„Um die Uhrzeit fällt zu Hause keinem auf, dass man nicht da ist“

FrŸhjogginggruppe mit JŸrgen Hahn, Axel KŸbler und Co.in …tlingen
FrŸhjogginggruppe mit JŸrgen Hahn, Axel KŸbler und Co.in …tlingen

Nur fahles Laternenlicht durchbricht im Kirchheimer Westend die stockfinstere Nacht, in der sich schemenhaft die Konturen eines Joggers gegen die einsame Dunkelheit abzeichnen. Es ist kurz vor 5.30 Uhr, als sich Heiko Breckel der Lauterbrücke am Ende der

Saarstraße nähert. Wer nicht wüsste, was der hagere Mann mit der Brille an diesem nasskalten Dezembermorgen um diese Uhrzeit hier will, könnte ihn glatt für einen Einbrecher halten, zumal er eine schwarze Mütze auf dem Kopf trägt – doch weit gefehlt. Der 45-Jährige gehört zu einer Läufergruppe, die unabhängig von Wind und Wetter jeden Dienstagmorgen auf schnellen Sohlen beginnt.

„Seit wann wir das machen, weiß ich gar nicht so genau, da müssen wir mal die anderen fragen“, sagt Breckel, der nach und nach die eintrudelnden Mitläufer begrüßt und die Frage gleich weiterreicht. „Bestimmt seit mehr als zehn Jahren“, vermuten Thomas Mailänder (40), Sven Meyer (39) und Jürgen Ott (45), die das Frühsporttrüppchen vervollständigen – vorerst. Denn nach rund zwei Kilometern lockeren Trabs auf dem Radweg Richtung Ötlingen steigt dort am Haldenkindergarten mit Jürgen Hahn (49) der letzte Läufer ein. Und der weiß es ganz genau. „Seit 1997 gibt‘s die Gruppe“, sagt er.

Aber warum sich seit rund 14 Jahren jeden Dienstag in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett in die Joggingschuhe quälen? „Um die Uhrzeit fällt‘s zu Hause keinem auf, wenn man nicht da ist“, lacht Sven Meyer, der wie die anderen beruflich und familiär zu stark eingespannt ist, um in der Mittagspause oder nach Feierabend zu laufen. Kein Wunder also, dass es neben der Dienstagsfrühschicht noch einen weiteren Termin für die fünf Ausdauersportfans gibt. „Freitags laufen wir auch, da wird‘s mit der Teilnahme aber nicht so eng gesehen“, erklärt Jürgen Hahn – nicht so eng? „Den Dienstag nehmen wir ernster, da sollte man vorher schon absagen, wenn man nicht kann. Sonst hagelt‘s hinterher böse E-Mails von den anderen“, schiebt er augenzwinkernd nach.

Flotten Laufschritts geht‘s weiter durch Ötlingen an der Lauter entlang Richtung Bodelshofen, wo der knapp einen Kilometer lange Anstieg zum Golfplatz auch den letzten Rest Schlaf aus den Beinen zwingt. „Hier belauern wir uns auch schon mal gegenseitig“, grinst Jürgen Hahn, „man muss immer mit Tempoverschärfungen rechnen.“

Wie auf Kommando ziehen Thomas Mailänder, Heiko Breckel und Sven Meyer das Tempo kaum merklich an und sind auf dem bolzgeraden Wirtschaftsweg mitten durch den Golfplatz in der Dunkelheit kaum noch auszumachen.

Konkurrenzdenken ist auf der alldienstäglich gleichen Laufrunde ansonsten jedoch verpönt. So wird am höchsten Punkt der Golfplatzsteigung artig aufeinander gewartet, schließlich haben sich die fünf, zu denen eigentlich noch CDU-Stadtrat Axel Kübler und Ausdauer-Ikone Anne Zacharias zählen, auch viel zu viel zu erzählen. Zuletzt war Stuttgart 21 das im Laufschritt am heißesten diskutierte Thema. „Ansonsten geht‘s aber nicht ganz so politisch zu“, schmunzelt Jürgen Hahn.

Oft genug steht die Terminkoordinierung im Vordergrund, schließlich mischen alle fünf regelmäßig bei Wettkämpfen mit. Sven Meyer zieht‘s im Dress des TSV Ötlingen auf Halbmarathon- und Marathonstrecken, Jürgen Hahn ist unter anderem dreimaliger Finisher der 100 Kilometer von Biel, Heiko Breckel und Jürgen Ott zählen für den Kirchheimer Lauftreff bei unzähligen Veranstaltungen zu den Aktivposten und Thomas Mailänder nimmt mit der Laufgruppe des Aktionkreis Behinderter (AKB) jedes Jahr am Rennsteiglauf in Thüringen teil. Dazu stellen sie sich seit fünf Jahren in verschiedenen Besetzungen auch den Staffelwettbewerben beim Challenge Roth, der Triathlonveranstaltung schlechthin.

Wer so fit ist, dem können die rund 120 Höhenmeter auf den asphaltierten Wegen zwischen Golfplatz, Freitagshof und Hohenreisach nichts anhaben. „Im Wald würden wir um diese Uhrzeit nicht laufen, das ist zu gefährlich“, sagt Sven Meyer, der neben Jürgen Hahn übrigens der einzige ist, der in kurzen Hosen durch die Dunkelheit trabt.

Frostbeulen muss an diesem ungewöhnlich milden Dezembermorgen allerdings niemand fürchten. Und selbst wenn‘s so wäre: ein Grund, im Bett zu bleiben, ist‘s für die Frühschichtjogger nicht. „Wir sind schon bei Schnee, Eis und Glätte gelaufen, aber ausgefallen ist der Termin noch nie“, erinnert sich Thomas Mailänder. „Meistens bleiben wir ohnehin von schlechtem Wetter verschont, in Regen sind wir noch ganz selten gekommen“, weiß Heiko Breckel, der nach Querung der Kreisstraße 1205 oberhalb des Ötlinger Wohngebiets Im Tobel die Strecke mit einem Blick in Richtung des noch dösenden Notzingen preist. „Wenn man hier im Sommer läuft und die Sonne geht gerade auf, ist das ein traumhaftes Panorama, man sieht bis zu den Kaiserbergen.“

Nicht minder beeindruckend ist die Aussicht, die sich auf dem Weg die Treppenstufen die Plochinger Steige hinab bietet – hinter den unzähligen Lichtern Kirchheims und seines Umlands thront die trotz Dunkelheit gut zu erkennende Teck. Die bei diesem Anblick unvermeidbare Frage nach der Teilnahme am diesjährigen Silvesterlauf erübrigt sich da fast schon. „Wenn wir da sind, machen wir mit“, so das Quintett einstimmig, als es über den Burgtobelweg in die Plochinger Straße geht, wo nach etwas mehr als neun Kilometern das Ziel in freundlich schimmerndem Licht aus der trüben Dunkelheit sticht: die Bäckerei, an der sich die fünf Lauffreunde jeden Dienstag beim gemütlichen Kaffee voneinander verabschieden – doch kein Abschied ohne Begrüßung. Jürgen Ott winkt seinen beiden Kindern auf der anderen Straßenseite zu, die gerade mit dem Rad auf dem Weg zur Schule sind. Es ist kurz vor sieben.

FrŸhjogginggruppe mit JŸrgen Hahn, Axel KŸbler und Co.in …tlingen
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