Lokalsport

„Unter Sportschützen gibt es natürlich auch schwarze Schafe“

Ötlinger Schützenchef über Winnenden, Vorurteile, seinen Traum

Knapp sechs Jahre nach dem Amoklauf von Winnenden, als der Sohn eines Sportschützen 15 Menschen und sich selber niederstreckte, werden aktive Schützensportler für die Bluttat noch in Sippenhaft genommen. Das beklagt Joachim Poppek (68), seit 29 Jahren ununterbrochen Abteilungsleiter der Ötlinger Sportschützen.

Hintergrundgespräch mit Ötlingens Sportschützen-Chef Joachim Poppek: Fünf Jahre nach Winnenden
Hintergrundgespräch mit Ötlingens Sportschützen-Chef Joachim Poppek: Fünf Jahre nach Winnenden

Steckt der deutsche Schützensport seit dem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen im März 2009, wo der jugendliche Täter ja die Waffe seines Vaters, eines Sportschützen, benutzte, in der größten Krise seit Gründung des Deutschen Schützen-Bundes (DSB) 1861?

Poppek: Das kann ich nicht beurteilen. Klar ist, dass der Amoklauf damals ein Schock für uns alle war. Es hat den Schützenvereinen sicherlich nicht genutzt.

Damals gab es 16 Tote. Es folgten der Vierfachmord in Eislingen einen Monat später sowie diverse blutige Tragödien, deren Verursacher nachweislich aktive oder passive Mitglieder eines Schützenvereins waren. Können Sie Leute verstehen, die Angst bekommen vor solchen Entwicklungen?

Poppek: Wie gesagt, nach Winnenden war Jeder geschockt. Was mir in all den Diskussionen danach gefehlt hat, war die sachliche Auseinandersetzung mit der Problematik. Es wurde fortan fast nur noch emotional diskutiert, nicht sachlich. Schießlich hatte ich das Gefühl, dass manche Leute nur darauf warteten, bis wieder eine Katastrophe passierte im Zusammenhang mit Sportschützen – damit sie das totale Verbot der Sportart fordern können.

Die Sportart ist ins Gerede gekommen, und die Zahl ihrer Kritiker ist heutzutage größer denn je.

Poppek: Sehen Sie, es wurde von der Politik doch schon einiges unternommen, um gewissen Dingen entgegenzuwirken. 2002 passierte der Amoklauf von Erfurt (16 Tote, Anm. d. Red.), und kurz danach gab es hierzulande ein verschärftes Waffengesetz, was ja auch die Sportschützen befrifft. Nach Winnenden wurden die Gesetze dann ein weiteres Mal verschärft.

Tut die Politik Ihrer Meinung nach also genug?

Poppek: Sie tut es.

Und der DSB?

Poppek: Auch. Man muss einfach akzeptieren, dass es in allen Lebensbereichen schwarze Schafe gibt und auch zukünftig immer wieder geben wird, also auch unter Sportschützen.

Das klingt ein wenig nach der Laissez-Faire-Philosophie. „Wehret den Anfängen“ fordert hingegen die Gegenseite und setzt auf restriktive politische Neuregelungen. Auch die EU diskutiert ein nochmals verschärftes Waffenrecht.

Poppek: Von schnellen, unüberlegten Gesetzeshandlungen halte ich gar nichts. Die führen doch nur dazu, dass das Volk für eine Weile beruhigt ist, weil es sich in Sicherheit wiegt. Tatsächlich ist das Problem damit nicht vom Tisch.

Welches Problem?

Poppek: Die Täter und ihre psychischen Defizite. Es sind schließlich nicht Waffen, die die Taten verursachen, sondern die Personen dahinter. Oft haben die in früheren Jahren nicht die menschliche Zuwendung erhalten, die sie gebraucht hätten. Den psychologischen Bereich sollte man mehr erforschen. Eine bessere Lösung kenne ich nicht.

Im Internet sind derzeit Parolen zu finden wie „Keine Sportwaffen als Mordwaffen“. Das zielt eindeutig gegen die Schützenvereine – fühlen Sie sich damit persönlich angegriffen?

Poppek: Solche Dinge gehen an an einem nicht spurlos vorbei. Ich habe allerdings gelernt, mir Attacken und Sprüche nicht sehr zu Herzen zu nehmen, weil vieles ja nur Polemik ist. Dagegen ärgert es mich maßlos, wenn irgendwo ein Mord mit einer Waffe passiert und der Berichterstatter dann als Erstes fragt, ob der Täter Sportschütze gewesen sei. Da sieht man, mit welchen Vorurteilen manche Medienvertreter behaftet sind.

Haben Sie jemals persönliche Anfeindungen wegen ihres Engagements als Schützenfunktionär erleben müssen?

Poppek: Zum Glück nicht. Auch in meinem Heimatverein TSV Ötlingen gab es aus keiner anderen Abteilung jemals irgendwelche Bemerkungen. Aber nach Winnenden haben wir durch Gespräche auch verstärkt daran gearbeitet, jedwede Polemik aus unserem Verein herauszuhalten. Das, denke ich, ist uns gelungen.

Als Kenner der Schützenszene, der auch schon mal zu Weltcup-Veranstaltungen fährt: Welche Haltung würden Sie Ihrem Verband im derzeitigen Stimmungsumfeld empfehlen?

Poppek: Das haben Andere zu entscheiden. Generell wünsche ich mir in der Debatte um Waffenrecht und Sportschützen aber, dass sie künftig weniger emotional und wie gesagt sachlicher wird.

Sie beklagen, dass Sportschützen bei der vorherrschenden Stimmungslage oft zu Unrecht angegangen werden. Wie äußert sich das?

Poppek: Man muss einmal sehen, wie relativ die Problematik ist, über die wir reden. Etwa 1,4 Millionen Mitglieder trotz eines Rückgangs hat der DSB derzeit und ist damit hinter Fußball, Turnen und Tennis weiterhin der viertgrößte Verband. Davon ist nur ein ganz geringer Bruchteil an irgendwelchen Waffendelikten in jüngerer Vergangenheit beteiligt gewesen.

Wie groß ist der Bruchteil?

Poppek: 0,002 Prozent. So groß ist der Anteil jener Vereins- und damit auch DSB-Mitglieder, die bei Vorfällen wie in Winnenden oder Heidenheim aktiv beteiligt waren.

Ötlingen gilt als Sportschützen-Hochburg, deren Luftpistole-Mannschaft eines der Gründungsmitglieder beim Bundesliga-Start 1997 war. Deutscher Meister zu werden, was Ihr sportlicher Lebenstraum ist, gelang der Mannschaft allerdings noch nie.

Poppek: Es wäre wirklich schön, wenn der TSV Ötlingen einmal deutscher Luftpistole-Meister würde. Aber die Realität sagt leider etwas Anderes. Unser Bundesliga-Etat beträgt lediglich  9 000 Euro, womit wir im unteren Teil der Tabelle liegen. Im Kampf um den Titel ist der TSV Ötlingen klarer Außenseiter.

Und wie groß ist die Chance, dass das Luftpistole-Team den Einzug in die Bundesliga-Endunde am 7. / 8. Februar in Rotenburg /Fulda schafft?

Poppek: Ich würde mal sagen, sie liegt bei 50:50. Vielleicht gibt Routinier Stefan Scharpf am Bundesliga-Schlusstag in Fürth ja sein Comeback, was eine weitere Option wäre.