Kirchheim. Ob darin mangelndes Vertrauen ins Demokratie-Bewusstsein ihrer Mitglieder zum Ausdruck kommt oder man sich einfach nur das Geld für die Saalmiete sparen wollte, der Ort, den sich die VfL-Spitze für ihren basisdemokratischen Übungsabend ausgesucht hat, ist ungewöhnlich. In den Räumen der Stadiongaststätte haben die VfL-Mitglieder morgen Abend ihr Votum für oder gegen den Bau des geplanten Sportvereinszentrums abzugeben. Mit mehr als 4 000 Mitgliedern zählt der VfL Kirchheim zu den 20 größten Sportvereinen in Württemberg. Mit 100 bis 150 Versammlungsteilnehmern rechnet die Vorsitzende Doris Imrich morgen Abend. Sehr viel mehr dürfen es angesichts des begrenzten Raumangebots wohl auch nicht werden.
Wie groß der Wunsch nach Teilhabe in Wirklichkeit ist, weiß keiner. An einer Entscheidung, die die Vorsitzende für den Verein zur Schicksalsfrage erhebt. Fest steht: Ohne die Mehrheit der morgen anwesenden Mitglieder wird es das geplante Vier-Millionen-Projekt nicht geben. Ganz gleich, wie viele sich an der Abstimmung beteiligen werden. Ein Quorum sehen die Statuten des Vereins nicht vor. Imrich selbst wäre ein Delegiertenvotum morgen Abend lieber gewesen. Die Gefahr, sich in mehr oder weniger sinnlosen Diskussionen zu verlieren, das Thema am Ende zu zerreden, muss jedem groß erscheinen, der schon einmal eine Vereinsversammlung miterlebt hat. Dennoch setzte sich im Vorstand die Überzeugung durch, dass man an diesem Abend niemanden vom Meinungsprozess ausschließen will. Erschüttern lassen will sich die Vorsitzende vom Ausgang auf keinen Fall. Sie werde am Montag wie immer ins Büro gehen, sagt Doris Imrich. Auch dann, wenn eintreten sollte, was bei aller Kritik am Vorhaben überraschend wäre. Trotzdem: Ein Scheitern käme für die Regentin über 18 Abteilungen einer persönlichen Niederlage gleich. Für die Sportentwicklungsplanung der Stadt wäre es fraglos ein schwerer Rückschlag.
Klaus Buck, Leiter der VfL-Skiabteilung und als CDU-Mann Mitglied der stärksten Fraktion im Kirchheimer Gemeinderat, spricht von einem richtigen Weg, den man mit der Sportentwicklung in Kirchheim eingeschlagen habe. „Deshalb muss man sich jetzt auch mit dem Ergebnis auseinandersetzen,“ folgert er. In der Skiabteilung hat man sich im Laufe des Verfahrens mit einer auffallend jungen Projektgruppe an der sogenannten Zukunftswerkstatt beteiligt. Der Grund ist so einfach wie plausibel: Weil die finanziellen Lasten auch die kommende Generation noch beschäftigen werden, wie Buck überzeugt ist. Wie viele spricht auch er von einem finanziellen Wagnis, versucht jedoch, der Entscheidung etwas von ihrer Tragweite zu nehmen. Es gehe um einen Grundsatzbeschluss, der den weiteren politischen Weg ebne. „In einem solchen Prozess bleiben immer noch offene Fragen.“
Deutlich zu viele, wie andere meinen. Detlef Pflüger, gerade erst zum neuen Leiter der krisengeschüttelten Fußball-Abteilung bestellt, ist nicht der Einzige, der Kritik an der Informationspolitik der Vereinsspitze übt. Er habe bisher weder eine Einladung erhalten, noch eine Tagesordnung gesehen. Bei ihm überwiegt die Skepsis, auch wenn sein Gefühl ihm sage, dass sich eine Mehrheit für den Baubeschluss finden wird. „Es gibt noch zu viele Punkte, die diskutiert werden müssen“, sagt Pflüger. „Für meinen Geschmack kommt dieser Termin zu früh.“ Als Vertreter fußballerischer Interessen, stellt sich für Pflüger vor allem die Frage, wie die Zeitschiene verlaufen soll. Ein zweiter Kunstrasenplatz, zusätzliche Spielflächen jenseits der Lindach als Ersatz für die wegfallenden Flächen beim Bau des Gebäudes. Das alles klingt verlockend. „Die Frage ist, wie schnell wird dies alles kommen, und was passiert, wenn plötzlich kein Geld mehr dafür da ist?“, fragt Pflüger sich.
Risiken und Vorteile richtig einzuschätzen, damit tut sich auch Michaela Pohl zum jetzigen Zeitpunkt schwer. Die Frontfrau der VfL-Turnabteilung – der mitgliederstärksten im VfL – sitzt im Hauptausschuss des Gesamtvereins und steht in regelmäßigem Kontakt zur Gruppe, die sich an der Zukunftswerkstatt beteiligt. Auch sie sagt: „Die offenen Fragen überwiegen.“ Sie hoffe, dass vieles von dem am Freitag vor der Abstimmung geklärt werden könne. „Ich tue mich schwer, die wirtschaftlichen Zahlen richtig einzuschätzen“, gesteht sie. „Wenn man sieht, wie allerorten die Fitnessstudios aus dem Boden schießen, stellt sich für mich die Frage der Konkurrenzfähigkeit.“ Dass draußen am Stadion etwas geschehen muss, steht für sie außer Zweifel. „Die Frage ist nur, in welcher Größenordnung.“ Ihre Hauptsorge gilt einem Ergebnis, das keine breite Basis widerspiegle. Deshalb hat sie bei Ausschussmitgliedern und Übungsleitern kräftig die Werbetrommel gerührt. „Je mehr mitmachen, desto besser ist das Ergebnis – egal, wie es ausgeht.“