Lokalsport

Vom Buhmann zum Hoffnungsträger

Kirchheimer Sprinter Alex Schaf knackt die Norm für die Hallen-WM – DLV gerät unter Druck

Alex Schaf, einst als WM-Versager von Daegu abgestempelt, ist der neue Hoffnungsträger im deutschen Männersprint. Beim Hallenmeeting in Sindelfingen lief der 25-jährige Kirchheimer vom VfB Stuttgart die 60 Meter in persönlicher Bestzeit von 6,59 Sekunden, unterbot damit die Norm für die Hallen-WM im März in Polen um drei Hundertstel und ist aktuell schnellster Deutscher in der Halle.

Alex Schaf setzt den DLV mit seiner Leistung vom vergangenen Wochenende in Sindelfingen unter Druck. Foto: Hans-Joachim Müller
Alex Schaf setzt den DLV mit seiner Leistung vom vergangenen Wochenende in Sindelfingen unter Druck. Foto: Hans-Joachim Müller

Sindelfingen. So erstaunlich die Steigerung von Schaf von bisher 6,67 um acht Hundertstelsekunden, so ungewöhnlich, wie es im Glaspalast dazu kam. Den Endlauf gewann er klar vor Felix Göltl (Friedberg-Fauerbach), doch die Uhren zeigten keine korrekte Zeit an. Man entschied sich für einen zusätzlichen Einlagelauf, bei dem dann für Schaf 6,59 und für Göltl 6,80 Sekunden gestoppt wurden.

„Das war noch nicht sein letztes Wort. Sein Start ist zwar besser geworden, aber immer noch ausbaufähig“, ist sein Trainer Micky Corucle überzeugt. Trotzdem hat Schaf in der Halle den ehemaligen Corucle-Schützling Tobias Unger, den erfolgreichsten Sprinter des vergangenen Jahrzehnts, über 60 Meter bereits um eine Hundertstelsekunde übertroffen. Unger ist jetzt Athletiktrainer für den Fußballnachwuchs beim VfB Stuttgart, hat einen 200-Meter-Start bei der Freiluft-EM im August in Zürich aber noch im Hinterkopf.

Für Schaf sind Sopot und Zürich Fixpunkte seiner Saisonplanung. Aber seine Wege dorthin sind steinig, die Trainingsbedingungen alles andere als optimal. Warum das so ist, hat auch mit seiner Biografie zu tun. Alex Schaf wurde in der ukrainischen Halb-Millionen-Stadt Lugansk geboren. „Ich bin in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Wir hatten kein Geld, wenig zu essen“, erzählt er über seine Kindheit. Mutter und Großmutter stammten aus Deutschland. 1996 übersiedelte die Familie nach Sigmaringen. Über „Jugend trainiert für Olympia“ kam Schaf als 16-Jähriger zum Sprint, knackte mit 18 die Elf-Sekunden-Marke. Nach seinem Schul­abschluss verpflichtete er sich für vier Jahre als Zeitsoldat bei der Bundeswehr, war als Blauhelm vier Monate im Kosovo im Einsatz.

Das Training organisierte der unkonventionelle Schaf selbst – wenn überhaupt. „Im Kosovo gab es nur einen Laufweg mit Kieselsteinen. Wenn ich keinen Bock hatte, habe ich eben nichts gemacht“, sagt er. Wieder zu Hause, trainierte er ganz allein in der Friedrichshafener Volleyballhalle. Erst Anfang 2011 wechselte er zum VfB Stuttgart in Corucles Trainingsteam mit Tobias Unger und Marius Broening, zog mit Freundin nach Kirchheim. Von da an ging es steil aufwärts. Schaf steigerte seine Bestzeiten auf 6,70 Sekunden über 60 Meter und 10,20 Sekunden über 100 Meter. Gemeinsam mit Unger, Broening und Sebastian Ernst bildete er die deutsche 100-Meter-Staffel bei der WM 2011 in Südkorea.

Doch in Daegu erlebte der Deutsch-Ukrainer einen Tiefschlag. Corucle hatte noch vergeblich gewarnt, den unerfahrenen Staffelläufer auf die verantwortungsvolle Position am Schluss zu stellen. Es kam, wie befürchtet: Schaf lief zu früh los, bekam den Stab von Ernst nicht mehr zu fassen, und die Staffel war geplatzt. Es hagelte heftige Kritik, sogar von den eigenen Kollegen.

Die Pleite hatte fatale Folgen für Schaf: Als Buhmann flog er aus dem DLV-Kader, wurde auch aus dem Staffel-Pool für die Olympischen Spiele 2012 verbannt. Damit war er auch bei der Bundeswehr nicht mehr als Athlet abgesichert. Das ist bis heute so. Schaf muss in der Kaserne in Stuttgart-Bad Cannstatt den ganz normalen Dienst schieben. Ohne Zugeständnisse, ohne Freiräume für Training und Wettkämpfe. Er steht um fünf Uhr auf, arbeitet bis 16 Uhr. Gut nur, dass die Trainingshalle hinter dem VfB-Fußballstadion nur fünf Minuten entfernt ist. So kann er in der Mittagspause eine schnelle Einheit einschieben, bevor er sich nach Dienstschluss ganz aufs Training konzentriert. Sonderurlaub für Trainingslager ist nicht drin. Tagelange Staffelmaßnahmen mit den DLV-Kollegen sind nicht möglich, weil der ihm zustehende normale Urlaub für Einzelstarts und deren Vorbereitung aufgebraucht wird.

Allen Widrigkeiten zum Trotz: Schaf hat sich durchgebissen, hat mit 6,59 Sekunden neue Maßstäbe gesetzt und die DLV-Verantwortlichen hellhörig gemacht. Sein Trainer sagt: „Wir erwarten jetzt eine Reaktion des Verbands, der DLV ist am Zug. Alex muss wieder in den Kader aufge­nommen werden, damit er bei der Bundeswehr für Training und Wettkämpfe freigestellt werden und sich weiter steigern kann“, so Corucle.