Kirchheim

Geheime Aktion im Morgengrauen

Traditionsende Der Trachtenverein Kirchheim stellt den Maibaum nicht mehr auf. Aus Sicherheitsgründen übernimmt ein Kran die zuschauerfreie Arbeit. Von Iris Häfner

Im Wonnemonat gehört der Maibaum zum Stadtbild in Kirchheim. Er ist beliebtes Fotomotiv und wird dieses Jahr wieder mit Zunftzei
Im Wonnemonat gehört der Maibaum zum Stadtbild in Kirchheim. Er ist beliebtes Fotomotiv und wird dieses Jahr wieder mit Zunftzeichen und Wappen geschmückt. Foto: Jean-Luc Jacques

Es war einmal - so beginnen Märchen und enden mit einem erfreulichen Ausgang der Erzählung. Nicht so jedoch bei der Geschichte der Maibaum-Aufstellung in Kirchheim. Es war einmal - das ist die Realität des Jahres 2017. „Der Maibaum wird am letzten Werktag vor dem 1. Mai mit einem Schwerlastkran aufgestellt“, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt. Das ist heuer am Freitag, 28. April, der Fall, und zwar gegen 6 Uhr in der Früh. Sicherheitsrechtliche Gründe werden als Ursache genannt, weshalb fast bei nachtschlafender Zeit die Aktion über die Bühne geht und die Mitglieder des Trachtenvereins nicht mehr aktiv sind. „In der Vergangenheit hat es in anderen Städten und Gemeinden tragische Unfälle während des Maibaumaufstellens gegeben. Die Sicherheitsauflagen sind inzwischen immens hoch“, heißt es dazu von offizieller Seite.

„Das ist das Ende einer Tradition. Nach 49 Jahren“, sagt Ernst Hummel, Erster Vorsitzender des Kirchheimer Trachtenvereins. Das Bedauern darüber ist ihm anzumerken. Einst wurde mit einem Pferdefuhrwerk der geschmückte Maibaum vom Vereinsheim in der Notzinger Straße in die Innenstadt gebracht. Einer Prozession gleich folgten die Trachtenträger, denen sich immer mehr Schaulustige anschlossen. Kräftige Männer waren dann am Ort des Geschehens gefragt, um den Baum mit Stangen von der Waagrechten in die Senkrechte zu bringen.

„Das Aufstellen ist das Entscheidende. Drei Tage später einfach nur drumrumtanzen - das ist nicht das Ding“, erklärt Ernst Hummel, weshalb sich die Mitglieder des Trachtenvereins dagegen ausgesprochen haben, am 1. Mai unter dem Baum aufzulaufen. Das Fest ausfallen zu lassen, kam jedoch auch nicht infrage. Deshalb laden die Trachtler zu einer Hockeste beim Vereinsheim ab 11 Uhr ein. Das Duo Dani und Jürgen unterhält die Gäste, außerdem stellen die Schlepperfreunde Ötlingen-Lindorf ihre Oldtimer aus. Und nicht nur das: „Einer bringt aus seinem eigenen Wald einen Baum mit, den wir dann bei uns aufstellen“, freut sich der Vorsitzende über den „kleinen Bruder“ und die Tatsache, dass es wieder „back to the roots“ geht. „Der erste Maibaum wurde vor 50 Jahren auch vor dem Vereinsheim aufgestellt. So kommen wir wieder zum Ursprung“, sagt Ernst Hummel. Doch das „nette Spektakel“ wird ihm fehlen.

Die ganzen Auflagen für das offizielle Aufstellen am Marktplatz sind ihm zu viel geworden, denn einer muss sich verantwortlich zeigen, sollte etwas bei der Aktion schiefgehen. „Dreimal so lang wie der Baum ist, dürfen keine Personen stehen“, erläutert Ernst Hummel. Das heißt im Klartext für Kirchheim: Die Marktstraße vom Rathaus bis etwa zum Juwelier Katz und der Marktplatz sind für Passanten tabu. „Da darf nicht mal die Kapelle sitzen“, sagt der Vorsitzende. Dazu kommen weitere Auflagen. „Jedes Jahr gibt es einen neuen Baum. Früher hat einer fünf Jahre gehalten, doch der muss heute vom TÜV oder einem Sachverständigen immer aufs Neue freigegeben werden“, so Ernst Hummel. Nicht nur dieses „Hickhack“ macht ihm zu schaffen, sondern seinen Männern auch das Gewicht: Der frische Baum wiegt deutlich mehr als ein getrocknetes Exemplar aus den Vorjahren.

„Wir haben heftig gerungen, um die Traditionsveranstaltung zu erhalten. Es wäre das 50. Mal gewesen“, bedauert Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker. Sie selbst hat das wiederkehrende Ereignis in guter Erinnerung - nicht zuletzt deshalb, weil ihre Söhne als Mitglieder der Jugendkapelle die Veranstaltung musikalisch mitgestalteten. Da der Trachtenverein Schwierigkeiten mit der nötigen Manpower hat, wurde nach Ersatz gesucht - allerdings erfolglos. „Der zweite Punkt ist die Sicherheit“, erinnert das Stadtoberhaupt an den Unfall im vergangenen Jahr in Wernau. Kurz bevor der Narrenbaum stand, rutschte er aus seiner Halterung, stürzte zu Boden und traf dabei einen Mann, der daraufhin verletzt ins Krankenhaus gebracht werden musste.

Angelika Matt-Heidecker ist froh, dass das Aufstellen des Maibaums über all die vielen Jahre gut ging. Komplett auf die Fichte verzichten will sie jedoch nicht: „Ich will einen Maibaum. Er ist das Wahrzeichen für Kirchheim im Monat Mai.“ Damit das besondere Exemplar nicht nackt neben dem Marktbrunnen stehen muss, leiht der Trachtenverein seine Zeichen - sprich die Schilder am Stamm - aus.

Aus Sicherheitsgründen wird der Maibaum in Ötlingen ebenfalls maschinell und ohne Zuschauer aufgestellt. Im vergangen Jahr war der Baum in Schieflage geraten und musste von der Feuerwehr gesichert werden. „Wir marschieren mit Bollerwagen und Musik durch die Halde zum alten Farrenstall-Gelände, wo der Maibaum steht“, sagt Daniela Schopp, Zweite Vorsitzende des Musikvereins Ötlingen. Start der Veranstaltung ist am Sonntag, 30. April, um 11 Uhr.