Kirchheim

Muskelkraft und veredelte Rohbauten

Kreisräte üben sich auf Sommertour durch den Landkreis in Radkultur

Mit Muskelkraft und auf zwei Rädern zu den aktuellen Topspots der Kreispolitik. Landrat und Parlamentarier machten den Praxistest.

Heimspiel für Günter Riemer (kleines Foto im Vordergrund): Kirchheims Bürgermeister übernahm an der Stadtgrenze die Führung bei
Heimspiel für Günter Riemer (kleines Foto im Vordergrund): Kirchheims Bürgermeister übernahm an der Stadtgrenze die Führung bei der Kreisrätetour und lotste den Radlerpulk informativ durch die Radkulturstadt mit Stopp am neuen Psychiatrie-Gebäude.Fotos: Carsten Riedl

Kirchheim. Wenn sich Kreistagsmitglieder im Landratsamt versammeln, wird es in der Behörden-Tiefgarage eng. Die seltene Ausnahme von der Regel: ein Tag vor der parlamentarischen Sommerpause, wenn sich Amts- und Mandatsträger gemeinsam auf den Fahrradsattel schwingen. Das Ziel: Kreisthemen, die man sonst nur aus Sitzungsvorlagen kennt, „erfahrbar“ machen. Wenn‘s sein muss, auch keuchend und schwitzend. Ämterrotation im großen Stil, Flüchtlingsunterbringung und Klinikneubau, das sind derzeit die Topthemen. Und natürlich: Radfahren. Am besten nach und in Kirchheim, denn dort empfängt inzwischen eine von landesweit acht zertifizierten „fahrradfreundlichen Kommunen“ den eifrigen Radler.

Kirchheims Bürgermeister Günter Riemer ist selbst einer. Deshalb weiß er auch, wovon er redet. Der Mann war schließlich dereinst Präsident des Württembergischen Radsportverbands. Heute sitzt er im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen und macht Werbung für die Radverkehrsförderung der Stadt. Riemer erzählt von der Bedeutung von Fahrbahn-Schutzstreifen im innerstädtischen Verkehr, vom wachsenden Markt beim Thema E‑Mobilität und dass Kommunikation genauso wichtig sei wie Infrastruktur, wenn es darum geht, Lust aufs Radeln zu machen. Ein Job, den das Verkehrsministerium im Land den Kirchheimern im Rahmen des Radkultur-Programms gerade mit einem 70 000-Euro-Zuschuss versüßt.

Die knapp 30 Kreisparlamentarier mit fraktionsübergreifend hochrotem Kopf haben in der mittäglichen Schwüle zu diesem Zeitpunkt von dieser Lust schon reichlich eingebüßt. Trotzdem geht‘s weiter übern heißen Asphalt zur Radstation am Kirchheimer Bahnhof, einem weiteren Vorzeigeprojekt der Stadt. Seit drei Jahren betrieben in Kooperation mit der Esslinger Beschäftigungsinitiative. Verleihstation, Notfall-Werkstatt, Tourismusmotor und Sozialprojekt in einem. Kirchheim will Vorreiter sein. Beim Thema Pedelec-Verleih an Bahnhöfen gebe es im Landkreis im Vergleich viel Luft nach oben, wirft Landratsamts-Sprecher Peter Keck ein. Das geht runter wie Öl, und nicht nur für Günter Riemer geht es anschließend endlich runter: Immer entlang des Neckars übers Umweltzentrum in Plochingen zurück zum Landratsamt.

Der angenehme Teil des Tages. Beim Start am frühen Morgen war der Tross der Straße der wandernden Aktenschränke gefolgt. Rund 300 Esslinger Behördenmitarbeiter sind derzeit auf Wanderschaft oder stehen kurz davor. Übers neue Domizil des Abfallwirtschaftsbetriebs in der Röntgenstraße ging es steil hinauf zum aussichtsreichsten Dienstzimmer im gesamten Landkreis. Das gehört dem Leiter des Gesundheits- und Veterinäramtes, das seit April mit 100 Mitarbeitern im ehemaligen Klinikgebäude auf dem Plochinger Stumpenhof residiert. 300 Verwaltungskräfte soll das Gebäude alsbald zur größten Außenstelle des Landratsamtes machen. Über die derzeit größte Flüchtlingsunterkunft in Hochdorf, wo die Kreisräte von Wohnheimleiter Martin Hermann eine aktuelle Lageskizze an die Hand bekamen, ging es weiter nach Kirchheim.

Weil Wein in Maßen gesund sein soll, war der Bogen vom einzigen Plochinger Weinberg, der mit 1,1 Hektar Fläche überm Neckartal thront, zum Klinikneubau in Kirchheim bündig geschlagen. Im Weinberg hatte es zuvor vom Chef über 350 Plochinger Wengerter eine Kostprobe vom Veltliner gegeben. In der Krankenhaus-Kantine gab‘s das Mittagessen. Kurz vor der Führung durch das neue Psychiatrie-Gebäude. Zum Glück, denn umgekehrt hätte es Verwaltungschef Heinz Eininger womöglich den Appetit verhagelt. Das Wort „entsetzt“ fiel gleich zweimal und bezog sich auf den Baufortschritt. Fehlende Fenster und offene Kabelschächte trieben beim Landrat und Aufsichtsratschef der Klinik-GmbH den ohnehin schon steilen Puls noch mehr in die Höhe. Befeuert von der Befürchtung, man werde im neuen Jahr hier einen „veredelten Rohbau“ beziehen.

Geplanter Fertigstellungstermin für das 17,9-Millionen-Projekt mit 206 neuen Betten und einer gerontopsychiatrischen Tagesklinik als Herzstück ist Ende November. Für Mitte Januar 2017 ist der Umzug der Patienten aus Nürtingen geplant. Gegen Einingers Furcht steht das Wort der Architekten: „Wir sind voll im Zeitplan und werden fristgerecht einziehen“, versichert Chefplaner Marcus Zehle.

Muskelkraft und veredelte Rohbauten
Muskelkraft und veredelte Rohbauten