Kirchheim

Zur blauen Stunde wird’s gefährlich

Umwelt Mit der Umstellung auf die Winterzeit wird der Feierabendverkehr automatisch eine Stunde vorgezogen. Da zu dieser Zeit auch bevorzugt Wildtiere durch den Wald streifen, erhöht sich die Unfallgefahr. Von Katharina Daiss

Schockmoment: Bietet sich dem Autofahrer dieses Bild, heißt es nicht nur abbremsen, sondern auch abblenden. Fotomontage: Carsten
Schockmoment: Bietet sich dem Autofahrer dieses Bild, heißt es nicht nur abbremsen, sondern auch abblenden. Fotomontage: Carsten Riedl

Auf den deutschen Straßen kommt es jährlich zu einer erheblichen Anzahl an Wildunfällen, vor allem mit Rehen. Im vergangenen Jahr hat es allein in Baden-Württemberg knapp 29 000 Mal gekracht. Besonders in den Abend- und Morgenstunden ist tierisch was los auf den Straßen. Durch die Umstellung auf die Winterzeit steigt die Gefahr noch. Denn ab nächster Woche begeben sich zum Beispiel die Berufstätigen wieder eine Stunde früher auf den Heimweg und fahren nicht mehr durch die Dunkelheit, sondern durch die Abenddämmerung.

Doch gerade zu dieser „blauen Stunde“ sind die Wildtiere besonders aktiv. Den Tag verbringen sie vorzugsweise im Wald oder in Hecken, wo sie sich sicher fühlen, zur Dämmerung suchen sie dann ihre Nahrungsgebiete auf. „Viele Felder sind jetzt abgeerntet, gleichzeitig bereitet sich das Wild auf die karge Winterzeit vor und die Dämmerung bietet Schutz vor Feinden“, erklärt Alwin Schnabel von der Wildforschungstelle Baden-Württemberg die zunehmende Aktivität von Reh und Co.

Mit dem vorverlegten Verkehr rechnen die Waldbewohner nicht. „Die Straßen durchqueren Lebensräume und die Verkehrsdichte ändert sich durch die Zeitumstellung. Doch das Wild ist schlecht informiert“, fasst der Naberner Jagdpächter Thomas Doll das Problem zusammen. Vor allem in Waldgebieten, aber auch in der Nähe von Hecken und Feldern überqueren Tiere unkontrolliert die Straße. Dabei können sie einzeln oder in Grüppchen auftauchen. „Noch sind die Rehe nicht in Sprüngen, also in größeren Gruppen unterwegs. Zurzeit sind es hauptsächlich lose Familienverbände oder einzelne Rehböcke“, beschreibt der Jäger und anerkannte Wildtierschützer seine Beobachtungen.

Besonders auf Landstraßen kann es zu gefährlichen Begegnungen für Mensch und Tier kommen. Verkehrsteilnehmer sollten dort vorsichtig und bremsbereit fahren. Mehrspurige Straßen sind weniger anfällig für Wildunfälle, da sie zumeist eingezäunt sind. „Seit über 50 Jahren wird der präventive Schutz vor Wildunfällen erforscht“, berichtet der Berufsjäger Alwin Schnabel.

Als besonders effektiv haben sich hier Wildwarnreflektoren mit einem akustischen Signal erwiesen, das von dem Licht der Scheinwerfer ausgelöst wird. Ohne diesen Piepton tritt schnell ein Gewöhnungseffekt ein und die Tiere lassen sich nicht mehr von den blauen Reflektoren beeindrucken. Zäune sind eine andere Möglichkeit, um Waldbewohner vom Überqueren der Straße abzuhalten. „Solche einschränkenden Maßnahmen müssen sachlich abgewogen werden, um das Wohl von Mensch und Wild zu gewährleisten“, findet Thomas Doll.

Wildbrücken sind die beste Möglichkeit, um die Tiere zu schützen; darin sind sich die beiden Jäger einig. Doch die grünen Brücken, über die Tiere die Straßen sicher überqueren können, sind rar gesät. In Baden-Württemberg wurden bisher 26 gebaut. „Aber 15 weitere sind geplant“, freut sich Alwin Schnabel.