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Ein bekannter unbekannter Dichter

Axel Kuhn und Bernhard Hurm stellen im Kirchheimer Max-Eyth-Haus eine Werkauswahl des Dichters Christian Wagners vor

Kirchheim. Es gibt noch positive literarische Überraschungen: Der Schulraum des Max-Eyth-Hauses war bei einer sonntäglichen Matinee

restlos besetzt. Es war zu befürchten, dass der Autorenname Christian Wagner zu wenig Zugkraft ausübt. Dass er für erstaunlich viele Leser in Kirchheim ein Begriff ist, hängt sicherlich damit zusammen, dass der Kirchheimer Jürgen Schweier Pionierarbeit geleistet hat, wenn es um den weitgehend vergessenen Autor geht. Er hat in seinem Ein-Mann-Verlag schöne Bände mit Texten Wagners herausgegeben, am bekanntesten wurde die Gedichtsammlung „Blühender Kirschbaum“.

Unter dem Titel „Ein Stück Ewigkeit“, einem Wagnerzitat, ist im vorigen Jahr „ein Lesebuch, eine Werkauswahl“ erschienen. Sie möchte die Bekanntheit des Autors weiter befördern. Als Gast des Literaturbeirats stellte der Herausgeber Axel Kuhn das „Lesebuch“ vor. Kuhn, emeritierter Professor für Geschichte und gelernter Germanist, gab eine Einführung in das Leben und Werk des außergewöhnlichen Autors. Bernhard Hurm vom Theater Lindenhof rezitierte Textproben.

In erfrischender Kürze fasste anfangs Axel Kuhn Leben und Werk zusammen. Wagner lebte von 1835 bis 1918. Seine Heimat war Warmbronn, damals ein Dorf mit 670 Einwohnern, heute ein Stadtbezirk von Leonberg. Wagner wuchs unter sehr einfachen Verhältnissen auf. Aus finanziellen Gründen konnte er nur die Dorfschule besuchen und wurde Landwirt. Pfarrer und Lehrer entdeckten seine poetische Begabung und förderten ihn. So konnte er sich auf literarischem Gebiet autodidaktisch weiterbilden.

Er schrieb Gedichte, Prosa und Dramen. Charakteristisch sind Mischformen aus Lyrik und Prosa wie in seinem Hauptwerk „Neuer Glaube“. Darin entwickelt Wagner in Anlehnung an den evangelischen Katechismus in 72 Fragen und Antworten seine Weltanschauung. Er fordert die größtmögliche Schonung alles Lebendigen. Zu dem „Lebendigen“ gehören nicht nur ausgegrenzte Menschengruppen wie „Zigeuner“ oder Schwarze, sondern auch Tiere und Pflanzen. Deshalb näherte er sich, in Reibung mit dem Christentum, den buddhistischen Lehren und glaubte an eine Reinkarnation, also an eine Wiederverkörperung der Seelen in einem anderen Leben. Christian Wagner verkündete in prophetischer Weise ein Friedensreich der Zukunft ohne Gewalt, ein Leben in Übereinstimmung mit der Natur. Das hört sich so unproblematisch an. Doch es ist einer Leiderfahrung abgerungen. Dem Propheten einer neuen Zeit ist die erste Frau weggestorben und zuvor alle vier Kinder.

Als Wagners Bekanntheitsgrad wuchs, wurde Warmbronn eine Art Pilgerstätte für Natur- und Literaturfreunde. Es bildeten sich Freundeskreise, die dem Autor Reisen finanzierten, und er kam in den Genuss von Pensionen des Schillervereins und der Württembergischen Königin.

Nach dieser Einführung kamen durch Bernhard Hurm die Texte Wagners zu Wort. Er bot Kostproben aus allen Teilen der Textsammlung, aus den Gedichten, Erzählungen, Essays, den autobiografischen Aufzeichnungen und den Briefen. Der Schwerpunkt lag natürlich auf den Gedichten, die die größte Nachwirkung erzielten. Diese filigranen Verse können in keine literaturhistorische Schublade gesteckt werden. Sie bewegen sich zwischen Impressionismus, Expressionismus und Realismus.

In der Präsentation von Bernhard Hurm sprechen sie die Zuhörer an. So kennt man den Lindenhöfer: Er liefert die Texte nicht ab, sondern sie scheinen in ihn gedrungen zu sein und kommen nun aus seinem Inneren. Das innige Verhältnis zu Wagnertexten ist nicht gespielt. Das Theater Lindenhof hat schon vor Jahren in sein „Brevier“ Wagnertexte aufgenommen. Hurm lässt zwischen den Texten Zeit zum Verarbeiten. Er streut auch mal spontan aus dem Gedächtnis das motivgleiche Gedicht eines anderen Autors ein. So wird Literatur lebendig.

Doch wird die Belebung erfolgreich sein? Wird dem Autor „ein Stück Ewigkeit“ zuteil? Wagner hat prominente Autoren wie Hesse, Albrecht Goes und Peter Handke überzeugt. Ein Wegbereiter der Moderne ist er auf jeden Fall für den Pazifismus, für die Esoterik und, damit zusammenhängend, auch für den Naturschutz.

Die Welt kommt ins Dorf

Axel Kuhns Wahlheimat ist Warmbronn und er ist dort Zweiter Vorsitzender der Christian Wagner Gesellschaft. Diese Gesellschaft gibt es seit mehr als 40 Jahren. Sie hat sich „die Förderung der Kenntnis vom Leben und Werk des Dichters Christian Wagner und die Neuherausgabe seiner Schriften zur Aufgabe gemacht“. Der Gesellschaft ist es gelungen, Wagners Geburtshaus zu retten. Es ist renoviert und enthält ein Museum mit Ausstellungs-, Versammlungs- und Archivräumen. Eine zusätzliche Attraktion bietet ein Wanderweg „Auf den Spuren Christian Wagners rund um Warmbronn“ mit verschiedenen Stationen, bei denen ein Bezug zwischen den Gedichten und der Natur hergestellt wird. Das Museum ist sonntags von 11 bis 13 Uhr und nach Anmeldung geöffnet. Der Eintritt ist frei. Anmeldung unter der Telefonnummer 0 71 52/94 90 94.ust