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Im Fischglas herrscht gutes Klima

Bürgerdialog Der Grünen-Politiker Cem Özdemir beantwortet im Kirchheimer Alten Gemeindehaus Fragen der Bürger von Marihuana bis Diesel. Die Verteidigung der Demokratie liegt ihm besonders am Herzen. Von Thomas Zapp

Von den Fragestellern umringt: Das brachte Cem Özdemir dazu, ständig in Bewegung zu bleiben. Der Landtagsabgeordnete Andreas Sch
Von den Fragestellern umringt: Das brachte Cem Özdemir dazu, ständig in Bewegung zu bleiben. Der Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz stand ihm vor allem bei Verkehrsthemen zur Seite.Foto: Carsten Riedl

Man muss zwei Mal hinschauen, um den Stargast zu erkennen. Cem Özdemir ist im jugendlichen Freizeit-Look gekommen, mit Kapuzenshirt, Sakko, Jeans und Sneakers. Das Alte Gemeindehaus in Kirchheim ist mit rund 200 Gästen brechend voll. Um den Stehtisch mit der grünen Husse in der Mitte sind die Stühle im Quadrat angeordnet. „Fishbowl“, also Fischglas nennt man diese Diskussionsform, erklärt Andreas Schwarz. Der Landtagsabgeordnete der Grünen und die Fraktionsvorsitzende im Kirchheimer Gemeinderat Sabine Bur am Orde-Käß haben zum Bürgerdialog geladen und mit Cem Özdemir einen der bekanntesten Politiker der Partei in die Teckstadt geholt.

Und der scheint sich darüber ehrlich zu freuen. Als Kind sei der türkischstämmige Bad Uracher mit seinen Eltern an der Teck wandern gewesen. Das wolle er mit seinen eigenen Kindern auf jeden Fall wiederholen. Es gibt Gelächter, die Stimmung ist gelöst.

Der 52-Jährige, dessen Debattenbeitrag im Bundestag gegen die AfD im vergangenen Jahr als Rede des Jahres ausgezeichnet wurde, erzählt dann, dass er in Begleitung von Beamten des Bundeskriminalamtes angereist ist. „Wir haben das Privileg, dass die Polizei dafür da ist, dass solche Veranstaltungen stattfinden können. In anderen Ländern ist sie dafür da, so etwas zu unterbinden.“ Dieses Thema liegt ihm spürbar am Herzen: „Wir müssen die Demokratie wertschätzen.“ An die Anhänger anderer Parteien im Saal appelliert er: „Wir sind keine Feinde, es ist gut für die Demokratie, wenn sich die Leute engagieren.“ Verschiedene Meinungen etwa zur Dieselproblematik seien wichtig, aber wer die Hitler-Diktatur als „Mückenschiss“ bezeichnete - er meinte den „Vogelschiss“-Vergleich von AfD-Chef Alexander Gauland - übertrete eine rote Linie und stehe auf der anderen Seite der Barrikaden.

Die Zukunft der liberalen Demokratie ist neben dem Klimawandel das beherrschende Thema für den ehemaligen Grünen-Vorsitzenden. Und seine Botschaft im Vorfeld der Europawahlen angesichts von Populisten in Ungarn, Polen und Italien lautet in bester Grünen-Manier: „Da geht‘s um die Wurst, oder für Vegetarier: um den Käse. Wir müssen uns auf die Vorderfüße stellen: jetzt!“

Die erste Frage aus dem Publikum geht zur allgemeinen Erheiterung in eine ganz andere Richtung: Wie stellen sich die Grünen das Thema Legalisierung von Marihuana vor? Cem Özdemir hat eine klare Vorstellung: Marihuana soll in lizenzierten Geschäften verkauft werden, aber nur an Erwachsene.

Weiter geht der Themenritt durch Dieselverbote, Plastikmüll, Bildungspolitik und die Zukunft der Mobilität. Özdemir hat zu den großen Themen stets ein praktisches Beispiel aus seinem Leben parat. Mit seinen Kindern war er vor dem Bürgerdialog im Porsche-Museum und hat gelernt: Der erste Porsche war ein Elektroauto. „Wir waren an der Technik dran“, sagt er. Und wahrscheinlich führe am E-Auto künftig kein Weg vorbei, auch wenn man von der Nachhaltigkeit der Technik nicht vollends überzeugt sei. „Die Chinesen haben entschieden, auf Elektro zu setzen“, sagt er. Also müsse auch Deutschland dort aktiv sein, denn auf den chinesischen Markt komme man nur noch mit Elektro. Die Entwickler der i-Reihe von BMW säßen schon in China. Der schwäbische Grüne denkt nicht nur an die Umwelt, sondern auch an die Wirtschaft. 800 000 Arbeitsplätze hängen von der Autoindustrie in Deutschland ab. Die „Mobilitätswende“ ist nach Ansicht Özdemirs unvermeidbar. Ein Positivbeispiel ist für ihn das Entwicklungszentrum für die Brennstoffzelle in Nabern.

Auch die Investition in den Öffentlichen Nahverkehr darf nicht fehlen. Da lässt sich Özdemir gerne vom Verkehrsexperten Andreas Schwarz unterstützten, der unter Applaus einmal mehr den Ringschluss der S-Bahn zwischen Kirchheim, den Fildern und Stuttgart propagiert. Beim Thema Diesel ist ihm wichtig, zu betonen: „Wir sind nicht die Partei der Fahrverbote.“ Vor drei Jahren sei der Skandal herausgekommen, seitdem ist nichts passiert. Seine Vorschläge: Hardware-Nachrüstung der Fahrzeuge und die Einführung einer blauen Umweltplakette für alle Autos. Er selbst fährt ein Pedelec, seine Frau fährt ein Hybridauto. „Leider kein deutsches Modell, das gab es damals noch nicht“, sagt er im Interview.

Nicht fehlen darf am Ende der Appell des überzeugten Europäers Özdemir, bei den kommenden Wahlen für Europa zu stimmen: „Deutschland alleinr hat 0,0 Prozent Chancen, die Standards zu bestimmen. Erfolg hast du nur, wenn die Nachbarn Erfolg haben.“ Die Verteidigung der Demokratie, darum geht es, und das ist seine Botschaft nach zwei Stunden und fünf Minuten im Fischglas des Alten Gemeindehauses.