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In Papas Fußstapfen

Boris Palmer erklärt in Lindorf den berühmten Obstbaumschnitt von „Remstalrebell“ Helmut Palmer

Kaum ein Thema beschäftigt Obstbauern so sehr, wie die Frage nach dem fachgerechten Baumschnitt. Und über kein ­anderes Thema wird in der Obstwelt derart trefflich ­gestritten, als über die richtige Technik. Grünenpolitiker Boris Palmer, Sohn des Pomologen Helmut Palmer, zeigte in Lindorf, was es mit dem Palmer-Schnitt auf sich hat.

So schneidet man eine Obstbaumkrone: Rund 30 Interessierte schauen „einem Beamten zu, wie er tatsächlich etwas schafft.“Foto: Da
So schneidet man eine Obstbaumkrone: Rund 30 Interessierte schauen „einem Beamten zu, wie er tatsächlich etwas schafft.“Foto: Daniela Haußmann

Kirchheim. Trotz strömenden Regens wurden rund um den Lindorfer Friedhof am Samstag die Parkplätze knapp. Aus allen Himmelsrichtungen reisten Besucher an, um sich in Palmers Philosophie vom richtigen Baumschnitt einführen zu lassen. Der ein oder andere hatte schon bei Helmut Palmer, der als Remstalrebell bekannt geworden war und manches Mal für Furore sorgte, einen Kurs besucht. Vor 60 Jahren war der verstorbene Obstbauexperte selbst zu Besuch in Lindorf. Manch einer der Teilnehmer wollte nun altes Wissen auffrischen oder, wie es Boris Palmer formulierte, „einem Beamten zusehen, wie er tatsächlich etwas schafft“.

Schulter an Schulter umringten die Besucher unter ihren Regenschirmen den Tübinger Oberbürgermeister, der mit Schere und Säge in der Hand passioniert die Leiter bis zur Baumkrone hinaufkletterte. Aufmerksam verfolgten sie, wie Palmer dem Gehölz wohlüberlegt zu Leibe rückte. „Ziel eines Baumschnitts ist es, einen guten Ertrag und hochwertige Früchte zu produzieren, aber auch den Baum gesund zu halten“, sagt Palmer. „Außerdem soll der Schnitt nicht zeitaufwendig sein, sondern ökonomisch sinnvoll, um bei der Pflege und Ernte Arbeit zu sparen.“ Anforderungen, denen der württembergische Schnitt, mit einer Mitte und mehreren Serien an flach auslaufenden Querästen laut Palmer nicht gerecht wird.

Die früher bevorzugte Methode führe zu Verschattung und mangelnder Statik. „Das ist ungefähr so wie 60  Jahre lang die CDU machen lassen – gleich effektiv“, bilanzierte der Grünenpolitiker. „Das Flachdrücken der Äste beim württembergischen Schnitt führt zu Wasserschossen, und der Baum muss jedes Jahr von neuem niedergekämpft werden.“ Wer dringend Brennholz für den Ofen brauche könne das so handhaben, zielführender Obstbau sehe allerdings anders aus.

Mit Mut zum Schnitt lichtete Boris Palmer den Baum von Lindorfs Ortsvorsteher Stefan Würtele aus. Einen Teil der Fruchtäste, die sich bereits über die Leitäste drängten, sägte der Grünenpolitiker binnen weniger Minuten ab. „Die Leitäste bekommen so von oben wieder mehr Licht“, erklärte Palmer. „Auf die Art wird verhindert, dass eine schirmartige Krone entsteht, durch die sich die produktive Zone stetig nach oben verschiebt und die Bildung von Schattenfrüchten wird unterbunden.“

Beim Umsetzen der Leiter erspähte der Tübinger Oberbürgermeister auch gleich einen groben Schnitzer, den sich der Baumeigentümer beim Zuschnitt geleistet hatte. Einer der Leitäste war entfernt worden. „Ein Fehler, den mein Vater als Idioten-Knick bezeichnete“, so Palmer weiter. „An diesen Stellen bilden sich, wie hier zu sehen, Wasserschosse.“

Mit vereinten Kräften zogen Stefan Würtele und der grüne Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz das abgesägte Holz aus dem Baum. „Was ist mit großen Schnittstellen, wenn Äste herausgeschnitten werden?“, tönte es aus der Menge. „Wenn die Stellen größer als ein Fünf-Mark-Stück sind, sollte kein Baumlack, sondern Rindenersatz aufgetragen werden, denn der Lack bricht auf und Feuchtigkeit dringt ein“, rief Boris Palmer von der Leiter herunter. „Sind die Schnittstellen kleiner als eine Fünf-Mark-Münze, bleiben sie unbehandelt.“

Gerhard Müller aus Ruit war sich nach dem Kurs sicher, dass er künftig seine Bäume selbst schneidet. Vor etlichen Jahren hat er Helmut Palmer höchstpersönlich beim Baumschnitt erlebt. Lachend erinnerte er sich, wie der „Remstalrebell“ in der Krone herumsprang und die Kursteilnehmer bei Fragen in den Senkel stellte und sie ermahnte, besser zuzuhören. „Das war schon ein Erlebnis“, stellte Müller schmunzelnd fest.

Stefan Würtele, von dessen Baum am Ende drei Leitäste und eine Mitte übrig blieben, wertete die Veranstaltung als vollen Erfolg. Für die Gruppe Kirchheimer Streuobst, war es der sechste Baumschnittkurs, den sie organisiert hatte. „Wir wollen damit einen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft leisten“, so Würtele. „Vieles in punkto Baumschnitt ist in Vergessenheit geraten. Der Kurs soll Lust und Mut machen aktiv zu werden.“ Schließlich sei die Pflege der Streuobstwiesen wichtig für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Biodiversität.