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Melancholie und Lebensfreude

Giora Feidman und das Rastrelli-Celloquartett werden vom Publikum in der Kirchheimer Stadthalle frenetisch gefeiert

Künstlerischer Dialog auf Augenhöhe: Das Rastrelli-Celloquartett und Giora Feidman.Foto: Genio Silviani
Künstlerischer Dialog auf Augenhöhe: Das Rastrelli-Celloquartett und Giora Feidman.Foto: Genio Silviani

Kirchheim. Giora Feidman: für gewöhnlich ebenso respektvoll wie inflationär als „König des Klezmer“ tituliert. Ein wohlverdienter Ehrentitel, gewiss. Jedoch bedarf die Musik

Florian Stegmaier

keiner Regenten. Vielmehr Künstler und Interpreten, die sich ganz in ihren Dienst stellen. Vollblutmusiker eben, wie Feidman einer ist, der den Klezmer quasi schon mit der Muttermilch eingesogen hat, ihm, seiner Familiengeschichte und musikalischen Sozialisation nach vollumfänglich verbunden ist.

Authentizität und Traditionsbewusstsein, aber auch künstlerische Offenheit und innovative Brückenschläge zu Klassik, Jazz oder Tango nuevo sind die Signaturen seiner musikalischen Laufbahn. Qualitäten, die auch bei Giora Feidmans Gastspiel in der Kirchheimer Stadthalle zu erleben waren.

Vom im äußersten Pianissimo gehaltenen Konzertbeginn bis zu den temperamentvollsten Ausbrüchen osteuropäischer Folklore faszinierte die ungemein breite Ausdruckspalette, über die der Klarinettist verfügt. Sein Instrument klingt nicht einfach nur, es flüstert, singt, beschwört. Ahnungsvolles Raunen elegischer Rezitative schlägt ebenso organisch wie unvermittelt in ekstatisches Jubilieren um. Melancholie und Lebensfreude zeigen sich in Feidmans Spiel als die Kehrseiten ein und derselben Medaille.

Mit dem Rastrelli-Celloquartett hatte Feidman einen konzertanten Partner zur Seite, der keineswegs angetreten war, nur als Steigbügelhalter der Altmeisters zu fungieren. Vielmehr entspann sich hier ein künstlerischer Dialog auf Augenhöhe, der nicht zuletzt von den geschmackvollen, musikalisch hochintelligenten Arrangements profitierte, mit denen sich das Ensemble ein überraschend wandlungsfähiges Repertoire auf den Leib geschneidert hatte.

Manchmal hielt sich Feidman auch zurück, überließ die Bühne ganz seinen Streicherkollegen. So etwa bei der herrlich vitalen „One Note Samba“ oder bei „Take Five“, Dave Brubecks größtem Hit, der freilich aus der Feder seines Saxofonisten Paul Desmond stammt. Die Rastrellis – Kira Kraftzoff, Sergio Drabkin, Kirill Timofeev und Misha Degtjareff – entpuppten sich hier als wahre Teufelsstreicher, entfachten ein Improvisationsfeuerwerk mit hohen CrossoverAnleihen, das sie schon hörbar in die Nähe ihrer fracklosen Cellokollegen von Apocalyptica rücken ließ.

Dann verwandelten sich die vier Celli wiederum in eine formidable Big Band, die mit Giora Feidman an der Bassklarinette das blueslastige „Moanin“ oder das charmante „When I‘m Sixty-Four“ zum Besten gab. Synkopische Energie versprühte der gemeinsame Ausflug in die Welt der „Carmina Burana“, andalusisches Kolorit hielt mit Musik von Manuel de Falla Einzug.

Expressiv, virtuos und ausdrucksstark wurde „In the Self“ dargeboten: eine Komposition von Ora Bat Chaim, einer der produktivsten Klezmer-Botschafterinnen Israels und zudem seit vierzig Jahren die Frau an Feidmans Seite. Vergleichsweise introvertierter, eher mit subkutaner Glut versehen, gab sich der Abstecher in die reiche Tradition des nordamerikanischen Gospels.

Ohne in die doch recht naheliegende Kitschfalle zu treten, kredenzten die fünf Musiker eine reizvolle Version von Louis Armstrongs „What a Wonderful World“. Der Völkerverständigung verpflichtet, hatte Feidman bereits ans Ende der ersten Konzerthälfte ein symbolträchtiges Quodlibet aus deutscher, israelischer und palästinensischer Nationalhymne gestellt. So war es kein Wunder, dass unter seinem Zugriff selbst die große Satchmo-Schnulze glaubhaft ihren kosmopolitischen Gehalt offenbarte.

Zu einem Konzert mit Giora Feidman gehört stets die gesuchte Interaktion mit dem Publikum, seine von liebenswürdigem Humor getragenen Kurzansprachen ebenso wie die meist damit verbundene Aufforderung gesanglich einzustimmen. Auch in dieser Hinsicht kam das Kirchheimer Publikum nicht zu kurz, das Giora Feidman und das Rastrelli Celloquartett nach ihrem gut zweistündigen Auftritt frenetisch feierte.