Weilheim · Lenningen · Umland

Mit Farbe gegen das Grau der Stadt

Graffiti-Künstler Benjamin Seyfang über seine Projekte, legale Sprühflächen und den Reiz von Graffiti

Benjamin Seyfang ist Graffiti-Sprayer und damit Vertreter einer Kunstform mit eigenen Regeln. Fotos: Jean-Luc Jaques
Benjamin Seyfang ist Graffiti-Sprayer und damit Vertreter einer Kunstform mit eigenen Regeln. Fotos: Jean-Luc Jaques

Kirchheim. Lange ist Benjamin Seyfangs Graffiti nicht unberührt geblieben. Der Künstler steht mit verschränkten Armen vor der alten Güterhalle am Kirchheimer Bahnhof.

Er und eine Gruppe anderer Sprayer hat die heruntergekommene Location vor etwa zwei Jahren mit Graffiti aufgepeppt. „Delirium furiosum“, prangt dort nun in Anspielung auf das Theaterstück, das hier im September 2014 aufgeführt wurde. Daneben hat Seyfang kunstvolle, sich vermischende Uhrentypen gesprayt. „Das Ziffernblatt war besonders schwierig“, erzählt der Nürtinger, während er um die Halle streicht und prüfend die Wände mustert. Denn Teile der Kunst sind nicht mehr zu erkennen: Andere Sprayer haben einige der Werke übermalt, so auch seine Uhren, über denen nun ein silberner Schriftzug verläuft. „Schade“, bedauert Seyfang. „Wir haben Tage dafür gebraucht. Eine Arbeit, die in wenigen Momenten wieder zunichte gemacht wurde.“

Man sollte manches einfach respektieren, meint der 27-Jährige. Als Anfänger müsse man nicht über etwas Schönes und Zeitintensives rübersprayen. Dieser Kodex sollte auch bei legalen Aktionen wie beim Besprühen der „Hall of Fame“ in Stuttgart respektiert werden. „Bei solchen Freiflächen kann man sich ja auch Zeit lassen, um etwas Schönes zu gestalten“, betont er die Vorteile solcher legal besprühbaren Areale. „Es ist möglich, mit anderen darüber zu sprechen. Die Werke bleiben oft länger bestehen. So kann wirklich Kunst entstehen.“

Obwohl Seyfang inzwischen Fürsprecher solcher Flächen ist, war auch er nicht immer ein Heiliger, gibt er mit einem Lachen zu. In jungen Jahren hat er schon so manche Nacht-und-Nebel-Aktion mitgemacht. „Angefangen habe ich mit 17“, erzählt er. „Ich habe das Graffiti überall wahrgenommen und gedacht: Das will ich auch!“ Anfangs zeichnet er auf Papier, probiert Farben aus und entwickelt seinen eigenen Stil. Zu sprayen beginnt er dann mit klassischen Schriftzügen, wechselt aber schnell ins Figürliche. Mittlerweile habe er sich einen comicähnlichen Stil zu eigen gemacht. „Das Ganze klappt natürlich nicht von heute auf morgen“, berichtet er. Es könne schon mal etwas verlaufen, oder die Proportionen stimmen nicht sofort. „Das Gute ist, dass man Fehler übersprühen kann“, schmunzelt der aus Weilheim stammende Graffiti-Künstler.

Inzwischen ist er Profi auf seinem Gebiet: Neben dem Projekt an der Güterhalle hat er schon mitgewirkt, die Fahrzeughalle im Wendlinger Bauhof und das Jugendhaus Zentrum zu verzieren. Hier leiten er und der Kunsttherapeut Christian Pomplun den Treffpunkt „Graffity Corner und Urban Art“. Darüber hinaus hat Seyfang die Wand des Kindergartens ­Beethovenstraße in Plochingen gestaltet.

„Jugendarbeit macht mir großen Spaß“, schwärmt Seyfang. „Das Inte­resse an dem Bahnhof-Projekt in Kirchheim war enorm. Aber ein Prob­lem war leider die Koordination.“ Die Jugendlichen hätten einfach lossprühen wollen, erzählt Seyfang. Aber ein bisschen Planung müsse eben doch sein, denn die Stadt wollte erst einmal einen Entwurf sehen. Letztlich ist das Projekt aber doch gelungen, findet Seyfang.

„Die Sprühdose ist ein starkes Medium“, sagt der Künstler. „Graffiti fasziniert mich einfach.“ In der Szene gehe es auch viel um Selbstdarstellung, weiß der erfahrene 27-Jährige. „Am Anfang überlegt man sich einen Sprühernamen, einen sogenannten Tag, den man immer wieder sprayt“, erzählt er. Dadurch, dass man diesen immer wiederhole, verbessere man natürlich auch seinen Stil. „Man geht außerdem oft in Bereiche, wo nicht jeder hinkommt“, meint Seyfang – das sei der Grund, weshalb man so oft Graffiti an ungewöhnlichen Orten wie zum Beispiel in Bahntunneln sieht. „Damit will man einen Platz für sich einnehmen und das Graffiti wird nicht sofort wieder entfernt.“ An einem Platz, wo man nicht sein darf, zu sprühen, habe seinen ganz eigenen Reiz. Es sei eine Möglichkeit, sich zu verewigen und zu sagen: „Ich war da.“ Auch von Konkurrenzstreitigkeiten hat er schon gehört. „Wenn eine S-Bahn von einer Gruppe besprüht wurde, lassen andere lieber die Finger davon.“

Ihn selbst fasziniert mittlerweile neben Graffiti auch die Fotografie. Besonders gerne lichtet er verlassene Fabriken und alte Gebäude ab, sogenannte „lost places“. Trotzdem plant er auch noch weitere Projekte mit der Sprühdose. Als nächstes steht eine Spray-Aktion in Weilheim im Zuge der Innenstadtoffensive an: Die Unterführung in der Nähe des Modehauses Mack soll durch Seyfang einen neuen Anstrich bekommen. Thema wird die „Zähringerstadt“ sein, inklusive Stadtwappen, Limburg und Drache. Bis Seyfang die Finger ganz vom Graffiti lässt, kann es noch dauern. „Zu alt ist man ja schließlich nie“, lacht der Hobbykünstler.

Graffiti vom  Graffiti-Künstler Benjamin SeyfangRepro: Jean-Luc Jacques
Graffiti vom Graffiti-Künstler Benjamin SeyfangRepro: Jean-Luc Jacques
am Kirchheimer Bahnhof mit dem Weilheimer Graffiti-Künstler Benjamin Seyfang
am Kirchheimer Bahnhof mit dem Weilheimer Graffiti-Künstler Benjamin Seyfang
Graffiti vom  Graffiti-Künstler Benjamin SeyfangRepro: Jean-Luc Jacques
Graffiti vom Graffiti-Künstler Benjamin SeyfangRepro: Jean-Luc Jacques
Graffiti vom  Graffiti-Künstler Benjamin SeyfangRepro: Jean-Luc Jacques
Graffiti vom Graffiti-Künstler Benjamin SeyfangRepro: Jean-Luc Jacques