Weilheim · Lenningen · Umland

Neue Biografie räumt mit Hesse-Klischees auf

Literaturbeirat Hermann Hesse hat sich zehn Tage in Kirchheim aufgehalten. Jetzt hat der Autor Heimo Schwilk in der Teckstadt eine Biografie über den Dichter vorgestellt. Von Ulrich Staehle

Symbolbild

Der Literaturbeirat hatte schon eine gewisse Vorahnung und verlegte die Veranstaltung vom Max-Eyth-Haus ins Kornhaus. Schließlich ist Hesse Bestandteil des Literaturmuseums, denn er hat sich zehn folgenreiche Tage in Kirchheim aufgehalten. Dass er aber so viele Leute anzieht, das überraschte dann doch. Die Stühle reichten nicht aus.

Vielleicht lag der Zuspruch auch am Referenten. Heimo Schwilk ist in Esslingen bis zum Landexamen in die Schule gegangen, hat in Maulbronn das Abitur gemacht, studiert, promoviert und sich zu einem erfolgreichen Journalisten und Buchautoren entwickelt. Als leitender Redakteur der „Welt am Sonntag“ war er schon in Talkshows zu sehen. Anfang des Jahres ist von ihm eine Biografie über Luther erschienen. Die Biografie über Hesse mit dem Untertitel „Das Leben eines Glasperlenspielers“ hat Schwilk 2012 zum 50. Todestag des Dichters publiziert.

Wenn sich jemand an eine Biografie über Hesse wagt, muss er einen eigenen, neuen Zugriff vorweisen. Schwilk möchte das Klischeebild von Hesse korrigieren. Er sei nicht der Pazifist gewesen, zu dem ihn die „Suhrkampkultur“ gemacht habe - bei Suhrkamp ist nämlich die Gesamtausgabe von Hesses Werken erschienen. Außerdem sei bisher in keiner Biografie das Traumtagebuch eingearbeitet worden.

Stilistisch hebt sich Schwilks Biografie von den anderen dadurch ab, dass sie einen erzählerischen Ansatz hat. Sie ist nicht in der Vergangenheit geschrieben, sondern im Präsens. Schwilk wählt keinen ideengeschichtlichen Hintergrund für seine Biographien wie etwa Rüdiger Safranski.

Als ersten „Erzählteil“ wählte der Referent eine Passage mit den bitterbösen Briefen des jungen Hesse an seinen Vater. Sie „schwanken zwischen virtuos vorgetragenem Weltschmerz, höhnischer Aggressivität und devotem Betteln um Verständnis“, sagt er.

Danach folgte, wie sollte es anders sein, die Schilderung von Hesses Aufenthalt in Kirchheim im August 1899 mit seinem Freundeskreis, dem „Petit Cénacle“. Der junge Hesse verliebte sich in Julie Hellmann, die Bedienung in der Gastwirtschaft „Zur Krone“. Die Folge: eine „Verdichtung“ in der Erzählung „Lulu“, Gedichte und ein lebenslanger Briefwechsel.

Nachdem Schwilk weitere Entwicklungen wie den literarischen Durchbruch mit „Peter Camenzind“ zusammengefasst hatte, las er aus der Biografie den „innovativsten“ Abschnitt vor. Die Zuhörer mussten lernen, dass Hesse keineswegs der Pazifist war, für den er gehalten wird. Er hat sich zum Beispiel 1914 als Freiwilliger gemeldet und in Gedichten den Krieg als „seelische Bewährungsprobe“ gepriesen. Diese „Ideen von 1914“ erinnern an Ernst Jünger. Die Gedichte sind bei Suhrkamp vorhanden, aber in den „politischen Schriften“ versteckt. Hesse hat aber eingestanden, dass er das Drecksgeschäft des Krieges lieber anderen überlassen hat.

Als weitere „Innovation“ servierte Schwilk eine Kostprobe aus Hesses „Traumtagebuch“. Der Autor hat auf Anraten des Tiefenpsychologen Josef Bernhard Lang seine Träume aufgeschrieben. Es gibt intime Details: über Onanie, über pädophile, ja inzestuöse Neigungen. Schwilk hält diese Informationen nicht für Schlüssellochindiskretionen, sondern nötig für das Verständnis von „Peter Camenzind“.

Ausführlich beschäftigte sich Schwilk dann mit „Siddhartha“. In diesem Werk gelingt eine Synthese zwischen westlichem Individualismus und östlicher Spiritualität, zwischen Christentum und Buddhismus. Gemeinsame Basis ist „die Liebe“. Allerdings bekennt Hesse: „Ich bin nicht Siddhartha.“ Diese west-östliche Verständigung macht Hesse für Staaten wie Japan und China interessant, wie Schwilk auf einer Chinareise feststellte, die er anlässlich der Übersetzung seiner Biografie ins Chinesische unternahm. Für die Zuhörer gab es also viel Neues über Hesse zu erfahren, so zum Beispiel auch, dass er sich in Maulbronn wohlgefühlt habe. Er sei nur geflohen, weil er Dichter werden wollte.