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„Viele Menschen haben viele Ideen"

Vier Kirchheimer Familien sammeln derzeit Unterschriften für ein Bürgerbegehren zur Flüchtlingsunterbringung. Was ist der Hintergrund, was wollen sie damit erreichen? Ein ausführliches Gespräch mit drei der ­Initiatoren endet anders, als viele erwarten würden.

Kirchheim. Zwei Stunden Gesprächsrunde und keine einzige radikale Parole: Falls sich hier nicht einer total verstellt, dann geht es nicht um Hass oder den Versuch, die Anschlussunterbringung der Flüchtlinge in Kirchheim zu verhindern. Das wäre ja auch nicht möglich. Aber es geht darum, diese Unterbringung in der derzeit geplanten Form zu hinterfragen.

Die Initiatoren des Bürgerbegehrens glauben, dass es nachhaltigere Lösungen gibt – auch wenn sie wissen, dass die Stadt Kirchheim unter unglaublichem Druck steht. Sie akzeptieren keine Basta-Lösung, sondern wollen ein erneutes Nachdenken. „Rund 150 Plätze, basta, fertig aus“, beschreibt Karin Schmoldt, wie sie den Informationsabend zur Jesinger Unterbringung empfand. Karin Schmoldt hat Angst, dass bei dieser konzentrierten Art der Unterbringung die Stimmung kippt und die Menschen aggressiv werden.

Ihre Mutter kam übrigens 1972 aus Frankreich nach Jesingen, freiwillig und schwanger. Kein Jesinger hat damals mit ihr geredet. Auch in der Familie gibt es also Migrationserfahrung.

Ihr Mann, Karsten Schmoldt, befürchtet, dass der Gemeinderat schnell entscheidet, ohne die Alternativen zu prüfen. „Wir wollen die beste Lösung.“ Sie werde nur gefunden, „wenn man die Menschen einbezieht, das Ziel vorgibt und die Lösung gemeinsam sucht.“ Sein Vorbild ist Offenburg. Dort sollte die neue Gütertrasse der Bahn quer durch die Stadt führen, mit hohen Lärmschutzwänden. Nach massiven Protesten und 40 000 Unterschriften wurde die Trasse unter Bürgerbeteiligung neu geplant. Vergangene Woche stimmte der Bund der Umplanung zu, auch das Land trägt einen Teil der Mehrkosten, Verkehrsmister Winfried Hermann lobt das Ergebnis.

Bisher will die Stadt 96 Menschen in Lindorf unterbringen und 76 im Hafenkäs, dazu kommen einige kleinere Unterkünfte. Im Jahr 2017 soll dann der alte Jesinger Sportplatz neben der Gemeindehalle folgen, mit rund 150 Plätzen. „So wie es geplant ist, ist es nicht nachhaltig“, sagt Nicolas Danz. Er will eine Verteilung der Flüchtlinge in mehrere kleine Einheiten und denkt an einen stufenweisen Ausbau. „Unser Ortschaftsrat steht voll hinter uns.“ Gegen die Unterbringung im Haus der vorübergehenden Ortschaftsverwaltung, das bald frei wird, hat die Initiative keine Einwände. Es gehe nicht um Sankt-Florians-Politik, sagt Karsten Schmoldt, nach dem Motto „egal wie, aber halt nicht bei uns“. Einem Vorhaben von Bürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker stimmen die Familien ausdrücklich zu: Sie wolle parallel Wohnraum für bedürftige Kirchheimer schaffen.

Würde der Kirchheimer Gemeinderat in seiner heutigen Sitzung den Bau der Unterkünfte in Lindorf und im Hafenkäs beschließen, müsste das Bürgerbegehren spätestens in drei Monaten, also Anfang Mai, 2 500 Unterschriften gesammelt haben. Dann käme es zur Abstimmung über die Frage: „Soll ein Bauleitplanverfahren mit dem Ziel der Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft eingeleitet werden?“. Würde die Initiative eine Mehrheit erreichen, würde diese nur gelten, wenn sich mindestens 20  Prozent der Kirchheimer Stimmberechtigten beteiligen.

Eine offene Frage wäre den Initiatoren lieber, aber das geht nicht. „Die Leute sollen sich die offenen Fragen selbst stellen“, sagt Karsten Schmoldt. „Wenn ich zwei Wochen Urlaub nehmen, nicht mehr schlafen und ein paar Tausend Euro investieren würde, kämen die Unterschriften zusammen“, ist er überzeugt. Ob es auch so, mit den in Geschäften ausgelegten Listen, klappt, weiß er nicht. Aber er nennt ein zweites Ziel: „Wir wollen eine Diskussion anregen. Viele Menschen haben viele Ideen.“

Was mit den freien Flächen in Richtung Stadtmitte sei, viel näher an den Einkaufsmöglichkeiten, fragt er. Danz geht nicht so weit weg. Direkt gegenüber dem alten Sportplatz wolle das Dettinger Bauunternehmen Most Bau zwei Häuser mit 20 Wohnungen erstellen. Auf der Website sind neun Wohnungen reserviert, noch keine verkauft. Wegen der geplanten Flüchtlingsunterkunft, sagt Danz, gebe es einen Baustopp. Ob die Stadt nicht als Käufer oder Mieter einsteigen könne?