Lenninger Tal

Ungewöhnlicher Rilke-Abend

Berührende Lesung im Oberlenninger Schlössle

Lenningen. Wenn sich an einem sonnigen Frühlingsabend fast 60 Literaturfreunde im Lenninger Schlössle einfinden, dann muss etwas Besonderes geboten sein: Helga Klaiber und der Pianist Alexander Reitenbach gestalteten auf Einladung des Förderkreises Schlössle und der Bücherei Lenningen einen Rilke-Abend der Sonderklasse. Die Schauspielerin, die seit vielen Jahren im Stuttgarter Renitenztheater und auf den Stuttgarter Buchwochen auftritt, hat vor über 20 Jahren im Schlössle mit dieser bewährten Form der Literaturpräsentation angefangen und sich immer neuen Autoren zugewandt. So bleiben ihre Abende in Oberlenningen zu Hölderlin, Mörike, Schiller, Droste-Hülshoff, Lessing oder Goethe unvergessen. Heuer also nun Rainer Maria Rilke (1875 – 1926).

In Form von Briefstellen, Zitaten aus Gedichten und Lebenszeugnissen stellte Helga Klaiber die Biografie Rilkes in den Mittelpunkt des Abends. Dabei bestacht ihr Vortrag einerseits durch die kenntnisreiche Darbietung der wichtigsten Lebensstationen, andererseits aber vor allem durch die prägnante Formulierungskunst.

Zu Beginn betonte sie, dass Rilke eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht habe: von ganz und gar trivialen Anfängen bis hin zu den letzten Gedichtzyklen, den Sonetten an Orpheus und den Duineser Elegien, „die zu den Höhepunkten in der deutschen Lyrik gehören“. Der Beginn seines Lebens stand aber unter einem wenig günstigen Stern: Rilkes Eltern lebten eine unglückliche Ehe. Der kleine Rainer Maria, das „unerwünschte Kind“, musste bis zu seinem sechsten Lebensjahr Mädchenkleidung tragen, mit langen blonden Locken herumlaufen und mit Puppen spielen (die Eltern hatten eine früh verstorbene Tochter, die er wohl ersetzen sollte). Nach einer unglücklichen Zeit in einer Militäroberschule, die er nach wenigen Monaten wegen seines schlechten Gesundheitszustandes verlassen musste, machte er Abitur und studierte Literatur und Philosophie, später Jura. Nach schnellem Abbruch des Studiums zog er nach München. Er begann ein unstetes Reiseleben, brachte sich selbst Russisch und Französisch bei.

Außerdem lernte er wichtige Frauen kennen: Lou Andreas-Salome, die Worpsweder Künstlerinnen Paula Modersohn und Clara Westhoff, die er bald heiratete. Allerdings ließ sich ein Eheleben mit Rilkes künstlerischem Dasein nicht vereinbaren. Daraus entstand später sein Ethos der nicht besitzergreifenden Liebe. Es folgten fünf Jahre als Sekretär bei dem Pariser Bildhauer Auguste Rodin. Helga Klaiber zitierte mit leichter Ironie Rilkes damaliges Lebensmotto: „Und das ist mein Leben. Sekretär bei Rodin und in seiner Freundschaft dieses lernend, langsam lernend: arbeiten, Geduld haben, und keinen Anlaß zur Freude versäumen.“

Ein weiteres zentrales Motiv kommt im Stundenbuch zur Sprache: die Botschaft vom eigenen Tod. Rilke sagt: „Der Tod wird nicht feindlich von außen in uns hineingetragen. Er ist in uns angelegt und reift im Laufe unseres Lebens.“ Noch vor dem Ersten Weltkrieg lebte er nach einer unruhigen Reisezeit auf dem Schloss Duino bei Triest, das ihm seine reiche Gönnerin Marie von Thurn und Taxis zur Verfügung stellte. Dort begann er 1912 mit der Voll­endung der ersten Duineser Elegie. Aber erst nach einer zehnjährigen Schaffenskrise vollendete er diesen auf zehn Gedichte angelegten Zyklus in nur wenigen Tagen zusammen mit den Sonetten an Orpheus. Es blieben dem Dichter noch vier Jahre, bis er 1926 an Leukämie verstarb.

Zum Schluss ihres Vortages sprach Helga Kleiber längere Passagen aus Rilkes wohl populärstem Werk „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. Dabei sprach sie frei und offenbarte ihr großes Talent als Lyrikinterpretin mit starkem Einfühlungsvermögen.

Seit über zehn Jahren arbeitet Helga Klaiber mit dem Stuttgarter Pianisten Alexander Reitenbach zusammen, dem es hervorragend gelang, die Stimmungen der Rilke-Gedichte musikalisch weiterklingen zu lassen. Wenn er Stücke von Chopin oder Schumann interpretierte, waren diese sehr zart gestimmt und zurückhaltend dargeboten, aber dennoch dynamisch ausgeglichen. Dass dieser auch international gefragte Pianist, der an der Stuttgarter Musikhochschule unterrichtet, vor kleinem Publikum im ländlichen Raum auftrat, sprach für den ausgezeichneten Ruf als Veranstaltungsort, den sich das Oberlenninger Schlössle weit über die Ortsgrenze hinaus erworben hat. bl