Bissingen. Kinga Gyökössy-Rudersdorf ist auch mit 73 Jahren in ihrem Engagement nicht zu bremsen. Bis zu 40 Stunden wöchentlich setzt sich die Ungarin aus Weinstadt-Endersbach ehrenamtlich in zahllosen Organisationen ein. Im Bissinger Abendforum informierte sie mit großer Sachkenntnis über das Geschäft mit den wachsenden Kleiderbergen.
In einer für das europäische Empfinden exotisch anmutenden kleinen Modenschau führten Frauen traditionelle Landestrachten vor, die Kinga Gyökössy-Rudersdorf während ihres Einsatzes für verschiedene Hilfsorganisationen in Äthiopien, in Somalia, im Jemen, in Palästina und in Afghanistan entweder selbst trug oder als persönliches Andenken erwarb.
Was dabei klar wurde: Diese kostbare landes- oder stammestypische Bekleidung gibt es in dieser Form in vielen afrikanischen Ländern nicht mehr, weil Billigprodukte aus Fernost die dortige Textilindustrie ausbooten. So widersinnig es klingt: Die Ärmsten der Armen können sich heimisch hergestellte Produkte nicht mehr leisten und greifen gerne als Alternative auf gebrauchte Klamotten aus Europa zurück. Der Handel mit gut erhaltenen Altkleidern ist ein riesiges Geschäft, bei dem nun auch die EnBW mitmischen will, wie Gyökössy-Rudersdorf sagte. Die Mode wechselt immer schneller. Was heute gekauft wurde, kann morgen bereits im Container landen und übermorgen in Tunis oder anderswo in der Welt auf dem Secondhandmarkt verkauft werden.
Die Deutschen gehören mit etwa 30 bis 40 gekauften Kleidungsstücken pro Jahr zur Weltspitze beim Kleiderkonsum. Jährlich landen aus deutschen Haushalten 1,5 Milliarden Textilien, das entspricht 750 000 Tonnen Gebrauchttextilien, in Containern, Straßensammlungen und Kleiderkammern. Diese Menge übersteigt den Bedarf von Kleiderkammern und Sozialprojekten um ein Vielfaches.
Der größte Teil der gesammelten Kleidung – auch von gemeinnützigen Einrichtungen wie dem DRK – geht nach Rotterdam und wird dort im Hafengelände von Molukkenfrauen mit einem Dreimonatsvertrag fein säuberlich für den Weiterverkauf in Osteuropa, dem Mittleren Osten und Afrika sortiert. Nur etwas über 40 Prozent der aussortierten Kleidung eignet sich für den Secondhandmarkt. Rund 30 Prozent werden zu Putzlappen verarbeitet, rund 15 Prozent eignen sich als Rohstoffe zur Wiederverarbeitung, rund sieben Prozent sind Müll und fünf Prozent gehören zur Topware im Secondhandbereich.
Für eine Tonne Altkleider erhält zum Beispiel das Rote Kreuz zurzeit laut Kinga Gyökössy-Rudersdorf etwa 350 Euro. Der Preis schwankt nach Marktlage. Die sortierte Secondhand Topware geht aber pro Tonne für 20 000 bis 25 000 Euro weg. Für einen Container Altkleider für Afrika müssen 50 000 Euro hingeblättert werden. Selbst nach Abzug der Nebenkosten ein sehr lukratives Geschäft, in das nun auch Kommunen einsteigen wollen, berichtete die Referentin. Und wenn man hört, dass Rotterdam täglich 33 000 Tonnen liefern kann, wird die Dimension des Handels und der Erträge sichtbar.
Wer nun entsetzt fragt, „was mach’ ich denn nun mit meinen aussortierten Klamotten?“, den verweist die rege Ungarin an die kirchliche „aktion hoffnung“, die seit März 1995 dem Dachverband „FairWertung“ angeschlossen ist. Aus den Erlösen ihrer Kleider- und Schuhsammlungen unterstützt sie 40 Partnerschaftsprojekte und Bildungsvorhaben in 18 Ländern. Ihre Container mit dem weiß-grünen Logo stehen auch in Weilheim in der Friedhofstraße 7, in Kirchheim beim Gemeindehaus Sankt Ulrich und an weiteren Stellen, die über die Standortabfrage der Homepage von Fairwertung www.fairwertung.de ermittelt werden können.