Weilheim und Umgebung

Der Duft der Rose aus Kirklareli

Hasan Kisa lebte als Gastarbeiter der ersten Generation in Bissingen

Bissingen. Der Duft, der aus ihren rosigen Blütenblättern strömte, war betörend. Hasan Kisa hatte die Rose aus seiner Heimat mitgebracht und in den kleinen Vorgarten gepflanzt.

Der türkischstämmige Bissinger Hasan Kisa im Sonntagshäs. Foto: privat

Er hegte und pflegte sie und betrachtete sie jeden Morgen, wenn er müde von der Nachtschicht aus der Weberei in dem kleinen Ort am Fuße der Teck zurückkehrte. Die Rose und ihr Duft erinnerten ihn an seine Heimat, die Türkei.

Mit 26 Jahren hatte er sich im Juni 1964 von seinen Eltern und Geschwister in einem kleinen Dorf in der Nähe der Provinzhauptstadt Kirklareli verabschiedet, um im fernen Almanya Arbeit zu suchen. Tausende Menschen, vor allem Männer, aus dem Land am Bosporus hatten Anfang der 1960er-Jahre ihre Familien zurückgelassen und waren in Züge gen Westen gestiegen, angelockt von einem Stern, den die Deutschen „Wirtschaftswunder“ nannten.

Der junge Türke wurde in Deutschland rasch fündig. Arbeit gab es damals genug. Andere Arbeit, ungewohnte Arbeit. Und vielleicht dachte er dabei ein ums andere Mal an die saftigen Weiden seiner Heimat an der türkisch-bulgarischen Grenze zurück, auf denen er Schafe gehütet hatte, bevor er in die große Stadt am Bosporus ging. In Almanya lebte Hasan Kisa zunächst in Weilheim und arbeitete hier „mit der Hand am Arm“, wie man im Schwäbischen sagt, im Straßenbau.

Aus jener Zeit erzählte er, als er bereits wieder in der Türkei wohnte und seine Rente genoss, seiner Enkelin Kübra die Anekdote von der türkischen Flagge. Bei Bauarbeiten hatte ein deutscher Kollege des Türken eine deutsche Flagge in den Staub gezeichnet und Hasan gedeutet, er solle eine türkische Flagge zeichnen. Der ließ sich das nicht zweimal sagen und malte die Nationalfahne seines Heimatlandes mit der Mondsichel und dem Stern in den Straßenstaub. Der deutsche Arbeiter wischte verächtlich mit seinem Fuß die Zeichnung weg, woraufhin Hasan eine Schaufel nahm und auf seinen Kollegen losging. Erst als die anderen Mitarbeiter riefen „Hasan, Spaß, Hasan, Spaß!“ ließ der Türke von dem Flaggenschänder ab und machte gute Miene zum bösen Spiel. Doch der derbe Spaß brannte sich ein ins Gedächtnis des 26-Jährigen.

Von Weilheim zog Hasan Kisa unter die Teck nach Bissingen. Er holte seine Frau aus der Türkei nach und sie wohnten zunächst in der Hinteren Straße, dann in der Gartenstraße neben der Gärtnerei Oettle. Dort setzte er auch die türkische Rose in den Vorgarten. Wie viele Bissinger arbeitete er in jener Zeit in einer Wechsel-Schicht mit seiner Frau in der Weberei von Kolb & Schüle.

Hasan Kisa war leutselig und gläubig, so beschreibt ihn seine Enkelin. Er unterhielt sich gerne mit anderen Menschen und besuchte auch freitags die Moschee. Da er etwas Schwäbisch gelernt hatte, begleitete er seine Landsleute zum Bissinger Arzt, um zu dolmetschen. Inzwischen waren bei den Kisas Kinder gekommen, und auch zwei seiner Brüder mit ihren Familien lebten in Bissingen.

1987 zog es Hasan Kisa und seine Frau in ihre Heimat zurück nach Kirklareli. Er hatte in Deutschland nach der schwäbischen Devise „schaffa, schaffa, Häusle baua“ hart gearbeitet und das Geld in der Türkei investiert. Der ehemalige „Gastarbeiter“ ließ dort in der Provinzhauptstadt mit heute rund 89 000 Einwohnern ein dreistöckiges Wohnhaus bauen und in Istanbul ein weiteres. So konnten er und seine Frau von der Rente und der Miete gut leben.

Kübra besuchte ihre Großeltern jedes Jahr in den Ferien in Kirklareli. Sie sprach türkisch mit ihnen, doch Opa Kisa erinnerte sich immer wieder seines schwäbischen Wortschatzes und fragte „Wo gosch nah?“ und gab zu verstehen „I schwätz schwäbisch“, erzählt seine Enkelin.

„Als junger Mann hat er den harten Typ gespielt, war mit Jacket und gebügelter Schlaghose eine gepflegte Erscheinung, die Haare hoch geföhnt und den Bart gestutzt“, weiß Kübra, die ihren Großvater aus dieser Zeit nur von alten Fotos und von Erzählungen ihres Vaters und ihrer Onkel kennt. „In den letzten paar Jahren war er ein alter, süßer Opa, der mich in die Backen gekniffen und gelacht hat.“

Hasan Kisa erzählte der Enkelin viel über seine Reisen von Deutschland in die Türkei. Wie viele türkische Gastarbeiter hatte auch er damals seinen blauen Ford Transit bis unters Dach beladen und mit seiner Familie die Balkanroute benutzt. Oben auf dem Dach des Busses lagen Teppiche und Fahrräder festgezurrt. Drei bis vier Tage dauerte die nicht ganz ungefährliche Reise über Österreich, Jugoslawien und Bulgarien in die Türkei.

Einen Ford Transit fuhr er in den letzten Jahren nicht mehr, aber sein gelber Ford Taunus mit dem Aufkleber „Schwabengarage“ am Fenster war in Kirklareli stadtbekannt. „Das war sein Lieblingsauto“, sagt Kübra.

Hasan Kisa starb im Juli dieses Jahres mit 77 Jahren in seiner Heimat. Sein Herz war geschwächt und hörte auf zu schlagen. Seine Enkelin bleibt mit der Erinnerung zurück. Aber nicht nur sie. Denn Gärtnermeister Oettle durfte von der türkischen Rose des Nachbarn Ableger ziehen. Und diese verströmen in Bissingen immer noch den Duft der Rose aus Kirkla­reli.