Weilheim und Umgebung

„Der Wettbewerb bringt Bewegung“

Interview Klaus Neckernuß über das neue EU-Recht, Mittelstand und Konkurrenz im Nahverkehr

KlausNeckernuß
KlausNeckernuß

Keiner kennt sich im Landkreis Esslingen so gut mit dem Öffentlichen Personennahverkehr aus wie Klaus Neckernuß. Er ist der zuständige Amtsleiter für den Öffentlichen Personennahverkehr im Landratsamt Esslingen.

Herr Neckernuß, musste der Landkreis seine Busverkehrslinien denn unbedingt nach neuem EU-Recht ausschreiben?

Klaus Neckernuß: Ja, das ist unsere Pflicht. 2009 ist eine EU-Verordnung in Kraft getreten, die vorschreibt, dass alle Busverkehrslinien, die öffentlich gefördert werden, nach bestimmten Regeln ausgeschrieben werden müssen. Die Übergangszeit endet 2019. Das heißt, bis Dezember 2019 müssen alle vergeben sein.

Inwieweit hat der Landkreis eigentlich an den Mittelstand gedacht, als er die Buslinienbündel ausgeschrieben hat?

Neckernuß: Bei jeder Ausschreibung sind die Richtlinien zur Mittelstandsförderung zu beachten. Außerdem haben wir die Interessen kleinerer Unternehmen berücksichtigt, indem wir die Einheiten in einer Größenordnung gewählt haben, die auch dem Mittelstand eine Chance geben. Aber natürlich gibt es auch bei der Größe Grenzen. Wir können das Ganze ja nicht atomisieren, sondern müssen die Bündel in sinnvolle verkehrliche und wirtschaftliche Einheiten aufteilen. Dies haben wir in unserem Linienbündelungskonzept umgesetzt.

Und eine andere Form des Entgegenkommens ist nicht möglich?

Wenn der Landkreis zum Beispiel – wie von einigen Unternehmern gewünscht – die Vorgabe macht, dass die Bieter einen Betriebshof im Verkehrsgebiet haben müssen, verstößt er gegen das EU-Recht. Denn das gibt vor, dass zum Beispiel auch Portugiesen, Spanier oder Franzosen die Möglichkeit haben müssen, sich zu bewerben. Wenn wir jetzt einen Betriebshof vor Ort vorschreiben würden, dann wären diese von der Ausschreibung ausgeschlossen. Da wir andererseits weitgehende Vorgaben zu den Fahrplänen und den Qualitäten machen, entscheidet bei der Ausschreibung allein der Preis. Es gewinnt also der, der das günstigste Angebot macht.

Nun ist eine Bietergemeinschaft mittelständischer Unternehmen aus dem Raum Weilheim und Kirchheim der Tochter eines Großkonzerns unterlegen. Haben dann also doch die „Großen“ unschlagbare Vorteile?

Im Raum Weilheim, Lenningen, Kirchheim sind die örtlichen Unternehmen zwar unterboten worden. Aber sie waren dort auch bislang Subunternehmer, eben unter einem anderen Betreiber. Und es gibt auch ein Gegenbeispiel: im Landkreis Esslingen. Das Linienbündel für den Raum Esslingen auf die östliche Filder ist eigenwirtschaftlich an ein mittelständisches Unternehmen vergeben worden. Das heißt, das Unternehmen betreibt den Verkehr künftig ohne öffentliche Zuschüsse. Deshalb musste das Bündel auch gar nicht mehr ausgeschrieben werden.

Die WBG, die im Raum Weilheim den Zuschlag bekommen hat, ist eine Tochter des Konzerns Transdev und noch sehr jung. Warum gründet ein Konzern eigens für eine Ausschreibung ein neues Unternehmen?

Manchmal haben Großkonzerne sogar Nachteile gegenüber den kleineren. Mit ihren Haustarifverträgen sind sie oft nicht konkurrenzfähig und haben höhere Personalkosten als Mittelständler. Darum gründen sie in manchen Fällen Tochterunternehmen, um günstiger bieten zu können.

Für die örtlichen Unternehmen, die bisher gefahren sind, scheint das Ganze vor allem Nachteile zu haben, oder?

Ich verstehe natürlich, dass sich örtlichen Unternehmen beklagen. Sie waren bisher als Subunternehmen tätig. Dies werden Sie auch beim neuen Unternehmen sein. Die jeweiligen Konditionen sind mir nicht bekannt. Unabhängig davon: Wer bislang die Konzession auf einer Linie hatte, hat sie in der Regel immer wieder bekommen – es gab keine Konkurrenz. Dies ist nun anders: Der Wettbewerb bringt Bewegung.

Als Negativbeispiel der Ausschreibungspraxis im Öffentlichen Nahverkehr wird ja immer wieder Hessen genannt. Dort sind mittelständische Unternehmen von Konzernen verdrängt worden, die sich mit der Zeit aber auch wieder zurückgezogen haben. Droht uns das nicht auch?

Das glaube ich nicht. Die Situation ist eine andere. In Baden-Württemberg haben wir eine andere Struktur. Wir haben einen stärkeren Mittelstand als in Hessen und viel weniger städtische oder kommunale Verkehrsunternehmen. In Hessen haben zudem echte Global Player den Zuschlag für den Busverkehr bis in die kleinen hessischen Dörfer bekommen. Da ist es kein Wunder, dass das nicht lange gut gegangen ist. Bei uns sehe ich die Gefahr nicht.Bianca Lütz-Holoch