Zwischen Neckar und Alb

Flüchtlingsdrama im Bahnhof

Die Theaterspinnerei meldet sich mit ihrer neuen Produktion im Frickenhäuser Bahnhof eindrucksvoll zurück

Jens Nüßle und Marilena Pinetti verschlägt es in ihrem Flüchtlingsdrama aufs weite Meer. Foto: Jürgen Holzwarth
Jens Nüßle und Marilena Pinetti verschlägt es in ihrem Flüchtlingsdrama aufs weite Meer. Foto: Jürgen Holzwarth

Frickenhausen. Mit einem ambitionierten Theaterprojekt meldet sich die Theaterspinnerei an heimischer Stätte eindrucksvoll zurück. Das kreative Trio feierte mit seiner neuen

Produktion „Flucht . . . ein neues Höhlengleichnis“ im voll besetzten Theatersaal im alten Frickenhäuser Bahnhof Premiere. Der Titel lässt keinen Zweifel an der Thematik: Es geht um Flucht im Allgemeinen und im Besonderen; das Stück ist ein Flüchtlingsdrama vor dem Hintergrund des real existierenden Flüchtlingsdramas. Der Untertitel deutet überdies eine konzeptionelle Analogie zu Platons „Höhlengleichnis“ an, das die Theaterspinner vor Jahren einmal aufgeführt haben. Die Rahmenhandlung des Zweipersonenstücks ist überschaubar. Zwei Personen treffen im ersten Akt in einer lichtlosen Kuppel in einer Höhle aufeinander: der Erbauer der Kuppel, der sich dort Schutz suchend verkriecht, und die dort unerlaubt eindringende Frau, die auf der Flucht ist und ebenfalls Schutz sucht. Man umkreist sich, versucht, den anderen einzuschätzen, lernt sich kennen, kommt sich ein klein wenig näher. Man redet, streitet: Was ist Heimat? Was heißt es, auf der Flucht zu sein? Was bedeutet es, fremd zu sein? Warum muss man immer Angst haben? Wovor? In die Unterhaltung mischt sich ein sprechender Kopf ein. Ein unheimlicher Einflüsterer, der objektiv auf die Dinge blickt.

Im zweiten Akt sitzen beide im selben Rettungsboot auf bewegtem Meer. Sie mussten die sichere Höhle verlassen, weil ein Komet im Land einschlagen wird. Nun erlebt auch der Höhlenmann, was es heißt, auf der Flucht und nirgends willkommen zu sein. Denn die angrenzenden Länder haben ihre Grenzen dichtgemacht, Zäune gebaut, Mauern errichtet. Flucht ist nur noch übers Meer möglich. Insel Nummer eins, offenbar ein griechisches Eiland, ist dem Höhlenmann nicht recht – zu exotisch. Er setzt auf Insel Nummer zwei. Doch dort erklärt ihm ein Beamter aus dem Off mit Schweizer Dialekt, dass er unerwünscht sei, dass die Obergrenze erreicht sei und dass er sein Glück gefälligst woanders versuche solle. „Sie schaffen das!“ schallt’s zynisch aus dem Lautsprecher. Also hofft man auf Insel Nummer drei. Doch dann zieht ein Sturm auf und bringt das Rettungsboot und seine Insassen in arge Bedrängnis. Wohl dem, der einen Rettungsring hat. Der Höhlenbewohner ist auf Schutz und Abschottung bedacht. Die Frau steht für die Flüchtlinge, die alles hinter sich lassen mussten, um das nackte Leben zu retten. Sie ist bescheiden und dankbar für auch noch das Geringste, das man ihr anbietet. Und sie versucht, den Höhlenmann zu überzeugen, dass seine Sicht der Dinge falsch ist. Freilich vergeblich. Im zweiten Akt ist viel von Teilen die Rede und von Vertrauen. Die Stimmung ist trotz gelegentlich eingestreuter dezenter Humoreinsprengsel überaus pessimistisch. Und so endet auch das Stück: pessimistisch, mit einem winzig kleinen Lichtblick.

„Flucht“, geschrieben von Stephan Hänlein, ist keine leichte Theaterkost, besteht es doch im Wesentlichen aus Gedanken und Aphorismen. Da ist über die komplette Spielzeit von gut eineinhalb Stunden die Aufmerksamkeit der Zuschauer gefordert. Aber „Flucht“ besteht nicht nur aus gedankenschweren Dialogen. Die Theaterspinner haben das Geschehen auf der kleinen Bühne in für sie typischer Manier multimedial aufbereitet und machen das Stück damit auch zum visuellen Erlebnis. Ein melancholischer, von den Theaterspinnern selbst eingespielter Soundtrack untermalt das Geschehen stimmig.

Jens Nüßle, der auch Regie führte, spielt den Höhlenbewohner und überzeugt als exaltierter Quengler und Hasenfuß. Marilena Pinetti kont­rastiert Nüßles zuweilen etwas lauten Part mit bedächtigem Spiel und gefällt als kluger, scheinbar stets über den Dingen stehender Flüchtling.

Mit „Flucht“ ist der Theaterspinnerei einmal mehr ein nachdenklich machender Theaterabend in faszinierender Optik und mit bildstarken Impressionen gelungen. Diese „Flucht“ lässt garantiert keinen kalt.

„Flucht“ wird bis zum 19. März gespielt. Alle Infos und Karten gibt es im Internet unter www.theaterspinnerei.de; Kartentelefon 0 70 22/2 43 56 00.