Zwischen Neckar und Alb

Nürtingen hat ein UNESCO-Kulturerbe

Kultur Nürtinger Verein Kalknetzwerk macht sich für alte Verarbeitungstechnik stark.

Nürtingen hat ein UNESCO-Kulturerbe
Nürtingen hat ein UNESCO-Kulturerbe

Nürtingen. Ein erster Meilenstein im Kampf gegen das Vergessen der uralten Kulturtechnik ist die Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO-Kommission. Zu verdanken ist das dem kleinen, aber internationalen Verein Kalknetzwerk mit Sitz in Nürtingen. Die Vorsitzende des Vereines, Karola König, lebt in Raidwangen. Von hier aus organisiert sie ihr Netzwerk aus Architekten, Händlern und Handwerkern rund um das Thema Kalk.

Warum wird aus einem konkreten Material wie dem Kalk ein immaterielles Kulturerbe? Antragstellerin Karola König sagt, es geht nicht um den Mörtel, sondern vielmehr um die Fähigkeit, für jede Bauaufgabe irgendwo auf der Welt zu irgendeiner Zeit gezielt die optimale Mischung herzustellen und adäquat anzuwenden. Um Handwerk also.

Karola König selbst ist keine Handwerkerin. Die zierliche, elegante Frau berichtet, auf welchen verschlungenen Pfaden sie zum Thema Kalk kam: Im Zuge ihres Studiums der Kunstgeschichte befasste sie sich mit Naturfarben. Später lebte sie neun Jahre lang in Florenz und vertrieb Naturfarben für die industrielle Textilfärberei. Heute betreibt König eine Agentur für ökologische Produkte. Über ihren früheren Ehemann, einen Baubiologen, kam sie mit dem Thema Naturbaustoffe und den Menschen mit einer Leidenschaft dafür in Kontakt.

Dabei fiel ihr auf, dass Handwerker und Händler, die sich mit Kalk befassen, immer wieder auf großes Unverständnis stoßen. Zu wenig bekannt sei der Werkstoff und seine vielseitigen Möglichkeiten bei den Kunden, zu wenig Kenntnisse über seine Verarbeitung haben die Handwerker. Nicht einmal mehr Restauratoren und Fachleute für Denkmalschutz, berichtet Karola König, lernen das Arbeiten mit Kalk noch richtig.

Während Lehm als Baustoff seit den 60er-Jahren eine Renaissance feiert, wartet der Kalk noch auf seine Wiederentdeckung. Karola König beschreibt, was ihn so besonders macht: zum einen ist er stark alkalisch. Wo mit Kalk verputzt oder gestrichen wurde, hat Schimmel praktisch keine Chance. Darum wurden Ställe und Keller früher immer gekalkt.

Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Es gibt viele Techniken, Kalk zu verarbeiten. Der Nachteil: Er ist nicht ganz einfach zu verarbeiten und hat lange Trocknungszeiten. Darum wurde er vom Zement verdrängt, als es nach dem Krieg darum ging, viel, schnell und billig zu bauen.

Der Verein, der den Kalk aus seinem Dornröschenschlaf holen will, wurde 2015 gegründet und hat Mitglieder in aller Welt. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, die Techniken der Kalkverarbeitung wieder ins Bewusstsein zu bringen, bei Handwerkern wie bei Kunden.

Dazu gehen die Mitglieder auf Publikumsmessen und Umwelttage, sie veranstalten Fortbildungen für Handwerker und vermitteln Praktika für Junghandwerker. In einem besonderen Projekt werden gemeinsam mit Flüchtlingen die Bautechniken ihrer Heimatländer erarbeitet. So können sie sich am Wiederaufbau beteiligen. Die Eintragung als immaterielles Kulturerbe gibt natürlich Rückenwind. Inzwischen laufen Gespräche über Forschungsprojekte mit Universitäten.

Doch bereits jetzt sind alle Techniken der Kalkverarbeitung weltweit in dem Eintrag eingeschlossen. Nun gilt es nur noch, die Welterbekommission zu überzeugen.Barbara Gosson