Zwischen Neckar und Alb

Schwierige Wahrheitsfindung beschäftigt die Nürtinger Richter

Amtsgericht muss sich mit den sexuellen Übergriffen an Silvester in Stuttgart befassen

Die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht beschäftigen das Nürtinger Amtsgericht. Ein Angeklagter wohnte in einer Flüchtlingsunterkunft in Aichtal.

Nürtingen. Bereits im Mai hatte das Jugendschöffengericht einen Verhandlungstermin angesetzt. Damals war das Gericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte geständig ist. So hatte es die Verteidigung vor dem Prozess angedeutet. Das Gericht wollte den beiden jungen Frauen die Aussage vor Gericht ersparen. Doch im ersten Prozess beharrte der Angeklagte darauf, dass er den beiden nur helfen wollte.

Dem 21-Jährigen wird vorgeworfen, zusammen mit einer Gruppe von etwa 15 Männern die beiden Frauen sexuell genötigt zu haben. Die Geschädigten waren damals 16 und 18 Jahre alt. Der Angeklagte wurde noch in der Silvesternacht festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Zuvor hatte er in einer Flüchtlingsunterkunft in Aichtal gewohnt.

Weil man in der ersten Verhandlung zu keinem Ergebnis kam, wurde ein neuer Termin festgelegt. Acht Zeugen sollten die Vorfälle schildern. Allen voran die zwei Frauen, die Opfer eines Mobs aus mutmaßlich arabisch aussehenden Männern wurden. Eine von ihnen war zum Tatzeitpunkt minderjährig und wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen. Die Ältere schilderte die Vorfälle, vor allem in den Stunden vor den Übergriffen auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Sie habe sich mit einer Gruppe von Freunden getroffen. Das erste Ärgernis des Abends sei gewesen, dass bereits kurz nach ihrer Ankunft die in einer Ecke abgelegte Handtasche geklaut wurde. Ihre Wertsachen habe sie jedoch in der Jackentasche gehabt. Weil der Schlossplatz zu voll gewesen sei, habe sich die Gruppe in ein Parkhaus verzogen. Dabei war viel Alkohol im Spiel. Bei der jungen Frau wurden nach der Tat 2,62 Promille Blutalkohol festgestellt.

Später habe sie eine Freundin zur Seite genommen, weil sie mit ihr über ein Beziehungsproblem reden wollte. Deshalb hätten sich die beiden von ihren Freunden in Richtung Schlossplatz abgesetzt. Dort seien sie plötzlich von einer Gruppe arabisch aussehender Männer eingekreist worden. „Wir haben völlig die Kontrolle und Orientierung verloren“, sagte sie. Dann hätten die Übergriffe angefangen. An Details konnte sich die 18-Jährige nicht mehr erinnern. Nur, dass ihr Kleid bis über die Hüfte hochgeschoben und ihre Strumpfhose total zerrissen war. Sämtliche Wertsachen seien gestohlen worden. Ihre Freundin, die etwas weniger getrunken hatte, hätte sie irgendwann zum Rennen aufgefordert – in Richtung einer Parkbank. Dabei sei sie gestürzt und habe sich das Knie aufgeschlagen.

Andere Zeugen berichteten, dass die junge Frau von einem der Araber in einer roten Jacke in den Schwitzkasten genommen worden und zu einer Parkbank getragen worden sei. Die drei Schüler und ein Lehrling wollten ebenfalls Silvester in der Landeshauptstadt feiern, als sie die Schreie der Mädchen hörten. Zwei hätten die Lage beobachtet, während die anderen beiden Hilfe holen wollten. Mitarbeiter der SSB hätten sie abgewiesen – sie seien dafür nicht zuständig, so ihre Antwort. Der erste Polizist, auf den sie trafen, habe gesagt „er werde sich das gleich mal anschauen“. Erst eine junge Polizistin habe sofort reagiert und Verstärkung gerufen. Nach dem Eintreffen der Polizei habe sich der Mob dann schnell aufgelöst. Lediglich eine Person der Gruppe konnte festgenommen werden – seitdem sitzt der Angeklagte in Haft.

Für eine Überraschung sorgte ein Bekannter des Angeklagten, der auf eigene Faust dessen drei Begleiter ausfindig gemacht hat – sie waren zuvor zwar namentlich bekannt, von den Ermittlern jedoch nicht berücksichtigt worden. Alle wohnen ebenfalls in der Unterkunft in Aichtal.

Kurzerhand wurden die drei Iraker vom Gericht als Zeugen vernommen und schilderten eine andere Version der Vorfälle. Man habe Bier getrunken und wollte Silvester feiern. Dann habe man eine Gruppe von arabisch aussehenden Männern gesehen, so ihre Aussage. Ihr Freund, der Angeklagte, sei kurzerhand dazwischen gegangen und habe die Mädchen aus dem Pulk he­rausgezogen. Als die Polizei eintraf, habe sie ihren Freund festgenommen.

Obwohl Staatsanwältin Amira Kaiser damit drohte, im Falle einer Verurteilung die Zeugen wegen Falschaussage zu belangen, blieben sie bei ihrer Version.

Unklar ist noch, ob es sich beim Angeklagten um den Mann mit der roten Jacke handelt. Die Schüler sagten aus, der Jackenträger sei einer der Haupttäter gewesen. Dass ihr Mitbewohner eine rote Jacke trug, bestätigten die Zeugen. Allerdings habe er den Mädchen kein Haar krümmen wollen. Der Prozess wird am 1. Juli fortgesetzt.