Zwischen Neckar und Alb

Wenn Retter richtig steil gehen müssen

Übung Die Bergwachten Lenninger Tal und Urach haben mit der Freiwilligen Feuerwehr Lenningen einen Autounfall simuliert. Zwei Stunden leisteten sie vollen Einsatz. Von Thomas Zapp

Die Helfer haben teilweise mehr als 10 Kilo Gepäck und Gerät dabei. Da gehen einige an ihrer körperlichen Grenzen. Fotos: Carste
Die Helfer haben teilweise mehr als 10 Kilo Gepäck und Gerät dabei. Da gehen einige an ihrer körperlichen Grenzen. Fotos: Carsten Riedl
Hier wussten sie noch nicht, was sie erwartet: Die Bergwacht kurz vor dem Einsatz.

Es ist 18.50 Uhr: Die Dunkelheit hat eingesetzt, und ohne die Stirnlampe von Renate Groh würden wir buchstäblich die Hand vor den Augen nicht sehen. Wir stehen im Nieselregen an einem steil abfallenden Waldhang irgendwo zwischen Ober- und Unterlenningen. Über einen rutschigen und leicht abfallenden Waldboden nähern wir uns einer Böschung, als plötzlich Hilferufe zu hören sind. „Da unten sind sie“, sagt Renate Groh, ehrenamtliche Helferin der Bergwacht Lenninger Tal. Die Augen müssen sich noch an das Schwarz des Waldes gewöhnen, bis tatsächlich ein silbern schimmerndes Dach zwischen Bäumen und Büschen zu erkennen ist. Renate Groh zeigt ihr blau schimmerndes Handy-Display. „Notfallmeldung bei der Integrierten Rettungs- und Feuerwehr Leitstelle (ILS): „Autounfall mit 4 Personen. Auto vom Holzabfuhrweg zwischen Unter- und Oberlenningen abgekommen, liegt im Steilhang“, steht dort in ihrer App-Nachricht. Wieder ist ein Schreien zu hören, die Opfer denken, dass wir ihre Retter sind. Wir schweigen, denn wir sind nur stille Beobachter.

Die Trage muss trotz Seilwinde immer noch von einem Helfer gelenkt und gehalten werden.

Blaulichter bewegen sich die Steige hinauf: Die Hilfsmannschaft kommt um 18.56 Uhr mit zwei Löschfahrzeugen der Freiwilligen Feuerwehr Lenningen und den VW-Transportern der Bergwacht. Scheinwerfer blenden uns, bevor sie den Hang erleuchten. Seilwinden werden in Position gebracht, und die ersten Helfer steigen bergab. Die Situation ist kompliziert: Im Nissan Micra sitzen vier Insassen, davon zwei Kinder. Der Fahrer ist an den Oberschenkeln eingeklemmt, der Beifahrer hat Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma. „Vermutlich nicht angeschnallt“, steht auf dem Übungsplan. Die Feuerwehrleute führen als Erstes Haltegurte unter den Reifen und Achsen durch. „Bevor jemand reingeht, muss der Wagen gesichert werden, mit der Nutzlast des Einsatzfahrzeuges oben“, erklärt Bereitschaftsleiter Ralf Wurster von der Bergwacht. Wenn das Fahrzeug nach unten abrutscht, wird es richtig gefährlich, auch wenn es nur eine Übung ist. Derweil werden Gebirgstragen vorbereitet und eine Seilsicherung zum Ablassen und ein Flaschenzug für das Hochziehen der Tragen aufgebaut.

Die Notärztin beruhigt und versorgt den Beifahrer.

Terminatorgleich rücken die Helfer mit hydraulischen Rettungsscheren zum Schneiden, Spreizern zum Reißen und Kombigeräten für beides dem Wrack zu Leibe. Ein Gerät in Form einer gigantischen Grillzange surrt und wird am Auto angesetzt. Dann knackt es, und in der T-Säule klafft ein Loch. Dort wird die Schere angesetzt, dann reißt die Grillzange die Seite auf. „Im Auto hört sich das brutal an“, sagt Ralf Wurster. Er selbst hatte in Einsätzen schon erlebt, wie intensiv man im Inneren das Bersten des Materials empfindet. Derweil spricht die Notärztin beruhigend auf die Opfer ein, Helfer bringen Thermodecken. Hoffentlich haben die Darsteller lange Unterwäsche an! Rund 30 Leute sind am Berg im Einsatz, das Leitungspersonal ist gut zu erkennen: Die „Weiße Weste“ leitet den Einsatz von oben, die „Blaue Weste“ die Gruppe am Unfallfahrzeug. Die Kommunikation läuft über Funk, der Ton bleibt ruhig und abgeklärt.

Von oben blickt das Einsatzteam auf den Unfallort.
Von oben blickt das Einsatzteam auf den Unfallort.

Helfer der Bergwacht ziehen die erste Trage am Seilzug den Berg hinunter. Der Fahrer heult auf, als er herausgezogen wird. Er macht seine Sache gut. „Wir haben eine Crash-Rettung“, sagt einer der Feuerwehrleute. Das bedeutet, es findet keine ärztliche Versorgung an der Unfallstelle statt, sondern die Opfer müssen wegen der Schwere der Verletzung schnellstmöglich zum Krankenwagen gebracht werden. Um 19.30 Uhr wird der Verletzte auf die Trage gehoben. Unter ihm liegt eine Vakuummatratze, aus der sofort die Luft herausgepumpt wird. Dadurch passt sich das Material in der Matratze an den Körper an, sodass er beim Aufstieg nicht den Halt verliert. Es geht nach oben: Zwar wird die Trage von der automatischen Seilwinde am Einsatzfahrzeug hochgezogen, aber die Bergretter müssen sie trotzdem anheben. „Die sind alle fit“, sagt Ralf Wurster anerkennend über seine Kollegen im Alter zwischen 19 und Ende 50. Viele kommen über das Klettern, Bergwandern oder den Skisport zur Bergwacht.

Mit weißer Wes­te: Der Einsatzleiter oben hat alles im Blick und steht mit der Mannschaft via Funk in Kontakt.

Alle, die zur Übung an diesem verregneten Abend kommen, sind ehrenamtlich im Einsatz. Im normalen Leben sind sie Anwälte, Ärzte oder IT-Experten. Die Notärztin muss danach weiter zu ihrer Nachtschicht ins Nürtinger Krankenhaus. „Das ist viel Einsatz“, sagt Ralf Wurster. Die nächste Generation steht schon bereit, sein Sohn Mark ist an diesem Abend auch dabei. Um 20.10 Uhr sind die vier Opfer geborgen. Die ers­ten kommen schon mit geschminkten Kopfverletzungen quietschfidel den Berg herunter, um sich bei den Helfern zu bedanken. Derweil findet oben bei den Einsatzfahrzeugen eine echte Behandlung statt. Ein Feuerwehrhelfer hat Kreislaufprobleme, muss seine Beine hochlegen. „In der Schutzkleidung wird es extrem warm, und das Gerät ist schwer. Bei der Anstrengung kann das passieren“, sagt Renate Groh. Die Freiwilligen mit Leib und Seele gehen offensichtlich auch bei der Übung an ihre Grenzen.