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Pionierarbeit auf gemähter Wiese

Hohenneuffen-Berglauf Das Organisationsteam setzt mit einem außergewöhnlichen Konzept ein ­Zeichen zum Neustart und bekommt Zuspruch: 223 Teilnehmer stellen sich der Herausforderung. Von Reimund Elbe

Sonntagmorgen im Kurort Beuren, der Himmel strahlend blau, auf der Wiese hinter der Panoramatherme riecht es angenehm nach frisch gemähten Gräsern. Hoch über dem dortigen Bolzplatz thront majestätisch die Burg - was sich in den kommenden Stunden in dieser Augenschmaus-Kulisse zutragen wird, entwickelt Strahlkraft weit über die Landkreisgrenzen hinaus. Beuren steht mit seinem Namen seit vorgestern für den Ort, in dem nach unendlich lang wirkender Starre Schwung in die Laufsportszene des Mittleren Neckarraums zurückkehrte sowie quasi im Beipack eine bislang nie dagewesene Absageflut im lokalen Laufsport endete.

Und: Beuren steht für eine inhaltliche Ablösung lobenswerter virtueller Varianten. Dabei konnten Interessierte in einem Zeitkorridor meist mehrerer Wochen GPS unterstützt Strecken wenigstens solo bewältigen. „Die Laufszene lechzt nach Rückkehr zur Normalität“, sagt Dietmar Walter. Der Nürtinger kennt sich aus. Seit mehr als drei Jahrzehnten gehört das Mitglied des TSV Frickenhausen zur lokalen Laufszene. Vor­ges­tern wirkt Walter als Streckenpos­ten beim Projekt Re-Start mit.

Die Story des 32. Hohenneuffen-Berglaufs erweist sich als eine mit vielen Facetten. So sind es trotz aller extremen Vorfeld-Unwägbarkeiten immerhin 223 Teilnehmende. Das kurios anmutende Beurener Corona-Laufkonzept hat zudem überregionales Interesse geweckt. Unter den anwesenden Journalisten tummelt sich am Sonntagmorgen beispielsweise Wilfried Raatz vom führenden deutschen Online-Magazin laufreport.de. Was der einst erfolgreiche Mittelstreckler (Deutscher Staffelmeister 1974) zu sehen bekommt, findet sich in der Kategorie außergewöhnlich wieder. Start? Nicht am Bahnhof Linsenhofen. Ziel? Nicht die Burg. Corona sorgt dafür, dass ein frisch gemähtes Wieslein zum Dreh- und Angelpunktwird. Knallharte Pandemieregeln sorgen dabei für feine Strukturen.

Zur Startlinie marschieren folglich im Zehn-Minuten-Takt pro Gruppe maximal 20 Läuferinnen und Läufer, konform zur Corona-­Regel. Für Matthias Gäckle von der Firma „Time to finish“ kein einfaches Unterfangen. Der Schlaitdorfer managt die Zeitnahme. Während manche bereits ins Ziel stürzen, laufen andere ein paar Meter zeitgleich erst los. „Man muss gut koordinieren, aber es passt“, sagt Softwareexperte Gäckle zufrieden. Kleingruppen machen auch eine direktere Kommunikation möglich. So warnt Organisator Michael Gneiting die vor ihm stehenden Läuferinnen und Läufer unter anderem vor ungewöhnlichen Gefällstücken („nach fünf Kilometern kommt eine scharfe Kurve, danach hat es Steine und es ist rutschig“), weist auf die coronabedingten Mindestabstandsregeln hin. Gneiting hatte die 9,3 Kilometer lange Strecke zuvor mehrfach aktiv getestet, für tauglich befunden.

Zum Wohlwollen des Beurener Bürgermeisters. Daniel Gluiber genießt sichtlich die Szenerie. Als der Schultes im sommerlichen Look inklusive modischem Sonnenhut gegen 9 Uhr zum Startplatz kommt, umspielt ein dezentes Lächeln seine Lippen. Verständlich, spielte er keine unwesentliche Rolle im Kampf um den Re-Start. „Bereits im März gab es eine kleine Hoffnung, dass es etwas mit dem Berglauf werden könnte“, rekapituliert Gluiber, dessen heiße Drähte zu den entscheidenden Ämtern der Sache nützlich waren.

Glück als entscheidender Faktor

Dass am 21. Juni aller Voraussicht nach die Panoramatherme wieder öffnet - ein weiterer Gute-Laune-Bringer für die Gemeinde, wie Gluiber betont. Mut, Fingerspitzengefühl, Kreativität der Organisatoren aus Beuren und Frickenhausen seien jedenfalls wichtige Bausteine für den Berglauf-Re-Start gewesen. „Und Glück“, betont Frank Klass (TSV Beuren), seit über zwei Jahrzehnten zusammen mit Michael Gneiting (TSV Frickenhausen) an oberster Spitze des Organisationsteams. Der 42-Jährige meint damit die rechtzeitig vor dem geplanten Termin fallenden Inzidenzwerte im Kreis Esslingen inklusive Lockerungen.

Die Profiteure dieses Trends: Läuferinnen und Läufer aus der Region. Sie haben teils seit mehr als eineinhalb Jahren nicht mehr an offiziellen Rennen teilgenommen. Christine Sigg-Sohn, spätere Zweite im Frauenklassement, gehört dazu („im Herbst 2019 war mein letzter Lauf“), Bernd Weis, in früheren Jahren Sieger des Käppelelaufs, reiht sich ebenso ein in die von Vorfreude Geprägten. Im Februar 2020 hab er in Florida einen letzten Wettkampf im herkömmlichen Sinne absolviert, „im Rahmen des Besuchs der Schwiegereltern“. Und als der Linsenhofener Thorsten Jabben seine Startnummer abholt, wirft er beim Vorbeigehen ein „endlich geht es wieder los“ in die Runde.

Fast alle Hohenneuffen-Bergläufe bewältigte bislang Anton Palesch. Diesmal tritt der Neuffener trotz einer vierstündigen Mountainbike-Tour tags zuvor an. „Egal, ich laufe“, sei sein Motto am Morgen beim Aufstehen trotz schmerzender Oberschenkel gewesen. Die Burg als Zielpunkt vermisse er jedoch. „Wer als Letzter vom Hohenneuffen runterkommt, hatte gewonnen“, erinnert sich Palesch an gemütliche Stunden nach vollbrachter Berglauf-Tat.