Serie Bahnprojekt

Autobahn quert Mondlandschaft

Bahntrasse Autofahrer kennen das Problem: Zwischen Stuttgart und Ulm reiht sich eine Baustelle an die nächste. Die geplante ICE-Strecke verändert die Landschaft gravierend. Von Andreas Spengler

Am Portal Hohenstadt des Steinbühltunnels türmen sich derzeit die Kiesberge. Rechts im Hintergrund liegt Hohenstadt, quer durchs
Am Portal Hohenstadt des Steinbühltunnels türmen sich derzeit die Kiesberge. Rechts im Hintergrund liegt Hohenstadt, quer durchs Bild läuft die A¿8.Foto: Christian Wille

Das Grün der Albhochfläche wirkt entstellt, Kiesberge türmen sich auf zu einer grauen Mondlandschaft. Die ICE-Neubaustrecke Ulm-Wendlingen verändert zuerst die Landschaft, dann die Infrastruktur und irgendwann vielleicht das Denken der Menschen – hofft zumindest Matthias Breidenstein, Chefingenieur der Deutschen Bahn für den Alb­aufstieg: „Wir müssen endlich akzeptieren, dass der Verkehr niemals weniger werden wird“, sagt er in einem Imagefilm und wirbt für die Zukunft: Wenn Menschen mit der Bahn „zuverlässig in einer hohen Geschwindigkeit von Stuttgart nach München“ fahren können.

Doch bis es so weit ist, werden noch mindestens fünf Jahre vergehen. Die Kiesberge werden irgendwann wieder schrumpfen und die Baustellen verschwinden. Bis dahin aber herrscht vielerorts der organisierte Ausnahmezustand, wie am Portal Hohenstadt am Steinbühltunnel, zwischen Merklingen und Hohenstadt. Aus der Luft zeigt sich das Ausmaß der Baustelle: 120 Arbeiter sind hier im Einsatz. Für sie wurde eine kleine Stadt errichtet mit Baubüros und Wohngebäuden, in denen die Arbeiter wohnen und schlafen. Hier verlieren sie ihren Arbeitsplatz nicht aus den Augen: Auf einer Fläche von 15 Hektar türmen sich stellenweise bis zu 874 000 Kubikmeter Tunnelabraum. Würde man sämtlichen Kies allein dieser Baustelle in Schubkarren verladen, man könnte mit der Schubkarren-Kette von Deutschland aus die halbe Erde umrunden.

Doch mit dem Aushub ist eine andere Nutzung vorgesehen: Zum Teil wird das Material zur Rekultivierung von Steinbrüchen eingesetzt, zum Teil werden daraus industriell Ziegel hergestellt oder er wird für andere Bahndämme und Ablagerungen genutzt.

Im Juni 2013 haben die Mineure mit dem Vortrieb im Steinbühltunnel begonnen, sie arbeiteten Tag und Nacht, frästen, bohrten, sprengten – bis im September 2015 der Durchbruch gelang. Durch ein kleines Loch oberhalb von Mühlhausen schauten sie ins Filstal. Damit war der erste der acht großen Tunnel durchgebrochen. Ein halbes Jahr früher als ursprünglich geplant. Und auch jetzt scheint der Tunnelausbau im Zeitplan zu bleiben: Noch in diesem Jahr soll die Innenschale in der ersten Röhre eingebaut werden, wie ein Bahnsprecher bestätigt. „Der Abschluss der zweiten Röhre erfolgt dann voraussichtlich im nächsten Jahr“, erklärt er.

Ende 2021 sollen dann die ersten ICE-Züge von Ulm nach Wendlingen fahren. In der Riege der neuen Tunnel nimmt der Steinbühltunnel mit seinen 4,8 Kilometern zwar nur einen Mittelwert ein. Dennoch ist der Steinbühl von besonderer Bedeutung: Aus Westen her kommend führt er auf den höchsten Punkt der Neubaustrecke auf 748 Metern. Fahren Zuggäste künftig auf der Neubaustrecke von Ulm Richtung Stuttgart, dann stellt das Tunnelportal Hohenstadt die Pforte des Albabstiegs dar. Ab hier fällt die Strecke kontinuierlich ab, mit einem Gefälle von zwei Prozent. Mit bis zu 250 Stundenkilometern rasen Züge hier künftig durch den Untergrund, die knapp fünf Kilometer durch den Steinbühltunnel schaffen sie in einer guten Minute

Bald soll auch der Verkehr auf der parallel verlaufenden Autobahn 8 an dieser Stelle wieder normal fließen: Bislang verläuft die A 8 in einer langen S-Kurve um die Baustelle. Mitte 2017 wird sie wieder zurückverlegt. Und irgendwann wird sich auch das Grün der Alb seinen Platz zurückerobern, wird eine der größten Baustellen Europas abgeschlossen sein.

„Wir müssen akzeptieren, dass der Verkehr niemals weniger werden wird.

Matthias Breidenstein

DB-Chefingenieur