Serie Bahnprojekt

Verschnaufpause für Käthchen

Neubaustrecke In der ersten Röhre des Boßlertunnels ist der ­Durchbruch geschafft. Jetzt wird die Tunnelbohrmaschine in ihre Einzelteile zerlegt, zurück nach Aichelberg transportiert und wieder startklar gemacht. Von Bianca Lütz-Holoch

Auf den Tunnelbohrer wartet schon eine neue Aufgabe: Ab dem Frühjahr soll sich das riesige Schneidrad von Aichelberg aus in die
Auf den Tunnelbohrer wartet schon eine neue Aufgabe: Ab dem Frühjahr soll sich das riesige Schneidrad von Aichelberg aus in die zweite Röhre fräsen.Fotos: Jean-Luc Jacques

Eineinhalb Jahre lang hat „Käthchen“ pausenlos Schwerstarbeit geleistet. Seit Sonntag jedoch steht die riesige Tunnelbohrmaschine mit dem klangvollen Namen still: Sie hat den Durchbruch am Ende der ersten Röhre des Boßlertunnels geschafft. Jetzt lugt sie hoch über dem Filstal bei Wiesensteig aus dem Tunnelmund hervor, durch den in wenigen Jahren die ICEs brausen werden.

Lange bleibt die Tunnelvortriebsmaschine dort allerdings nicht stehen. „Sie wird jetzt auseinandergebaut und über die Schienen im Tunnel zurück nach Aichelberg gebracht“, sagt Jörg-Rainer Müller, der beim Bahnprojekt Stuttgart-Ulm technischer Projektleiter für den Alb­aufstieg ist. „Das bedeutet, dass 2 500 Tonnen Metall zerlegt werden müssen.“ So viel wiegt nämlich die 110  Meter lange Tunnelvortriebsmaschine mit dem klangvollen Namen. Im Frühjahr soll der Koloss dann startklar vor der zweiten Tunnelöffnung stehen und sich ein weiteres Mal durch den Berg fressen – parallel zur ersten Röhre. „Wir rechnen damit, das wir Mitte 2018 wieder in Wiesensteig ankommen“, so Müller.

Beim Bau der ersten Röhre ist alles zur vollen Zufriedenheit des Projektleiters gelaufen: „Die Maschine ist top geeignet für die geologischen Gegebenheiten hier“, freut er sich. Dennoch muss Käthchen jetzt erst einmal eine Verschnaufpause einlegen. Immerhin hat sie sich in den vergangenen Monaten 8 800 Meter durch den Berg gearbeitet. „Käthchen muss auch mal gestreichelt werden“, formuliert es Jörg Müller augenzwinkernd und fügt hinzu: „Die Maschine braucht nach solch einer langen Einsatzzeit Wartung und Pflege.“

Und nicht nur das: Käthchen kann nicht einfach den Rückwärtsgang einlegen. Denn die Tunnelbohrmaschine fräst mit ihrem riesigen Schneidrad nicht nur ein Loch in den Berg. Sie setzt dahinter auch gleich Betonbauteile, so genannte Tübbings, zu einer geschlossenen Tunnelröhre von zehn Metern Durchmesser zusammen. „Weil das Schneidrad mit 11,39 Meter Durchmesser aber um einiges größer ist, passt es anschließend nicht mehr durch“, veranschaulicht Reinhold Willing, Pressesprecher des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm. Darum verfahren die Techniker mit dem Schneidrad ähnlich wie mit einem Kuchen und zerteilen es in transportgerechte Stücke. „In Aichelberg werden die Teile wieder zusammengeschweißt“, so Müller. Auch der gesamte Bohrkopf wird zerteilt und später wieder zusammengesetzt. Etwas leichter geht es dagegen mit dem „Schwanz“ der Maschine, der aus vier waggonähnlichen Nachläufern besteht. „Sie werden abgehängt, von der Strom- und Wasserversorgung getrennt und dann auf den Schienen im Tunnel zurückgefahren“. erläutert Jörg Müller. Nicht zuletzt müssen die 8,6 Kilometer Förderband abgebaut werden, die Käthchen im Schlepptau hat. Sie haben all das Material, das der Tunnelbohrer vorne aus dem Berg gelöst hat, zur Öffnung nach Aichelberg transportiert.

Dort, wo Käthchen jetzt ans Licht gestoßen ist, entsteht übrigens gerade ein weiteres gewaltiges Bauwerk: die Filstalbrücke. „Sie wird sicherlich ein sehr markantes Bauwerk werden, das man auch von der Autobahn aus sehen kann“, sagt Jörg Müller. Gleichzeitig werde die Brücke aber auch schlank sein. „Deshalb ist ihr Bau für uns eine besondere technische Herausforderung.“ Und eigentlich geht es bei der Filstalbrücke gar nicht um ein einzelnes Bauwerk, sondern um zwei: „Es sind zwei völlig getrennte Tragwerke, die nicht miteinander verbunden sind“, erläutert Jörg Müller. Insgesamt zehn Pfeiler werden die Brücken tragen. Derzeit wächst gerade der erste in die Höhe. Wenn die Neubaustrecke fertig ist, werden die Züge mit 250 Sachen vom Boßlertunnel auf die Filstalbrücke rauschen und nach rund acht Sekunden am Tageslicht in den Steinbühltunnel auf der anderen Seite des Filstals eintauchen. Bis das so weit ist, vergehen noch rund fünf Jahre. Im Rohbau soll der Alb­aufstieg schon früher fertig sein: „Da peilen wir Mitte 2019 an.“

Besichtigung Boßler-Tunnel mit Käthchen
Besichtigung Boßler-Tunnel mit Käthchen

Rekorde und Zahlen beim Bahnprojekt

Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ist auch für die Bahn „kein Alltagsgeschäft“. Mit zehn Milliarden Euro Gesamtkosten gehört es zu den größten europäischen Infrastrukturmaßnahmen. Auf der Ost-West-Achse gilt es sogar als Spitzenreiter. In Nord-Süd-Richtung gibt es aber noch größere und teurere Eisenbahntunnelprojekte, etwa am Gotthard und am Lötschberg. Der Abschnitt Stuttgart-Ulm gehört zur Magistrale Paris-Bratislava, entlang der eine durchgängige, länderübergreifende Bahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke entstehen soll.

Der Boßlertunnel ist mit 8,8 Kilometern der längste von fünf Tunneln, die im Rahmen des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm auf der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm gebaut werden. Getoppt wird er beim Bahnprojekt nur von dem gut 9,4 Kilometer langen Fildertunnel, der in den Bereich von Stuttgart 21 fällt. Nach Fertigstellung ist er der fünftlängste Eisenbahntunnel Deutschlands Und noch einen Rekord gibt es: Käthchen ist die größte Tunnelvortriebsmaschine, die die Bahn derzeit im Einsatz hat

Die Filstalbrücke soll künftig den Boßlertunnel und den Steinbühltunnel verbinden. Sie führt in 85 Metern Höhe über das Filstal bei Mühlhausen und ist 485 Meter lang.bil