Kirchheim

Bahn will gut Wetter machen

Großprojekt Der Kalkstaub sorgt seit Monaten bei Anwohnern in Kirchheim und Dettingen für Ärger. Mit Shuttle-Bussen kamen sie auf die ICE-Baustelle und nutzten die Gelegenheit, sich zu beschweren. Von Iris Häfner

Mitarbeiter der Bahn und der Baufirma Implenia informierten die Anwohner über den aktuellen „Kalk-Zustand“. Foto: Markus Brändli
Mitarbeiter der Bahn und der Baufirma Implenia informierten die Anwohner über den aktuellen „Kalk-Zustand“. Foto: Markus Brändli

Die Bahn hat auf Proteste seitens der Bevölkerung reagiert und die kalkstaubgeplagten Anwohner auf die ICE-Tunnelbaustelle eingeladen. Monate später erfuhren sie von den Verantwortlichen, weshalb sie der zusätzlichen Umweltbelastung ausgesetzt waren und es weiterhin sind. Durchhalten müssen sie bis voraussichtlich Ende Juni - wenn alles nach Plan läuft. Erst dann sind beide Tunnelbohrmaschinen unter der Autobahn durch, und es kann trocken weitergebuddelt werden, ohne dass der ätzende Brandkalk als Bindemittel eingesetzt werden muss. Was dann kommt, wird sich zeigen, denn auch zerschreddertes Schiefergestein kann stauben. Das ist jedoch weniger aggressiv als gelöschter Kalk, der beispielsweise in der Landwirtschaft zum Desinfizieren eingesetzt wird.

„Wegen der Sicherheitsanforderungen dürfen wir unter der Autobahn keinen Hohlraum beim Bohrvorgang haben. Es darf nichts reinfallen, damit wir keine Senkungen bekommen“, sagte Jens Hallfeldt, zuständiger Abschnittsleiter bei der Bahn für den Albvorlandtunnel. Deshalb wird viel Wasser zugeführt, weshalb ein Gemisch ähnlich eines Kuhfladens entsteht. Das kann so jedoch nicht auf die Deponie, weshalb Kalk zugeführt wird. Exakt dieser Vorgang sorgt jedoch seit Monaten für ständigen Ärger.

Jede Baustelle ist anders, und deshalb wurde kräftig rumexperimentiert, um den Kalk auf die schlabbrige Schiefermasse zu bekommen. Teilweise riesige Kalkwolken waren die Folge, die sich nicht nur in der Landschaft, sondern auch auf Autos und Häusern verteilte - von gesundheitlicher Beeinträchtigung ganz zu schweigen. „Im Februar hatten wir viele Beschwerden“, gab Jens Hallfeldt zu. Seitdem sei viel gemacht worden. Er gab sich zuversichtlich, dass nun das Schlimmste vorbei ist, komplette Kalkfreiheit stellte er jedoch nicht in Aussicht.

Den technischen Ablauf erklärte Dr. Andreas Groten von der Baufirma Implenia. Ein Schneckenmischer beispielsweise habe zur besseren Kalkzugabe beigetragen. Es gibt eine Bedüsung. Das heißt, Wasser wird aufgesprüht, um den Kalk zu binden und den Staub einzudämmen. „Wir sind bester Dinge - aber wenn der Wind kräftig bläst, kann Kalk in der Luft sein“, sagte er. Zum Benetzen wird auch eine Schneekanone eingesetzt, und sämtliche Förderbandeinrichtungen und Kalkzugabe-Bereiche wurden eingehaust.

Die Anwohner machten von ihrem Fragerecht rege Gebrauch und äußerten ihren Unmut. Der Kalk auf (Glas-)Dächern, Autos, Fotovoltaikanlagen und anderen Gegenständen besorgt sie. Mindestens einmal pro Woche müssen die Autos in die Waschanlage, das verursacht Kosten. „Wir haben ständig Probleme, der Kalk geht nicht runter“, beklagt sich eine Anwohnerin. „Das Problem ist erkannt. Wir werden eine Lösung finden“, versprach Jens Hallfeldt und schob, wie mehrmals an diesem Abend, eine Entschuldigung nach. Allerdings müssen die Schäden gemeldet sein, um dann aufgenommen werden zu können. Nicht gut angekommen ist der Verweis auf Blütenstaub. „Gelb und Weiß kann ich unterscheiden“, lautete darauf die prägnante Antwort.

Die Diskussion über die gesundheitlichen Risiken versuchte Jens Hallfeldt zu umschiffen. Er stellte infrage, inwieweit Kalk schädlich ist, schließlich gebe es keinen Grenzwert. „Wir sind hier auf der Baustelle und haben keinen Mundschutz - in Kalk baden ist allerdings nicht gut für Augen, Haut und Nase“, sagte er. In den vergangenen zwei Wochen gab es allerdings Feinstaubmessungen, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen. Wegen des Bohrlärms rund um die Uhr litt bei vielen der Schlaf. „Sechs Wochen habe ich wegen des Rumpelgeräuschs mit Zittern und Krach pro Nacht nicht mehr als drei bis vier Stunden geschlafen. Auf meine Anrufe kam keine Resonanz. Sie spielen auf Zeit“, warf ein Anwohner der Bahn vor.

„Wir sind uns bewusst, dass Sie eine Menge in Kauf nehmen mussten. In den letzten Wochen ist jedoch eine ganze Menge passiert, sodass ich Staub-Unfälle, wie sie in der Vergangenheit passiert sind, für weitestgehend ausgeschlossen halte“, sagte Jens Hallfeldt.

 

Sollten wider Erwarten trotzdem große Kalkstaubwolken auftreten, können die Anwohner die Bauüberwachung unter der Telefonnummer 01 63/8 50 85 44 anrufen. Die Bahn verspricht, dass dann schnell reagiert wird, das heißt, die Anlage notfalls auch abgestellt wird. Für den Staubbeauftragten der Bahn, Achim Lohmeyer, sind solche Anrufe jedoch wenig hilfreich. Er bittet daher um Fotos unter der Mail-Adresse bauen@stuttgart-ulm.de oder Achim.Lohmeyer@Lohmeyer.de, um der Ursache auf den Grund gehen zu können.

Die Menschen ernst nehmen

Jetzt also, nach monatelanger Verzögerungspolitik, gehen die Deutsche Bahn und die Baufirma Implenia auf die leidgeplagten Anwohner zu. Mit Shuttle-Bussen wurden sie an die Förderbänder der beiden Tunnelbohrmaschinen Sibylle und Wanda gefahren. Dort erfuhren sie von den Verantwortlichen aus erster Hand, was am Ort des Geschehens passiert und was bisher getan wurde, um den Kalkaustritt einzudämmen.

Soll die Veranstaltung mehr als ein Lippenbekenntnis und eine Geste des guten Willens sein, müssen Schäden, die klar auf den Kalk zurückzuführen sind, nach dem Verursacherprinzip ersetzt werden. Fühlen sich Menschen krank, muss auch dem nachgegangen werden. Nicht wenige klagen beispielsweise über ständiges Räuspern im Hals oder wundern sich über eine besonders hartnäckige Erkältung. Hundebesitzer registrieren vermehrt Magen-Darm-Erkrankungen bei ihren Tieren.

Im Bemühen, das Übel an der Wurzel zu packen, dürfen die Deutsche Bahn und die Firma Implenia nicht nachlassen und notfalls nachjustieren, um das Optimum für die Anwohner herausholen zu können. Die Arbeiter müssen ständig für ihr Tun sensibilisiert werden - denn die Anwohner sind es nach den ständigen Staubunfällen zurecht.

Den Ärger hätten sich alle Beteiligten sparen können. Das Vertrauen läge nicht am Boden, wenn rechtzeitig gehandelt geworden wäre und nicht auf Zeit gespielt - und vor allem die Anwohner ernst- und mitgenommen worden wären. Liebe DB, immer noch nix gelernt aus dem Debakel um S 21?

Besser spät als nie reagiert? Das Fragezeichen bleibt. Doch die Bahn mit ihrem Partner Implenia hat es selbst in der Hand.