Kirchheim

Baustelle oder fertige Installation?

Ausstellung Der Künstler Felix Boekamp spielt mit Deutungsmöglichkeiten. Seine Werke sind derzeit im Kirchheimer Kornhaus zu sehen. Von Kai Bauer

"Inversion" Version V/IV-X - Felix BOEKAMP Vernissage in der Städtischen Galerie im Kornhaus
"Inversion" Version V/IV-X - Felix BOEKAMP Vernissage in der Städtischen Galerie im Kornhaus

Die Einladung zur Ausstellung von Felix Boekamp im Kirchheimer Kornhaus hatte es verkündet: „Der Bundespräsident der Herzen spricht ein Grußwort“. Daraufhin riefen mehrere Bürger an und fragten, um welche Person es sich dabei handeln würde. Neben der Vermutung, dass weder Herr Gauck noch Herr Steinmeier in Kirchheim eine Kunstausstellung eröffnen würden, legten diese Nachfragen auch nahe, dass man reflexhaft beim Bundespräsident der Herzen nicht das gewählte Staatsoberhaupt erwartet.

Die offiziellen politischen Vertreter erfüllen offenbar nicht die Herzenswünsche. Kaum eine Personal- oder Sachentscheidung des öffentlichen Staatsapparats wird von der emotionalen Zustimmung der Mehrheit getragen. Aus dieser Diskrepanz macht der Künstler Felix Boekamp anschauliche, aber auch subversive Bilder.

Bei der gut besuchten Eröffnung trat er dann tatsächlich in Erscheinung: Der Bundespräsident der Herzen. Es war Boekamp selbst. Seine Rede bestand jedoch in einer Performance, bei der er Geräusche von mitgebrachtem Spielzeug per Lautsprecher verstärkte. Auch seine äußere Erscheinung wurde zum Stoff einer ambivalenten Verwandlung: direkt nach der Aufführung ließ sich der Künstler die Haare kurz schneiden und den Bart abrasieren, sodass er zwischen den Besuchern mit einer neuen Identität auftrat. Ob als Privatperson oder als Künstler der Ausstellung „Inversion“ blieb jedoch offen.

In Boekamps Fassung von Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ steht der Künstler auf der Teck und schaut sinnend über die Voralblandschaft. Das Motiv löst heute andere Deutungen aus. Denn das durch die Inversionswetterlage in die Täler gepresste Nebelmeer wird eher mit den Begriffen Feinstaubalarm oder Stickoxid- und CO2-Werten in Verbindung gebracht.

Auch die Stadtlandschaft, den öffentlichen Raum und den Ausstellungsraum einer Städtischen Galerie als Funktion und Resultat institutioneller Entscheidungen übersetzt der Künstler in bildhafte, rätselhafte bis sarkastische Darstellungen. Er reduziert dabei das Stadtbild auf einzelne Formen: Wenn beispielsweise das schräge Sattel- oder Walmdach im Gegensatz zum Flachdach der Moderne steht, wie man ersteres in einer sorgfältig restaurierten Fachwerkstadt überall wahrnimmt, so taucht diese Schräge im Innenraum des Kornhauses an der Decke wieder auf. Sie wird jedoch von banalen Abdeckfolien und Kreppband gebildet. „Es war ein Kampf gegen das Braun der Fachwerkbalken mit dem Ziel, für mehr Helligkeit zu sorgen“, so der Künstler zu seiner Installation. „Das Material Folie hat einen ambivalenten Charakter: Handelt es sich um eine Baustelle oder eine fertige Installation?“ erläutert Felix Boekamp weiter. Form und Nutzung des öffentlichen Stadtraums werden so zum Thema.

Die filigranen Mikroskulpturen in den Schaufenstern konterkarieren Architekturmodelle. Boekamps Modelle sind aus Drähten, Insektenkörpern und Fundstücken zu winzigen, zerbrechlichen und vergänglichen Raumlineaturen und Raumzeichen zusammengebaut. Dagegen stehen zwei herkömmliche Modelle aus dem Städtischen Museum: Zum einen „Kirchheim vor dem großen Brand 1690“ und wie zufällig abgestellt mitten im Ausstellungsraum das zweite Modell. Dieses ist mit Abdeckfolie verhüllt und zwingt beispielhafte, herausragende Bauten Kirchheims, unabhängig von ihrer tatsächlichen Lage in der Stadt, zu einer fiktiven Baugruppe zusammen.

Die schräge Bedachung eines Einbaus ist mit Dekorfolie beklebt, die Holzstruktur darstellt. Man wird direkt an eine Bude auf dem Weihnachtsmarkt erinnert: Formzitat und Materialsurrogat stehen als Metapher für traditionelle Gemütlichkeit. An der Wand innerhalb dieses abgeteilten Raumes werden scheinbar immer noch herkömmliche Kunstwerke ausgestellt. In diesem Fall handelt es sich jedoch um Reproduktionen, nämlich vergrößerte Plots aus dem Skizzenbuch des Künstlers. Auch eine „Klanginstallation“ in einer durch Stellwände abgetrennten Ecke erweist sich als Surrogat: Eine Computerstimme liest Constant Nieuwenhuys Text „New Babylon“, der sich mit imaginären Dimensionen des veränderlichen Stadtraums befasst. So bleiben sowohl die Modelle des öffentlichen Raumes als auch das Modell des Ausstellungsraumes in einem Zustand der Ambivalenz, der dem Besucher keine eindimensionale Deutung aufdrängt.

Kunst hinter Folie ist zu sehen im Kornhaus.Fotos: Markus Brändli
Kunst hinter Folie ist zu sehen im Kornhaus.Fotos: Markus Brändli