Die „Allianz für Niederwild“ ist eine Initiative, die vom baden-württembergischen Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz initiiert wurde und gefördert wird. Mit vereinten Kräften sollen Wildforschungsstelle, Jäger, Bauern und Verwaltung die Lebensräume von Feldhase, Rebhuhn und Fasan erhalten und verbessern. Doch Überregulierungen im Bereich von Agrarprogrammen und der Flächenverbrauch durch Wohn- und Industriebauten sowie Straßen wirkt sich nach Ansicht von Vertretern des Kreisbauernverbandes Esslingen und der Jägervereinigung Kirchheim schlecht auf Biodiversität und Artenschutz aus.
Jeden Tag werden in Deutschland rund 66 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Dies entspricht einem Flächenverbrauch von circa 94 Fußballfeldern täglich. In Baden-Württemberg sind es 5,2 Hektar die für Baumaßnahmen in den Bereichen Wohnen, Gewerbe, Industrie und Straßen Tag für Tag bereitgestellt werden und damit unwiederbringlich verloren gehen. Der Landkreis Esslingen bildet laut Siegfried Nägele keine Ausnahme. Dabei sind es ihm zufolge gerade Ackerflächen, die in Bauland umgewidmet werden. „Ans Grünland wagt sich keiner heran, weil dort die meisten Schutzgebiete liegen“, berichtet der Bissinger Landwirt.
Und genau darin besteht nach Ansicht von Suad Babahmetovic die Krux. Der Biotopobmann der Jägervereinigung Kirchheim ist bei der lokalen Umsetzung von Zielsetzungen der Niederwildallianz darauf angewiesen, dass Landwirte einen Teil ihrer Flächen für Maßnahmen bereitstellen. Wenn aber gleichzeitig die Produktionsgrundlage durch Flächenverbrauch immer weiter beschnitten wird, fällt die Bereitschaft dazu eher verhalten aus. Denn der Flächenfraß schmälert die Erwerbsbasis, macht Siegfried Nägele deutlich.
Deshalb sollten Landwirte aus Sicht von Babahmetovic einen attraktiven Zuschuss erhalten, wenn sie auf einem Teil der Grundstücke Artenschutz zulassen. Laut Nägele werden etwa dreiviertel der Flächen von den Betrieben in Pacht bewirtschaftet, doch: „Wenn es für den Eigentümer lukrativ ist, seinen Grund und Boden als Bauland zu verkaufen, hat nicht nur der Bauer das Nachsehen, sondern auch die biologische Vielfalt“.
„Fakt ist, dass die grünen Inseln, auf denen Wildtiere einen Lebensraum finden, seit Jahrzehnten stetig schrumpfen und durch Infrastrukturmaßnahmen immer mehr zerschnitten werden“, sagt Suad Babahmetovic. In zunehmend kleinräumigeren Gebieten, in denen das Wild bedingt durch Straßen- und Wege nicht ohne weiteres wandern kann, steigt damit nicht nur die Zahl der Wildunfälle, sondern auch die Wahrscheinlichkeit von Inzucht, die die genetische Vielfalt reduziert, bemerkt er. „Ziel der Niederwildallianz ist es, eine grüne Infrastruktur zu generieren, die für die Tiere Wandermöglichkeiten schafft und damit ihre Verbreitung fördert“, so der Jäger. „Aber diesem Vorhaben sind vor dem beschriebenen Hintergrund natürlich Grenzen gesetzt.“ Als Beispiel nennt der stellvertretende Kreisjägermeister German Kälberer einen Radweg, der vor nicht allzu langer Zeit in Owen gebaut wurde. „Früher saßen dort die Feldhasen. Heute sind sie dort nicht mehr zu finden, weil der Rad- und Fußverkehr diese Niederwildart stört“, bilanziert Kälberer.
Siegfried Nägele betont, dass die Landwirte grundsätzlich nicht abgeneigt sind, Flächen für Maßnahmen zur Förderung des Niederwildes bereitzustellen. Denn letztlich kommen beispielsweise Blühstreifen nicht nur dem Feldhasen zugute, sondern auch Insekten, die für die Bestäubung wichtig sind. „Allerdings bremsen auch Agrarprogramme häufig, weil die Vorgaben mit Maßnahmen des Artenschutzes konkurrieren“, erklärt Nägele.
Dass der Schutz und die Förderung von Feldhase, Rebhuhn, Fasan und Co. gelingen kann, zeigt laut Suad Babahmetovic das Rebhuhnprojekt auf der Hahnweide, von dem heimische Vogelarten profitieren, oder auch die Schaffung von Äsungsflächen, die nicht nur Rehe, sondern auch Niederwildarten nutzen. „Doch solange sich die Rahmenbedingungen beim Flächenverbrauch und im Bereich der Agrarprogramme nicht deutlich zugunsten des Artenschutzes wandeln, bleibt die nachhaltige und langfristige Wirkung unserer Bemühungen zwangsläufig überschaubar“, resümiert German Kälberer.