Kirchheim

Bewährung für mehrfachen Bankrotteur

Urteil In Kirchheim endet ein langwieriges Verfahren. Der Angeklagte wird zu einem Jahr und sieben Monaten verurteilt, bleibt aber auf freiem Fuß. Von Andreas Volz

Das Kirchheimer Amtsgericht war diese Woche der abschließende Schauplatz eines langwierigen Insolvenzverfahrens.Foto: Markus Brä
Das Kirchheimer Amtsgericht war diese Woche der abschließende Schauplatz eines langwierigen Insolvenzverfahrens.Foto: Markus Brändli

Die Taten liegen teils schon zehn Jahre zurück. Seit 2008 ermittelte die Staatsanwaltschaft. Vor rund fünf Jahren hat sie die Anklageschrift fertiggestellt. Erst jetzt fiel im Kirchheimer Amtsgericht das Urteil gegen den Hauptangeklagten. Dazu reichte dem Schöffengericht ein einziger Verhandlungstag - unter anderem dank eines umfassenden Geständnisses.

Wegen 141 rechtlich selbständiger Handlungen war der 53-jährige Kirchheimer angeklagt: vorsätzliche Insolvenzverschleppung, vorsätzlicher Bankrott, Betrug und Urkundenfälschung, veruntreuende Unterschlagung sowie Vorenthalten und Veruntreuung von Arbeitsentgelt. Für das Urteil wurde lediglich der vorsätzliche Bankrott in „Beihilfe zum Bankrott“ abgeändert, und die Fälle von Betrug und Urkundenfälschung wurden eingestellt - angesichts der Strafe, die für alle anderen Anklagepunkte ohnehin zu erwarten war.

Letztlich hat der Mann sogar profitiert von den vielen Jahren, in denen sich nicht viel getan hatte. Die Staatsanwältin sagte nämlich nach dem Ende der Beweisaufnahme: „Vor vier Jahren hätte ich keine Bewährung beantragt, sondern drei bis vier Jahre Freiheitsstrafe!“

So aber kam der Angeklagte verhältnismäßig glimpflich davon: Obwohl er als Geschäftsführer mehrerer Unternehmen enorme Fehlbeträge aufgehäuft und bei diversen Gläubigern hohe Schadenssummen hinterlassen hat, erhielt er die Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Zusätzliche Auflagen: 100 Stunden gemeinnützige Arbeit und eine fünfjährige Geschäftsführersperre.

Der ganze Fall ist nur schwer zu durchschauen - mit ein Grund für die lange Verfahrensdauer. Allein die Verlesung der Anklageschrift dauert über eine Stunde, obwohl das Verfahren gegen drei Mitangeklagte anderweitig zu Ende ging und deswegen längst nicht mehr alles zu verlesen war. Immer wieder heißt es in der Verhandlung, dass auch der Angeklagte selbst den Überblick verloren hatte.

Verwirrend sind die Verflechtungen der vier Firmen: zwei GmbHs, eine Ltd. und eine UG, die aber trotzdem meist denselben Namen trugen und die teilweise nacheinander, teilweise nebeneinander bestanden. Mit der zweiten GmbH, die er auf Drängen von Kunden, Partnern und Mitarbeitern gegründet hat, habe das Unglück begonnen, erzählt der Angeklagte. Für diesen Geschäftszweig habe ihm das Know-how gefehlt.

Als beide GmbHs den Geschäftsbetrieb wegen Zahlungsunfähigkeit einstellen mussten, wurde eine britische Ltd. gegründet, die die Arbeit in den alten Räumen nahtlos fortführte. Der Angeklagte nennt die Ltd. „eine Auffanggesellschaft“, die es ihm ermöglichen sollte, „weiterzumachen“. Die UG wiederum sei eine reine „Leiharbeiterfirma“ für die Ltd. gewesen.

Strafrichterin Hannah Okonnek wirft ihm fehlendes Unrechtsbewusstsein vor, weil er eine der GmbHs bis heute nicht liquidiert hat. Fehlendes Unrechtsbewusstsein scheint auch sonst das Problem zu sein. Er habe sich halt immer wieder „breitschlagen lassen“, doch weiterzumachen, sagt er. Obwohl es besser gewesen wäre, frühzeitig die Insolvenz zu beantragen - oder sie überhaupt einmal selbst zu beantragen. Die meisten Anträge kamen nämlich von Krankenkassen, denen seine Unternehmen die Versicherungsbeiträge vorenthalten hatten.

Auch da fehlt dem Angeklagten das Unrechtsbewusstsein: „Wenn‘s Geld hinten und vorne nicht reicht, ist es eben die Konsequenz, die Versicherungen nicht zu bezahlen.“ Gleiches gilt für Mieten, Steuern und so weiter. Aus dem Privatleben schildert er Ähnliches: Derzeit sei er mit drei Monatsmieten im Rückstand.

Doch Not macht erfinderisch: So wurde Geld nicht nur vorenthalten. Es wurde auch auf die Ltd. übertragen. Maschinen wurden mehrfach verkauft, zurückgeleast, als Sicherheit angeboten. Fazit der Staatsanwältin: „Da wurde erhebliche kriminelle Energie aufgewandt, um die GmbH als leere Hülse zu hinterlassen. Die Gläubiger liefen so ins Leere. “ Weiter sagt sie: „Sie sollten endlich Verantwortung übernehmen.“

Das ist nicht so einfach. Auf die Frage, was er als Auflage leichter leisten könne - eine Geldzahlung oder Arbeitsstunden - sagt er, auch angesichts von rund 600 000 Euro Schulden aus seiner Privatinsolvenz: „Wenn sie mich so fragen, beides eigentlich nicht. Geld hab‘ ich keins - und Zeit auch nicht.“