Kirchheim

Dem vergessenen Star nachspüren

Stadtgeschichte Am „Tag des offenen Denkmals“ dreht sich erstmals eine Tour um den stadtbildprägenden Architekten Philipp Jakob Manz. Die Stadtchroniken haben ihn bisher unterschlagen. Von Günter Kahlert

Großes Interesse: Dr. Bernhard Sieber vor der Villa Oehler in der Kolbstraße 29.Fotos: Günter Kahlert
Großes Interesse: Dr. Bernhard Sieber vor der Villa Oehler in der Kolbstraße 29.Fotos: Günter Kahlert

Da staunt Dr. Eberhard Sieber nicht schlecht: Statt der erwarteten 20 Historien-Freunde drängen sich zur Premiere seiner Tour zum „Tag des offenen Denkmals“ gleich mal mehr als 60 Interessierte. Und das, obwohl sein Thema nicht zur „Greatest-Hits“-Sammlung der Kirchheimer Führungen gehört wie Henriette und das Schloss, das Kloster oder der Rathausturm, die natürlich an diesem Tag auch vertreten waren. Es geht um die „Villentradition in Kirchheim“, aber eigentlich um den Architekten Philipp Jakob Manz, der wie kein zweiter das Stadtbild im damaligen Außenbereich geprägt hat. Und „damals“ heißt in dem Fall die Gründerzeit ab etwa 1890. Da tauchen dann auch die großen Fabrikanten-Namen Kirchheims auf: Weise, Wiest, Battenschlag, Müller, Ficker und viele mehr. Alle ließen sich von Manz ihr Villen bauen - und in der Regel auch ihre Fabrikgebäude. „Er war ein absoluter Star in jener Zeit“, ordnet Sieber den Architekten ein. Philipp Manz baute nicht nur in Kirchheim, er hat vor allem in der Industriearchitektur an vielen Stellen Deutschlands und auch im benachbarten europäischen Ausland Spuren hinterlassen.

Trotzdem haben ihn die Stadthistoriker in den letzten Jahrzehnten links liegen lassen, ihn quasi vergessen, obwohl er sein Büro in den ersten Jahren in Kirchheim hatte. In keiner örtlichen Chronik wird sein Name auch nur einmal erwähnt. „Die Architektur der Gründerzeit wurde jahrzehntelang als verschnörkelt, verkitscht und nicht erhaltenswert angesehen. Erst in jüngerer Zeit ändert sich das allmählich“, erklärt Eberhard Sieber den seltsamen Umstand.

Ihn hat das Thema Philipp Manz schon seit langer Zeit umgetrieben, und nach seiner Pensionierung 2003 war Zeit für Nägel mit Köpfen. In akribischer Kleinarbeit und mit detektivischem Spürsinn machte sich der ehemalige Geschichtslehrer am Ludwig-Uhland-Gymnasium an die Arbeit. Archive durchforsten, alte Akten wälzen, Gebäude in Kirchheim ausfindig machen und was sonst noch so anfällt bei einem Recherche-Job in Sachen Historie. Ergebnis war vergangenes Jahr der Band 38 der Schriftenreihe des Stadtarchivs, der sich detailliert um die Villen und Fabrikgebäude der Gründerzeit kümmert. Ein spannendes Stück Industriegeschichte Kirchheims und ein reichhaltiger Fundus, aus dem der Historiker auf seiner Denkmal-Tour erzählt.

Im ersten Teil geht’s von den Villen Jäger, Müller und Oehler (Kolbstraße 32, 30 und 29) in die Paradiesstraße bis zur Villa Haag, Hausnummer 11. Alle entstanden zwischen 1894 und 1897, und alle werden nach wie vor als Wohnhäuser genutzt. Als Kirchheimer ist man schon 100-mal an diesen Gebäuden vorbeigefahren oder -gelaufen. Außer einem „schönes altes Haus“ macht sich keiner weitere Gedanken. Nach der Tour mit Eberhard Sieber ist man zumindest sensibilisiert, sieht die Gebäude mit anderen Augen.

Da fällt die zweite Station seiner Tour schon mehr auf: die Villa Max Weise in der Dettinger Straße, 1892 der erste Auftrag, den Philipp Manz als selbstständiger Architekt bekam, und auch für damalige Verhältnisse ein Prunkbau. 1907 folgte die Villa für den Sohn Fritz auf dem weitläufigen Gelände der Familie Weise. Natürlich beauftragte der Patriarch seinen inzwischen nach Stuttgart übersiedelten Haus- und Hofarchitekten. Beide Villen haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich, die Villa Max Weise beherbergt derzeit eine Event-Gastronomie, in der Villa Fritz Weise residiert die Dienststelle der Polizei.

Der Aufstieg von Philipp Manz zum gefragten Stararchitekten kam nicht von ungefähr. Er war einfach clever, zuverlässig und organisierte sein Büro nach modernen Methoden. „Philipp Manz ist eigentlich der Erfinder des schlüsselfertigen Bauens“, erläutert Bernhard Sieber die Strategie des Architekten. „Er hat Qualität geboten, blieb immer in der vorgegebenen Bauzeit, und es war nie teurer als veranschlagt.“ Dazu hat er mit den Handwerkern ganz detaillierte Verträge abgeschlossen inklusive Konventionalstrafen und hat alles penibel überwacht. „Er hatte zeitweise mehr als 100 Architekten beschäftigt, das war ein richtiges Großbüro“, hat der Historiker bei seinen Recherchen herausgefunden. So kam er auch zu seinem Namen „Blitz-Architekt“. Alles ging schnell, alles ging reibungslos, wozu auch die damalige Prüfungs- und Genehmigungspraxis der Baubehörden beitrug. „Drei bis vier Wochen dauerte das Verfahren in der Regel, wenn es sechs Wochen waren, gab es schon Beschwerden“, erzählt Sieber. Und Manz nutzte die modernen Verkehrsmittel für seine Zwecke. Er hat sich eigens einen Eisenbahnwaggon gemietet, mit dem er zu Baustellen unterwegs war und den er als Büro eingerichtet hatte.

Es ist eine spannende Zeitreise, die Sieber mit den Tour-Teilnehmern unternimmt. Gut erzählt, faktenreich und unterhaltsam. Wird es davon noch mehr geben, oder bleibt es bei diesem einen Mal? Der Historiker zögert: „Na ja, wenn Interesse besteht, kann ich mir das schon vorstellen.“ - Wäre jedenfalls eine perfekte Ergänzung zu den anderen Themen der Kirchheimer Stadtführungen.

Info Der „Tag des offenen Denkmals“ ist eine bundesweite Aktion, die von der „Deutschen Stiftung Denkmalschutz“ koordiniert wird. Termin ist immer das zweite Septemberwochenende, seit 1999 jeweils versehen mit einem bestimmten Motto.

Verspielte Details: Erker an der Villa Max Weise.
Verspielte Details: Erker an der Villa Max Weise.

„Ich kämpfe für diese Architektur“

Dr. Eberhard Sieber
Dr. Eberhard Sieber

Woher kommt Ihre Leidenschaft ausgerechnet für den Architekten Philipp Manz?

Dr. Eberhard Sieber: Das liegt schon lange zurück. Als Schüler hatte ich einen Ferienjob bei der Firma Eisenlohr in Dettingen-Erms. Da ist mir die wunderbare Architektur aufgefallen, und ich habe mich erkundigt, wer das war. Es war Manz. Später habe ich mit Schülern Projekte über die Gründerzeit gemacht, da ist Manz auch vorgekommen. Das Interesse war immer da, aber erst nach meiner Pensionierung habe ich dann intensiv die Manz-Bauten in Kirchheim gesucht und viele Quellen ausgewertet. Das Ergebnis meiner Arbeit sehe ich als ein Geschenk an die Stadt, ein weißer Fleck weniger in der Stadtgeschichte. Ich freue mich, dass Manz ein bisschen aus der Versenkung geholt wird.

Warum haben akribische Stadt-Historiker den Architekten Manz einfach ignoriert?

Sieber: Sie haben es einfach verkannt, dass das etwas Besonderes ist. Das hängt mit der Wertschätzung der gründerzeitlichen Architektur zusammen. Man hat ja auch die schönsten der Manz-Villen einfach beseitigt. Die Ficker-Villa wurde abgebrochen, eine Gaier-Villa und die allerschönste, die Schüle-Villa, hat man trotz Denkmalschutz 1989 bedenkenlos abgerissen. Und das, ohne vorher irgendeine Dokumentation anzufertigen. Da hat man der Nachwelt nichts hinterlassen. Ich kämpfe darum, dass man diese Architektur als erhaltenswert einstuft.

Ist das Thema Manz jetzt für Sie als Historiker erledigt?

Sieber: Keineswegs! Ich habe jede Menge Nebenprodukte von Manz noch aufzuarbeiten. Demnächst wird zum Beispiel das Ficker-Gelände bebaut, wo auch eine Manz-Fabrik steht, und da gibt es ein Prunkstück ersten Ranges: das Kesselhaus. Das ist noch im Original erhalten und fast museal. Ich bin da bereits mit dem Eigentümer im Gespräch, und er hat mir versichert, dass es nicht mit der Fabrik abgerissen wird.Günter Kahlert